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Er lachte. »Nein, das ist das ganz normale Leben hier. Die herrschenden Familien versuchen immer, einander zu erzürnen. Außerdem bleibst du ohnehin nur ein paar Tage.«

»Ja«, sagte sie. »Möchtest du, dass ich mir jetzt das Bein anschaue?«

»Wenn es dir nichts ausmacht«, erwiderte er. »Und wenn der Preis stimmt, können wir die Anlegegebühren vielleicht vergessen.«

Sie kicherte. »Das hängt von der Behandlung ab. Am besten, wir setzen uns hin und sehen uns die Sache mal an.«

Tyve landete genau in dem Augenblick, als Wilar aus der Laube kam. Der Traumweber sah Tyve nicht an, sondern schaute zu den anderen Lauben hinüber.

Das tut er jetzt ständig, dachte Tyve. Er hält immer Ausschau nach Auraya. Tyve war den ganzen Morgen damit beschäftigt gewesen, Nachrichten des Traumwebers zu der Weißen zu bringen und umgekehrt. Die beiden Landgeher hatten nicht mehr miteinander gesprochen, seit Auraya angekommen war. Es sieht so aus, als würden sie einander nicht mögen, und Wilar scheint verärgert darüber zu sein, dass sie hier ist. Ich wüsste doch zu gern… Soll ich ihn danach fragen? Allerdings habe ich das Gefühl, dass das kein Thema ist, über das er sprechen will. Und ich glaube nicht, dass ich einer Weißen derart persönliche Fragen stellen sollte, auch wenn sie freundlich zu sein scheint.

Tyve machte einen Schritt auf Wilar zu, dann blieb er jäh stehen, da eine Woge des Schwindels ihn aus dem Gleichgewicht brachte. Er holte tief Luft, aber es half nichts. Irgendetwas verfing sich in seiner Lunge, und plötzlich hustete er.

»Tyve. Setz dich.«

Kräftige Hände hielten ihn fest, während die Welt um ihn herum sich drehte. Er sank auf die Knie. Der Hustenreiz legte sich nach und nach, aber an die Stelle des Unbehagens trat Furcht. Er blickte zu Wilar auf.

»Ich habe es, nicht wahr?«

Wilar nickte grimmig. »Sieht so aus. Mach dir keine Sorgen. Ich werde nicht zulassen, dass du stirbst.«

Tyve nickte. »Ich mache mir keine Sorgen.« Tatsächlich hatte er nicht annähernd so viel Angst, wie er erwartet hätte. Es half, dass er die Krankheit jetzt besser verstand und wusste, dass er wahrscheinlich überleben würde. Mehr als alles andere setzte ihm seine Enttäuschung zu.

»Ich kann dir nicht länger helfen, nicht wahr? Ich werde andere anstecken.«

»Du kannst mir nicht mehr helfen, nein, aber das ist nicht der Grund. Es gibt nicht eine einzige Familie hier, in der nicht ein Mitglied inzwischen erkrankt ist, daher hat ohnehin niemand eine große Chance, eine Ansteckung zu vermeiden. Wir können die Ausbreitung nur verlangsamen, um Zeit zu haben, alle zu behandeln.«

»Dann kann ich dir also doch helfen?«

»Nein. Du wirst rapide an Kraft verlieren. Was wäre, wenn du mitten im Flug ohnmächtig würdest? Du würdest in den Tod stürzen.«

Tyve schauderte. »Dann ist es gut, dass Auraya hier ist, sonst hättest du keine Hilfe.«

Die Lippen des Traumwebers zuckten, und er lächelte schief. »Ich bin mir nicht sicher, ob sie eine große Hilfe sein wird. Die Weißen sind nicht gut darin, Befehle entgegenzunehmen, außer von ihren Göttern.«

In seiner Stimme schwangen sowohl Verbitterung als auch Erheiterung mit. Tyve errötete, als ihm sein Fehler bewusst wurde.

»Ich meinte, Auraya kann helfen…«

»Ich weiß, was du gemeint hast«, versicherte ihm Wilar. Dann wandte er den Blick ab und seufzte. »Dein Dorf wird alle Hilfe brauchen, die es bekommen kann. Die Nachteile ihres Erscheinens hier liegen ganz und gar auf meiner Seite. Falls irgendein Schaden daraus entsteht, dann ist er bereits angerichtet. Für den Augenblick…« Er wandte sich wieder zu Tyve um. »Für den Augenblick muss ich erst einmal einen anderen Boten finden. Hast du die Kraft, zur Laube deiner Familie zurückzufliegen, Tyve?«

Tyve dachte nach. »Sie liegt in einer Senke. Ich kann den größten Teil der Strecke im Gleitflug zurücklegen.« Er stand auf, machte einige Schritte und drehte sich dann um. Diesmal wurde ihm nicht schwindlig. »Ja, ich kann es schaffen.«

»Gut. Dann flieg dorthin und ruh dich aus. Schick Reet zu mir, wenn er aufwacht – falls es ihm gutgeht.«

Tyve trat an den Rand der Plattform. Er sah sich um und stellte fest, dass Wilar ihn genau beobachtete. »Wenn du kommst, um mich zu behandeln, könntest du mir vielleicht erzählen, wie ich Heiler werden kann.«

Wilars Augen leuchteten auf, obwohl er nicht lächelte. »Vielleicht. Aber erwarte nicht, dass Auraya diese Idee gefallen wird.«

»Warum nicht?«

Der Traumweber schüttelte den Kopf. »Ich werde es dir später erzählen. Und jetzt geh, bevor ich komme und dich selbst hinunterstoße.«

Tyve grinste. Dann wandte er sich ab, beugte sich vor, streckte die Arme aus und überließ sich den Strömungen der Luft.

29

Imi beäugte den Teller und kam bedauernd zu dem Schluss, dass sie keinen Bissen mehr herunterbekommen würde. Sie schaute zu der Dienerin hinüber, die in der Nähe stand, und deutete mit einer abschätzigen kleinen Bewegung auf das Essen – eine Geste, die sie bei Imenja beobachtet hatte. Die Frau trat vor, griff nach dem Tablett, verbeugte sich und trug es davon.

Imi seufzte zufrieden und ließ sich wieder in das Becken sinken. Sie fühlte sich schon viel besser. Es lag nicht nur an dem Essen und an dem salzigen Wasser. Diese schwarzgewandeten Leute waren so nett zu ihr. Es tat gut, nicht mehr die ganze Zeit Angst haben zu müssen.

Die Zeltlasche wurde geöffnet. Das goldene Licht der untergehenden Sonne zeichnete eine vertraute weibliche Gestalt nach. Imi richtete sich auf und lächelte, als Imenja an den Rand des Beckens trat.

»Hallo, Prinzessin Imi«, sagte sie. »Wie geht es dir?«

»Viel besser.«

»Bist du kräftig genug, um zu gehen?«

Imi sah sie überrascht an. Gehen? Imi spannte die Beinmuskeln an. Es wäre wahrscheinlich möglich, wenn wir nicht zu weit gehen müssen.

»Ich könnte es versuchen«, erwiderte sie.

»Ich würde dich gern an einen bestimmten Ort bringen. Es ist nicht weit«, erklärte Imenja. »Die Erste Stimme, Nekaun, der Anführer meines Volkes, wünscht, dich kennen zu lernen. Würde dir das gefallen?«

Imi nickte. Sie war eine Königstochter. Es ergab durchaus einen Sinn, dass der Anführer dieses Landes sie kennen lernen wollte. Aber dann zerstob ihr Eifer, als sie sich die Begegnung mit diesem wichtigen Mann ausmalte. Plötzlich wünschte sie, sie wäre älter und erwachsener. Was sollte sie sagen? Was sollte sie nicht sagen? Niemand hatte sie gelehrt, wie man sich in der Gegenwart der Anführer anderer Länder benahm.

Vermutlich hat Vater geglaubt, dass ich niemals in eine solche Situation kommen würde.

Sie stand langsam auf. Ihre Beine waren noch ein wenig schwach, aber es war nicht schlimmer als an dem ersten Tag, den sie auf dem Schiff der Plünderer verbracht hatte. Sie trat über den Rand des Beckens auf das trockene Pflaster, dann sah sie Imenja erwartungsvoll an. Die Frau lächelte und hielt ihr die Hand hin. Imi ergriff sie, und sie verließen Seite an Seite das Zelt.

Der Innenhof sah genauso aus wie bei ihrer Ankunft, nur dass es jetzt fast Nacht war. Imenja führte sie auf einen Balkon an einer Seite des Gebäudes und durch eine offene Tür. Das Innere war kühl. Ein langer Flur wurde vom Licht mehrerer Lampen erhellt. Diesen Flur gingen sie hinunter zu einer Treppe. Der Weg hinauf war kurz, aber als Imi oben ankam, war sie dennoch außer Atem. Imenja blieb vor einer Nische stehen, um Imi die spezielle Technik zu erklären, mit der die Schnitzereien in der Nische gefertigt worden waren. Als sie weitergingen, hatte Imis Atmung sich beruhigt.

Ein weiterer Flur folgte. Imenja machte vor einer großen, überwölbten Tür Halt und deutete auf den Raum dahinter. »Die Erste Stimme wartet hier auf uns«, murmelte sie. »Sollen wir hineingehen?«