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»Wer wird nach den Leuten sehen? Wer wird Auraya deine Nachrichten überbringen?«

»Es gibt noch andere Siyee, die gesund genug sind, um diese Aufgabe zu übernehmen. Und nun lass uns mal sehen, wie es deinem Bruder geht.«

»Ihm geht es besser«, erklang eine Stimme aus der Laube.

Reets Mutter lehnte am Eingang der Laube. Mirar schüttelte den Kopf und ging auf sie zu.

»Du solltest ebenfalls im Bett liegen«, erklärte er.

»Du hast gesagt, ich sei auf dem Weg der Genesung«, erwiderte sie.

»Aber das wird seine Zeit brauchen.«

»Irgendjemand muss den Jungen zu essen geben.«

Er griff nach ihrem Arm und führte sie zurück in die Laube, wo er ihr half, wieder ins Bett zu steigen. Als sie sich niedergelegt hatte, ließ er Reet bei ihr zurück und ging in den Nebenraum. Auf einer Seite hingen zwei Schlingenbetten, von denen eines leer war. Der Junge, der in dem anderen lag, schlief; seine Atmung ging langsam und ungehindert, und seine Haut war bleich, aber nicht bläulich.

Es scheint, als hätte dein zukünftiger Schüler die Krankheit überwunden, bemerkte Leiard.

Ja, erwiderte Mirar. Er drehte sich um und rief nach Reet.

Reet kam hastig herbeigeeilt und sah seinen Bruder ängstlich an.

»Er hat die Herzzehre besiegt«, erklärte Mirar. »In einigen Tagen wird er sich wieder so weit erholt haben, dass er aufstehen kann.« Er deutete auf das leere Bett. »Jetzt bist du an der Reihe. Ruh dich aus.«

Reet zögerte, dann kletterte er widerstrebend in die Schlinge. Mirar trat einen Schritt näher an Tyve heran und tat so, als untersuche er den schlafenden Jungen, während er in Wirklichkeit dessen Bruder beobachtete. Reet seufzte und hustete ein wenig, dann verlangsamte sich seine Atmung, und er sank in einen tiefen Erschöpfungsschlaf.

»Hat Reet sich angesteckt?«

Mirar zuckte zusammen. Er sah zu Tyve hinüber und stellte fest, dass der Junge ihn beobachtete.

»Du brauchst keine Angst um ihn zu haben«, murmelte er. »Ich werde dafür sorgen, dass er sich erholt.«

Tyve nickte. Er schloss die Augen, und ein schwaches Lächeln glitt über seine Züge. »Ich weiß.«

»Du hast das Schlimmste überwunden«, fuhr Mirar fort.

»Ich bin so müde. Wann werde ich wieder fliegen können?«

»In einigen Tagen kannst du anfangen, die Muskeln in deinen Armen wieder aufzubauen.«

Leichte Schritte lenkten Mirars Aufmerksamkeit auf den Eingang des Raums. Die Mutter der Jungen war mit einer Schale Wasser eingetreten. Er seufzte und verschränkte die Arme vor der Brust.

»Was muss geschehen, um dich dazu zu bringen, im Bett zu bleiben?«

»Wie lange ist es her, dass Reet das letzte Mal etwas gegessen hat?«, hielt sie dagegen.

Gewissensbisse stiegen in ihm auf; er konnte die Frage nicht beantworten. Sie blickte ihm forschend ins Gesicht und nickte.

»Das habe ich mir gedacht. Die Weiße Dame hat Essen und frisches Wasser gebracht. Wie ich höre, ist sie keine so gute Heilerin wie du, aber sie kann fliegen. Das ist… nützlich.«

Mirar nahm ihr die Schale ab. »Woher weißt du, was die Leute im Dorf reden?«, fragte er. Er machte sich Sorgen, dass die Menschen einander heimlich besuchten.

»Reet hat neben den Nachrichten für dich auch Klatsch und Tratsch mitgebracht.«

Er lachte leise und wandte sich wieder zu Tyve um. Der Junge griff nach der Schale und trank sie hastig leer. Das Wasser schien ihm ein wenig Kraft zu geben.

»Wie kommt es, dass du Auraya schon früher gekannt hast?«, erkundigte sich Tyve.

»Das ist etwas, das ich lieber für mich behalten möchte«, antwortete Mirar.

Tyve zog die Augenbrauen hoch und runzelte dann die Stirn. »Du magst sie nicht.«

Mirar schüttelte unwillkürlich den Kopf. »Das ist nicht wahr.«

Er nahm die leere Schale entgegen und reichte sie Tyves Mutter. Sie ging fort, um sie wieder aufzufüllen.

»Dann hasst du sie also?«

»Nein.«

Bist ziemlich neugierig, wie?, bemerkte Leiard.

»Was hältst du denn von ihr?«

Mirar zuckte die Achseln. »Sie ist eine tüchtige Frau. Mächtig. Intelligent. Mitfühlend.«

Tyve verdrehte die Augen. »Das meinte ich nicht. Wenn du sie nicht hasst, was empfindest du dann für sie?«

»Weder Freundschaft noch Feindseligkeit. Ich nehme an, ich empfinde Respekt.«

»Dann magst du sie also doch?«

»Wenn ›Respekt‹ gleichbedeutend mit ›mögen‹ ist, dann dürfte das wohl zutreffen.«

Tyve schnalzte unbefriedigt mit der Zunge und wandte den Blick ab. Dann wurden seine Augen schmal. »Wenn ich dein Schüler wäre, würde ich dann die Welt bereisen?«

Mirar lachte. »Wer sagt, dass du mein Schüler werden wirst?«

»Noch niemand. Aber wenn ich es wäre, würde ich dann wichtige Leute wie Auraya kennen lernen?«

»Ich hoffe nicht.«

Der Junge zog die Brauen zusammen. »Warum würdest du das nicht wollen?«

»Wichtige Leute sind immer entweder von Sorgen geplagt oder selbst der Quell für Streitigkeiten. Halte dich von ihnen fern.«

Du hörst dich schon genauso an wie ich, warf Leiard ein.

Tyves Augen leuchteten auf. »Ist es das, was dir widerfahren ist? Hat Auraya dich irgendwie in Schwierigkeiten gebracht?«

Mirar machte einen Schritt auf die Tür zu. »Das geht dich nichts an. Ich hoffe, dass du, wenn du deine Stärke zurückgewinnst, auch den Respekt gegenüber Älteren und Besuchern wiederfindest, Tyve. Anderenfalls befürchte ich, dass du dich in eine schamlose Klatschbase verwandeln wirst.« Er wandte sich ab und ging zur Tür, dann hörte er Tyves Bett knarren, als der Junge sich aufrichtete.

»Aber…«

Mirar blickte über seine Schulter, legte einen Finger auf den Mund und sah bedeutungsvoll zu dem schlafenden Reet hinüber. Tyve biss sich auf die Unterlippe, dann ließ er sich mit einem Seufzen wieder in sein Bett sinken.

Im Nebenzimmer traf Mirar auf die Mutter der Jungen.

»Du hast recht«, sagte er. »Tyve geht es besser. Ich befürchte allerdings, dass du deine liebe Not haben wirst, ihn im Bett zu halten. Versuche, ihn am Fliegen zu hindern, bis er wieder ganz bei Kräften ist.«

Sie nickte. »Und Reet?«

»Du solltest ihn genau beobachten.«

»Das werde ich tun.« Sie ging mit der frisch aufgefüllten Schale an ihm vorbei.

Mirar verließ die Laube und trat auf die Schlinge zu. Er hielt jedoch noch einen Moment lang inne, um darüber nachzudenken, wer gesund genug war, um Reet als Boten zu ersetzen. Plötzlich hörte er hinter sich den dumpfen Aufprall von Füßen auf Holz. Er drehte sich um und erblickte Auraya.

»Lei… Wilar«, sagte sie. »Sprecher Veeces Zustand verschlechtert sich wieder. Er braucht deine Hilfe.«

Mirar war gleichzeitig entsetzt und erfreut. Ihre Neuigkeiten beunruhigten ihn, andererseits war er sich nicht sicher, warum er glücklich darüber war, dass sie ihn aufgesucht hatte. Vielleicht nur deshalb, weil sie damit eingestand, dass er über größere Fähigkeiten verfügte als sie.

Nein, sagte Leiard. Das ist nicht der Grund. Du bist eitel, aber nicht so eitel. Du freust dich darüber, dass sie dir nicht länger ausweicht. Du magst sie.

»Dann sollte ich wohl besser aufbrechen«, murmelte er. Während er sich die Schlinge umlegte, überlegte er, auf welchem Weg er am schnellsten zu der Plattform des Sprechers gelangen würde. Dann wurde ihm klar, dass Auraya ihn immer noch beobachtete.

»Ich werde dich dort treffen«, sagte er.

Sie nickte, ging zum Rand der Plattform und schwang sich in die Luft. Obwohl sie es nicht nötig gehabt hätte, ahmte sie den anmutigen Flug der Siyee nach und erreichte die Laube des Sprechers binnen weniger Augenblicke. Sie bewegte sich so mühelos, so natürlich, dass er ein Echo seiner früheren Bewunderung für sie nicht unterdrücken konnte.

Es ist nicht deine Bewunderung, korrigierte ihn Leiard. Dieses Gefühl ist das meine.