Fahnden anhand des Charakters und der Lebensgeschichte, nicht anhand von Alibis. Hören auf das, was sie sagten und nicht sagten; erkennen, wieweit sie Herr und nicht Herr über sich waren.
Als ich dastand und mir die ganze Gesellschaft ansah, wußte ich, daß nur jemand aus der Familie selbst diesen Weg einschlagen konnte, und wenn ich es nicht tat, würde es keiner tun.
Norman West und Kommissar Yale konnten in die Fakten eindringen. Ich würde in die Menschen eindringen. Gewiß ein hoher Anspruch, dachte ich selbstironisch; es gab nur ein Problem dabei. Die Menschen würden alles tun, damit ich draußen blieb.
Ich mußte mir darüber klar sein, daß mein Vorhaben mehr Ärger als Ergebnisse bringen konnte. Die Fähigkeit zu morden entging mitunter selbst hochqualifizierten Psychiatern, die sich bekanntlich schon für die Freilassung gebesserter Straftäter ausgesprochen hatten, nur um zu erleben, daß diese geradewegs losliefen und töteten. Ein hochqualifizierter Psychiater war ich nicht. Bloß jemand, der sich erinnern konnte, wie wir gewesen waren, und der lernen konnte, wie wir jetzt waren.
Ich sah auf das fürchterlich ramponierte Haus und schauderte. Am Montag waren wir unerwartet zurückgekehrt; heute war Freitag. Das Tempo der Planung und Ausführung an sich war schon erschreckend. Wahrscheinlich kamen wir nie wieder mit dem Schrecken davon. Malcolm hatte durch reines Glück drei Anschläge überlebt, aber für einen vierten hätte Ferdinand wohl keine günstige statistische Prognose gestellt.
Die Familie sah friedlich und normal aus im Gespräch mit den Reportern, und ich war erfüllt von einem Gefühl der Dringlichkeit und ahnte Böses.
Kapitel 11
Einer von Malcolms Hunden kam über das Gras auf ihn zugesprungen, und Sekunden später kam der andere. Malcolm streckte eine Hand aus seiner Decke und streichelte sie, aber eher zerstreut als begrüßend. Hinter den Hunden erschien Arthur Bellbrook mit einem Gesicht voll Bestürzung und Sorge, das sich wesentlich aufhellte, als er Malcolm erblickte. In seiner Schmuddelhose, der abgewetzten Tweedjacke und alten Armeestiefeln kam er humpelnd herbeigerannt und hielt ganz außer Atem neben Malcolm an.
«Sir! Sie leben ja! Ich war in Twyford Unkrautvertilger kaufen. Als ich wiederkam, erzählten sie mir im Dorf…«
«Grobe Übertreibung«, sagte Malcolm nickend.
Arthur Bellbrook wandte sich keuchend an mich.»Es hieß, Sie wären beide tot. Auf der Straße kam ich nicht voran… mußte über die Felder gehen. Wie das Haus aussieht!«
Ich erklärte, daß wir in London gewesen waren, und fragte ihn, wann er am Vortag nach Hause gegangen sei.
«Um vier, wie immer. Na, sagen wir zwanzig vor. So ungefähr. «Er kam langsam wieder zu Puste, und seine Augen waren rund vor Unglauben, während er auf die Verwüstung starrte.
Eher gegen halb vier, dachte ich im stillen, wenn er schon zugab, daß er vorzeitig Schluß gemacht hatte.
«Sind Sie im Lauf des Tages irgendwann ins Haus gegangen?«fragte ich.
Er blickte von den Trümmern zu mir und hörte sich gekränkt an.»Nein. Sie wissen doch, daß ich das gar nicht gekonnt hätte. Sie verrammeln das Haus wie eine Festung, seit Sie wieder hier sind, und ich habe keinen Schlüssel. Woher hätte ich einen
Schlüssel nehmen sollen?«
Ich sagte beschwichtigend:»Wir sind eben nervös… denn irgend jemand war drin, es muß einer reingekommen sein.«
«Ich nicht. «Er war etwas besänftigt.»Ich habe den ganzen Tag im Gemüsegarten geschafft, Kartoffeln ausgegraben und so weiter. Die zwei Hunde hatte ich bei mir, an der Laufleine. Wenn jemand versucht hätte, ins Haus zu kommen, hätten sie bestimmt gebellt, aber sie waren still.«
Malcolm sagte:»Arthur, können Sie die Hunde noch ein, zwei Tage behalten?«
«Ja, ich…«Er schaute hilflos auf den Schutthaufen, der sich über die Terrasse und auf den Rasen ergoß.»Was soll ich mit dem Garten machen?«
«Einfach… weiter wie bisher«, sagte Malcolm.»Halten Sie ihn sauber. «Er fand es nicht unpassend, das Terrain zu kultivieren, obwohl meiner Meinung nach die Natur, sich selbst überlassen, mit verstreutem Laub und höher wachsendem Gras die rohe Brutalität der angerichteten Zerstörung gemildert hätte.
Der Kommissar bemerkte Arthur Bellbrook, kam zu ihm herüber und stellte ihm die gleichen Fragen wie ich.
Auch ihn schien er gut zu kennen, zweifellos von den Ermittlungen wegen Moira, und wenn zwischen ihnen keine Freundschaft bestand, dann doch offensichtlich gegenseitiger Respekt.
Die Reporter machten sich, nachdem sie Gervase ausgequetscht hatten, an Malcolm, den Gärtner und den Kommissar heran. Ich entfernte mich, überließ ihnen das Feld und versuchte mit Ferdinand zu reden.
Er war abweisend und antwortete einsilbig oder mit Achselzucken.
«Wahrscheinlich«, sagte ich bitter,»wäre es dir lieber, ich läge zerfetzt und zerquetscht unter dem ganzen Zeug da.«
Er sah auf die Tonnen eingestürzten Mauerwerks.»Nicht direkt«, sagte er kühl.
«Immerhin etwas.«
«Du kannst nicht erwarten, daß es uns gefällt, wenn du bei Malcolm in besonderer Gunst stehst.«
«Ihr hattet drei Jahre«, hob ich hervor,»in denen er nicht mit mir reden wollte. Warum habt ihr sie vergeudet? Warum habt ihr euch nicht selbst um seine Gunst bemüht?«
«Wir kamen nicht an Moira vorbei.«
Ich lächelte halb.»Ging mir genauso.«
«Wir reden von der Gegenwart«, sagte er. Er sah Malcolm überaus ähnlich, bis hin zu dem sturen Augenausdruck.
«Was soll ich denn tun, ihm davonlaufen und zulassen, daß er ermordet wird?«sagte ich.
«Davonlaufen.«
«Deshalb will er mich doch bei sich haben — damit ich ihn nach Möglichkeit beschütze. Er hat mich gebeten, sein Leibwächter zu sein, und ich war einverstanden.«
Ferdinand starrte mich an.»Alicia sagte…«
«Alicia ist verrückt«, unterbrach ich heftig.»Genau wie du. Sieh dich doch an. Habgier, Eifersucht und Bosheit, das alles hast du in dich reingelassen. Ich steche euch nicht bei Malcolm aus, auf die Idee käme ich gar nicht. Glaub zur Abwechslung mal daran, Bruder, dann ersparst du dir viel Angst.«
Enttäuscht wandte ich mich von ihm ab. Sie waren alle verdreht, dachte ich. Sie hatten mich fast angefleht, meinen Einfluß bei Malcolm geltend zu machen, damit er aufhörte, Geld zu verschwenden, und ihnen aus der Klemme half, und gleichzeitig glaubten sie, ich würde sie zu meinem Vorteil hintergehen. Andererseits waren die Menschen schon immer imstande gewesen, zwei einander widersprechenden Ideen gleichzeitig anzuhängen, auch im guten alten Rennsport gab es das. Stewards, Presse und Öffentlichkeit hatten vor Jahren einen glänzenden Trainer zum» unehrlichsten «gestempelt und einen großen Jockey zum» ehrlichsten «erklärt, wobei sie blind darüber hinweggingen, daß eben dieser vertrauenswürdige Jockey fast seine gesamte Laufbahn hindurch für den glänzenden Trainer geritten war. Ich hatte mal eine Karikatur gesehen, deren Text das schön zusammenfaßte:»Fester Glaube wird durch keine Tatsache erschüttert.«
Ich wünschte, ich hätte Ferdinand nicht angegriffen. Mein Plan der Detektivarbeit von innen war bestimmt nicht von Erfolg gekrönt, wenn ich meine Gefühle so leicht dazwischentreten ließ. Vielleicht hielt ich die Familie für ungerecht, vielleicht hielten sie mich für hinterlistig: Okay, sagte ich mir, akzeptier das alles, und vergiß es. Ich hatte mich einen großen Teil meines Lebens mit ihren Ressentiments abfinden müssen, und es war höchste Zeit, daß ich dagegen immun wurde.
Leichter gesagt als getan, versteht sich.
Kommissar Yale hatte genug von den Reportern. Die Familie hatte sich unterdessen in zwei größere Gruppen aufgeteilt, Viviens Sektion und Alicias Sektion, zwischen denen Joyce und ich zögernd herumstanden. Der Kommissar ging von einer Gruppe zur anderen und bat uns, mit auf die Polizeistation zu kommen.»Da Sie alle hier sind«, sagte er gerade,»können wir Ihre Aussagen ebensogut gleich aufnehmen, dann brauchen wir Sie später nicht zu belästigen.«