«Ich glaube, Norman West hat uns gut beraten.«
«Ich auch.«
Die Watsons, Vater und Sohn, frühstückten am nächsten Morgen in der warmen Luft draußen am Pool, saßen auf weißen Stühlen an einem weißen Tisch unter einem gelben Sonnenschirm, sahen die Orangen zwischen dunkelgrünen Blättern reifen und redeten von Schrecknissen.
Ich fragte ihn eher beiläufig, ob er sich an Fred und die
Baumstrünke erinnere.
«Natürlich«, sagte er sofort.»Der verdammte Narr hätte sich umbringen können. «Er krauste die Stirn.»Was hat das mit der Bombe in Quantum zu tun?«
«Kommissar Yale meint, das könnte jemand auf die Idee gebracht haben.«
Er dachte darüber nach.»Möglich wär’s.«
«Der Kommissar oder seine Leute haben den alten Fred gefragt, womit er das Kordit hat hochgehen lassen«- ich erzählte Malcolm von dem Pulvervorrat, der noch im Geräteschuppen herumlag —,»und Fred meinte, er habe ein paar Zündkapseln gehabt, aber nach dem ersten Knall seist du rausgekommen und hättest sie ihm abgenommen.«
«Guter Gott, das hatte ich vergessen. Stimmt ja. Ihr wart alle dabei, was? So ziemlich die ganze Familie.«
«Ja, es war solch ein Wochenende. Helen sagt, damals hat sie dich kennengelernt; sie war auch da, vor ihrer Heirat mit Donald.«
Er dachte zurück.»Das weiß ich nicht mehr. Ich weiß nur noch, daß ihr viele wart.«
«Der Kommissar wüßte gern, was aus den Zündkapseln geworden ist, nachdem du sie beschlagnahmt hast.«
Er starrte mich an.»Das ist doch bestimmt zwanzig Jahre her«, protestierte er.
«So was bleibt ja vielleicht in Erinnerung.«
Er schüttelte zweifelnd den Kopf.
«Hast du sie der Polizei übergeben?«
«Nein. «Da war er jedenfalls sicher.»Der alte Fred hätte sie zwar nicht haben dürfen, aber ich hätte ihn deswegen nicht in Schwierigkeiten gebracht, und auch den Freund nicht, der sie ihm besorgt hat. Ich wette, sie waren geklaut.«
«Weißt du noch, wie sie aussahen?«fragte ich.
«Ja, ich glaube schon. «Er krauste nachdenklich die Stirn, goß sich Kaffee nach.»Sie lagen nebeneinander in einer Blechdose, sorgfältig auf Watte gebettet, damit sie nicht rumkullern. Kleine silbrige Röhren, etwa sechs Zentimeter lang.«
«Fred sagt, es lag eine Gebrauchsanweisung bei.«
Er lachte.»Ach ja? Ein Bombenbaukasten für Heimwerker?«Er wurde plötzlich ernst.»Genau das war es wohl. Ich entsinne mich nicht an die Gebrauchsanweisung, aber sie wird schon dabeigewesen sein.«
«Daß sie gefährlich waren, war dir klar, oder?«
«Wahrscheinlich, aber seinerzeit wußten Normalbürger noch nicht soviel von Bomben. Ich meine, von Terroristenbomben. Wir waren aus der Luft bombardiert worden, aber das ist was anderes. Ich nehme an, ich habe Fred die Zünder weggenommen, damit er keine Sprengungen mehr veranstaltet, nicht weil sie an sich gefährlich waren, wenn du verstehst, was ich meine.«
«M-hm. Aber du wußtest, daß man sie nicht fallen lassen darf?«
«Du meinst, wenn ich sie hätte fallen lassen, würde ich jetzt nicht hier sitzen und darüber reden?«
«Laut dem Sprengstoffexperten, der in Quantum gearbeitet hat, sehr wahrscheinlich nicht.«
«Ich hatte nie mit Sprengmitteln zu tun, da ich Adjutant war. «Er strich Butter auf ein Stück Croissant, fügte Marmelade hinzu und aß es auf. Als junger Offizier im Kriegsdienst hatte er Einzelheiten von Truppenbewegungen festgelegt und Einsatzkommandeuren assistiert, oft nah genug an den Feinden, aber nicht so, daß er das Weiße ihrer Augen sah. Er sprach selten davon: Es gehörte schon der Vergangenheit an, bevor ich auf die Welt kam.
«Ich habe mich auch nach der ganzen Zeit noch erinnert, wo das Kordit war«, sagte ich.»Wenn du dir vorstellst, wie du mit der Dose Zündkapseln ins Haus gehst, wo würdest du sie dann wahrscheinlich hintun? Sicher dahin, wo du sie als erstes suchen würdest, oder?«
«Ja«, nickte er,»das war immer mein System. «Ein abwesender, unkonzentrierter Blick trat in seine Augen, dann setzte er sich plötzlich kerzengerade.
«Ich weiß, wo sie sind! Ich hab die Dose vor nicht allzu langer Zeit noch gesehen, als ich was anderes suchte. Ich habe nicht weiter drauf geachtet. Mir war auch gar nicht bewußt, was sie enthielt, aber jetzt bin ich ziemlich sicher, daß sie es war. Es ist eine Art Bonbondose, nicht besonders groß, mit einem Deckelbild.«
«Wo war sie und wann?«
«Inzwischen«, sagte er besorgt,»sind die Dinger doch sicher unbrauchbar.«
«Sehr wahrscheinlich nicht.«
«Sie sind im Büro. «Er zuckte entschuldigend die Achseln.»Du weißt, daß ich da nie aufräume. Ich würde im Leben nichts mehr wiederfinden. Wie oft mußte ich aufpassen, daß da keiner saubermacht.«
«Moira zum Beispiel?«
«Sie konnte kaum die Finger davon lassen.«
«Wo im Büro?«Ich erinnerte mich an den Wirrwarr in der Schreibtischlade, als ich seinen Paß geholt hatte. Das ganze Zimmer war entsprechend.
«Auf ein paar Büchern in der Schrankkommode. Untere Reihe, ganz rechts, mehr oder weniger außer Sicht, wenn die Tür zu ist. Auf dem Dickens. «Plötzlich grinste er übers ganze Gesicht.»Bei Gott, jetzt erinnere ich mich. Da hab ich sie hingetan, weil auf dem Dosendeckel Der Raritätenladen abgebildet war.«
Ich fuhr mit der Hand über mein Gesicht, um nicht zu lachen. Kommissar Yale würde seinen Spaß daran haben.
«Sie liegen da schon gut«, erklärte Malcolm,»hinter Glas. Ich meine, so daß keiner drüber stolpern kann, oder? Und da sind sie.«
Ich hielt es für höchst wahrscheinlich, daß sie dort nicht mehr waren, sparte mir aber den Hinweis.»Das Glas in der Schranktür ist zerbrochen«, sagte ich.
Das tat ihm leid. Der Schrank sei von seiner Mutter, sagte er, mitsamt den Büchern.
«Wann hast du die Dose dort gesehen?«fragte ich.
«Keine Ahnung. Allzu lange kann’s nicht hersein, würde ich meinen, aber die Zeit vergeht so schnell.«
«Nach Moiras Tod?«
Er legte die Stirn in Falten.»Nein, kaum. Und davor war ich acht oder zehn Tage aus dem Haus, weil ich ihre Gegenwart nicht ertragen konnte und sie die Stellung hielt. Davor hatte ich mal irgendwas in einem Buch nachgesehen. Nicht bei Dickens, ein oder zwei Reihen drüber. Weiß nicht mehr, was für ein Buch, obwohl es mir wahrscheinlich einfallen würde, wenn ich davorstünde und mir die Titel ansähe. Alles in allem wird’s über drei Monate hersein.«
Ich überlegte ein wenig und trank meinen Kaffee.
«Ich nehme an, der Schrank ist hin und wieder beim Renovieren verrückt worden. Dann kamen die Bücher raus.«
«Mach dich nicht lächerlich«, unterbrach Malcolm belustigt.»Er wiegt über eine Tonne. Die Bücher bleiben drin. Renoviert wird drum herum oder, wenn ich es vermeiden kann, überhaupt nicht. Moira wollte mich dazu bringen, alles auszuräumen, damit sie das ganze Büro dunkelgrün streichen konnte. Ich habe auf stur geschaltet. Sie hatte das übrige Haus. Der Raum gehört mir.«
Ich nickte träge. Es war schön in der Sonne. Einige Leute ließen sich bräunen, ein Kind badete, ein Kellner im weißen Jackett brachte jemandem das Frühstück. Alles weit weg von den Trümmern von Quantum.
Von diesem ruhigen Sonntagmorgen bis zum Mittwoch führten Malcolm und ich das gleiche losgelöste Dasein, ließen uns in einer Stretchlimousine, die er anscheinend nach Metern gemietet hatte, durch Los Angeles, Hollywood und Beverly Hills kutschieren, drehten die Hälse wie Touristen, fuhren nachmittags zur Rennbahn von Santa Anita, dinierten in Restaurants wie dem Le Chardonnay.
Nach und nach erzählte ich ihm, was in der Familie geschehen war, ohne mich aufzudrängen oder zu ereifern, nie zuviel auf einmal, und hörte sofort auf, wenn er sich ungeduldig zeigte.
«Donald und Helen sollten ihre Kinder auf staatliche Schulen schicken«, meinte er ruhig.
«Sollten sie vielleicht. Aber du hast Donald nach Marlborough geschickt, und da warst du auch selbst. Donald will das Beste für seine Jungs. Er plagt sich, um ihnen das zu geben, was du ihm mit links gegeben hast.«