Выбрать главу

»Sie ist müde«, sagte Imenja. »Wir sollten sie ausruhen lassen.« Sie verabschiedete sich von dem Kind, dann stand sie auf und führte Reivan aus dem Zelt.

»Ich werde jetzt mit Nekaun sprechen, und du kannst getrost zu Bett gehen. Wenn er einverstanden ist, musst du morgen früh alles Notwendige für eine Seereise in die Wege leiten.«

»Noch mehr Arbeit!«, stöhnte Reivan und tat so, als sei sie darüber entsetzt. Die Zweite Stimme lachte und scheuchte sie davon. Reivan machte sich lächelnd auf den Weg zu ihrem Quartier.

Ich werde das Land der Elai sehen, ging es ihr durch den Kopf. Die Denker werden platzen vor Eifersucht!

Mirar holte tief Luft und sprang von der Plattform. Für den Bruchteil eines Herzschlags stürzte er hinab, dann zog sich das Seil um seine Brust zu und fing ihn auf. Das dickere Seil, an dem das erste befestigt war, dehnte sich, so dass er auf und ab federte. Als es sich nicht länger bewegte, zog er sich daran entlang.

Die hängenden Seile zwischen den Plattformen waren Tyves Idee gewesen. Mirar hatte jedes Mal sehr lange gebraucht, um von einer Plattform hinab- und die nächste hinaufzusteigen, und Tyves wachsende Ungeduld hatte ihn bewogen, verschiedene Möglichkeiten durchzuspielen, wie ein Landgeher sich schneller zwischen den Bäumen bewegen konnte. Zuerst war er auf die Idee verfallen, Mirar von mehreren Siyee in einem Netz hin und her befördern zu lassen, aber als er herausfand, wie schwer Mirar war, war ihm die Unmöglichkeit dieses Unterfangens bald klar geworden.

Dennoch war der Junge entschlossen gewesen, einen Weg zu finden. Er hatte unablässig Dinge vor sich hin gemurmelt wie: »Tryss könnte es schaffen« und »Was würde Tryss tun?« Tryss – der Siyee, der das Jagdgeschirr erfunden hatte – schien Tyves Held und Inspiration zu sein.

Jetzt hingen zwischen den meisten Bäumen Seile. Ihre Herstellung hatte den gesünderen Siyee, die auf ihren Plattformen ausharren mussten, etwas zu tun gegeben. Tyve war der Einzige, dem Mirar es gestattete, sich im Dorf zu bewegen, und dann auch nur mit der strikten Anweisung, in niemandes Nähe zu kommen, damit er sich nicht dem Risiko aussetzte, die infizierte Luft aus ihren Lungen einzuatmen.

Nicht dass es einen großen Unterschied gemacht hätte. Die meisten der Siyee waren inzwischen krank.

Bisher war jedoch noch niemand gestorben. Sprecher Veece war nahe daran gewesen, aber Mirar hatte ihn durch seine magische Heilkraft von der Schwelle des Todes zurückgeholt. Doch der Körper des alten Mannes wollte noch immer nicht recht gegen die Krankheit ankämpfen, was Mirar vor ein Dilemma stellte.

Für den Patienten war es besser, wenn sein Körper lernte, die Krankheit zu bekämpfen. Mirar konnte Magie benutzen, um die Beschwerden zu lindern und dem Patienten Kraft zu geben, aber es widerstrebte ihm grundsätzlich, die Krankheit selbst mit Magie zu vertreiben. Wenn er das tat, drohte dem Patienten die Gefahr sich erneut anzustecken. In einem Dorf, in dem sich die Seuche so mühelos ausbreitete, war dieses Schicksal durchaus wahrscheinlich. Wenn der Körper eines Patienten außerstande war zu lernen, gegen die Krankheit zu kämpfen, blieb nur die Möglichkeit, ihn mit Magie zu heilen und anschließend zu isolieren. Mirar würde es tun, wenn es sein musste, aber nur als letzten Ausweg.

Inzwischen hatte er sich dem anderen Ende des Seils genähert. Das Licht einiger Lampen beleuchtete eine kleine Plattform, auf der eine einzelne Laube stand. Die vorherige Plattform war größer gewesen und hatte ein wenig höher gelegen als diese. Als Mirar sein Ziel erreichte, hing er dicht über dem hölzernen Boden. Er hob die Arme und ließ sich aus der Schlinge gleiten.

Der dumpfe Aufprall seiner Landung lockte ein kleines Mädchen aus der Laube. Es starrte ihn an, dann fasste es ihn am Arm und zog ihn hinein.

Auf einer Matte auf dem Boden lag mit geschlossenen Augen eine Frau. Tyve saß neben ihr und hielt ihre Hand. In der Nähe stand eine Schale mit dampfendem Wasser, auf dessen Oberfläche sich Ölschlieren gebildet hatten. Die Luft war erfüllt von dem durchdringenden Geruch von Brei-Essenz.

»Wie geht es ihr?«, fragte Mirar.

»Ihr Atem geht doppelt so schnell wie normal«, sagte Tyve. »Er klingt ein wenig verschleimt. Ihre Finger sind kalt, und ihre Lippen werden langsam blau. Ich habe ihr etwas Mallin gegeben.«

Er lernt schnell, stellte Leiard fest.

Mirar konnte ein Lächeln nicht unterdrücken, wurde dann jedoch schnell wieder ernst, als Tyve zu ihm aufblickte.

»Ich weiß, du hast gesagt, dass ich niemanden berühren solle, aber sie hat nach meiner Hand gegriffen. Ich wollte nicht, dass es passiert. Und dann war es bereits zu spät.«

Mirar nickte. »Mitgefühl ist bei einem Heiler immer eine Stärke, niemals eine Schwäche.« Er sah vielsagend auf das Kind, das seinen Arm umklammerte. »Vergiss nur nicht, dir anschließend die Hände zu waschen.«

Er löste sich aus dem Griff des Kindes und ließ sich neben der Frau auf die Knie nieder. Dann legte er ihr eine Hand auf die Stirn, glitt in eine Heiltrance und sandte seinen Geist in ihren Körper.

Ihr Körper kämpfte gegen die Krankheit, wie er voller Erleichterung feststellte. Sie brauchte lediglich ein wenig Hilfe. Er zog Magie in sich hinein und benutzte sie, um die Entzündung in ihrer Lunge zu lindern und das Herz zu ermutigen, schneller zu schlagen, um mehr Blut in ihre Gliedmaßen zu pumpen.

Obwohl ihr Körper sich gegen die Krankheit wehrte, konnte Mirar nicht abschätzen, ob sie den Kampf ohne seine Hilfe gewonnen hätte. Die Herzzehre hatte auf Landgeher keine so verheerende Wirkung. Handelte es sich hier um eine stärkere Spielart der Krankheit? Wenn ja, dann stand den Landgehern eine schreckliche Seuche bevor, sollte sie sich auch bei ihnen verbreiten. Andererseits war es durchaus möglich, dass die Siyee für die Herzzehre anfälliger waren. Die Menschen in den Ländern der Landgeher hatten schon früher mit der Krankheit zu tun gehabt, aber dies war möglicherweise das erste Mal, dass die Siyee damit in Berührung kamen. Bedeutete das, dass eine ganze Rasse sich an eine Krankheit gewöhnen konnte?

Es war eine interessante Idee, aber keine, die für die Siyee Gutes verhieß.

Er löste seinen Geist aus dem Körper der Frau. Sie atmete jetzt leichter und war nicht mehr so bleich. Tyve streichelte ihre Hand.

»Ihre Finger sind warm«, sagte er und blickte staunend zu Mirar auf. »Wie machst du das? Es ist… ist… ist…« Er schüttelte den Kopf. »Ich würde alles darum geben, wenn ich das ebenfalls könnte.

Mirar lächelte schief. »Alles?«

Tyve sah die Frau an und nickte. »Ja«, sagte er.

Es geht schon wieder los, dachte Mirar und erinnerte sich an ähnliche Augenblicke im Laufe der Jahrhunderte. Junge Männer oder Frauen entdeckten, welch ein Wunder es war, lebensrettende Hilfe zu spenden. Später, wenn der erste Jubel sich gelegt hatte und er ihnen erklärte, was das Leben eines Traumwebers verlangte, änderten die meisten ihre Meinung wieder.

Wenn Tyve bei seinem Entschluss bleibt, wirst du ihn unterrichten?, fragte Leiard.

Es gibt hier nicht viele andere Dinge, mit denen ich mich beschäftigen könnte, antwortete Mirar. Auf diese Weise werde ich etwas zu tun haben, während ich versuche, mich von den Weißen fernzuhalten.

Was ist mit Jayim?

Bei dem Gedanken an den Jungen, mit dessen Unterweisung Leiard in Jarime begonnen hatte, zuckte Mirar zusammen.

Arleej wird dafür Sorge getragen haben, dass irgendjemand seine Ausbildung beendet. Ich kann es jedenfalls nicht tun.

Nein, aber wenn du gezwungen bist, auch die Ausbildung dieses Jungen abzubrechen, kannst du dich nicht darauf verlassen, dass Arleej deine Arbeit weiterführen wird, bemerkte Leiard.