»Washington«, sagte der Network-Direktor hinter seinem massiven Schreibtisch. »Falls wirklich was vertuscht wird, dann läuft die Sache dort.«
»Vielleicht komme ich an jemand aus dem Space Council ran«, meinte Edith.
»Die Vizepräsidentin? Na sicher!«
»Nein, an die nicht. Aber einige meiner Kontaktleute in Houston haben einen ziemlich guten Draht zu ein paar von den Männern im Space Council. Ich glaube, ich könnte ein oder zwei von ihnen dazu bringen, mit mir zu reden — wahrscheinlich aber nur inoffiziell.«
»Das wäre ein Anfang.«
»Lassen Sie’s mich auf diesem Weg probieren. Wenn es nicht klappt, kann ich nach Santa Fe fahren und mit Jamies Großvater sprechen.«
Der Mann nickte, den Blick auf ihre Bluse gerichtet.
Edith beschloß, ihre Trumpfkarte auszuspielen. »Und ich könnte jederzeit Kontakt mit Jamie aufnehmen, auf persönlicher Basis. Das Projekt erlaubt persönliche Anrufe, und ich bin sicher, daß er einen von mir annehmen würde. Die Funktionäre brauchen ja nicht zu wissen, daß ich Reporterin bin.«
»Die persönlichen Anrufe sind privat.«
»Nicht, wenn ich sie auf meiner Seite aufzeichne«, sagte Edith und gab ihrem Lächeln eine listige Note.
Der Mann kaute auf seiner Unterlippe. Sein Gesicht zuckte heftig. Schließlich sprang er auf und streckte ihr die Hand über den Schreibtisch hinweg entgegen.
»Okay. Tun Sie’s.«
»Bin ich engagiert?«
»Als Beraterin. Honorar und Spesen pro Tag. Wenn das hier klappt, sind Sie engagiert. Einverstanden?«
Edith erhob sich von ihrem Stuhl und ergriff seine ausgesteckte Hand. »Sie werden es nicht bereuen«, sagte sie.
Howard Francis grinste sie an. »Wollen wir’s hoffen.« Dann fügte er hinzu: »Kommen Sie, gehen wir einen Happen essen.«
Edith stimmte mit einem Nicken zu und dachte an das alte Sprichwort, daß man keinem Mann mit zwei Vornamen trauen sollte.
TRANSIT
STURMKELLER
Als sie die Hälfte der Strecke zum Mars zurückgelegt hatten, wurde die Sonne auf einmal tödlich.
Die Marsmission war in eine Phase geringer Sonnenaktivität gelegt worden. Trotzdem gab es nur eine minimale Chance, daß die Raumschiffe ihre menschliche Fracht neun Monate lang durch den interplanetaren Raum transportieren konnten, ohne in einen magnetischen Sturm zu geraten, der von einer Sonneneruption ausgelöst wurde.
Sowohl auf der Erde als auch in der unterirdischen Basis auf dem Mond saßen Solarmeteorologen in engen, kleinen Arbeitsräumen, die mit summenden Computern und Videomonitoren vollgestopft waren, und beobachteten die Sonne. Sie sahen, wie eine Reihe von Flecken — jeder einzelne größer als die Erde — auf der strahlenden Oberfläche der Sonne Gestalt annahmen. Ihre Instrumente registrierten schwache Emissionen im Radiofrequenzbereich und Ausbrüche weicher Röntgenstrahlung, die von der Gruppe der Sonnenflecken stammten. Alles völlig normal.
Dann folgte die Eruption. Nichts Spektakuläres für das Auge. Nur ein kurzer Lichtblitz. Aber die ankommende Strahlung wuchs rasch und bedrohlich, ihre Intensität stieg innerhalb von ein paar Minuten auf das Hundertfache des Normalwerts, dann auf das Tausend- und Zehntausendfache. Ultraviolett- und Röntgensensoren an Bord der Überwachungssatelliten wurden überlastet. Ein starker Ausbruch von hochfrequentem Rauschen brutzelte in den Empfängern der Astronomen überall auf der Erde und setzte das Radioteleskop in der Mondbasis außer Betrieb. Es war eine völlig normale Sonneneruption, nicht stärker als hundert Milliarden gleichzeitig explodierende Wasserstoffbomben. Ihre Gesamtenergie betrug weniger als eine Viertelsekunde des normalen Energieausstoßes der Sonne.
Aber die Wolke subatomarer Partikel, die sie ins All blies, konnte ungeschützte Menschen innerhalb von Sekunden töten.
Die Solarmeteorologen setzten augenblicklich eine Warnung an die Marsschiffe ab, die über siebzig Millionen Kilometer von der Erde entfernt waren. Die elektromagnetische Strahlung der Eruption, die ebenso wie die Radiosignale der Astronomen mit Lichtgeschwindigkeit unterwegs war, traf die Raumschiffe im selben Moment, als die Warnungen eintrafen.
Das Blöken der Alarmsirenen hallte durch beide Schiffe, scheuchte die Männer und Frauen auf, die gerade mit ihren Arbeiten beschäftigt waren, und riß die Schlafenden aus ihren Träumen. Binnen Sekunden wich der erste adrenalingetränkte Schock den Reaktionen, die den Marsteams im jahrelangen Training eingedrillt worden waren. Jeder Mann und jede Frau in den beiden Raumschiffen stürzte, sprintete, rannte zu den Strahlungsbunkern.
Die erste Welle elektromagnetischer Energie, die von der Eruption stammte, war nämlich nur der Vorläufer, der Lichtblitz, der den nahenden Sturm ankündigt. Ihm würde in ein paar Minuten oder vielleicht auch erst ein paar Stunden eine riesige, sich ausdehnende Wolke energiereicher Protonen und Elektronen folgen, Partikel, die die Hülle des Schiffes durchdringen und menschliches Fleisch innerhalb von Sekunden braten konnten.
Im erdnahen Orbit schützt das Magnetfeld der Erde die Astronauten vor den Partikeln der Sonneneruptionen. Es lenkt die von der Sonne weggeschleuderten energiereichen Protonen und Elektronen ab und pumpt sie schließlich am magnetischen Nordpol und Südpol in die Atmosphäre. Nach einer großen Sonneneruption können spektakuläre Polarlichter mehrere Nächte hintereinander den Himmel in ein Farbenmeer tauchen. Das geomagnetische Feld wird von dem Partikelsturm geprügelt und verbeult; tagelang vibriert es, jaulend wie Banjosaiten. Funksendungen werden verstümmelt. Selbst unterirdische Telefonverbindungen können gestört werden.
Auf der Erde selbst absorbiert die Atmosphäre alle Partikel, die das Magnetfeld durchdringen, so daß auch die energiereichste Sonneneruption das Leben auf der Oberfläche des Planeten nicht gefährdet. Auf dem luftlosen Mond mit seinem kaum vorhandenen Magnetfeld gibt es dagegen nur einen Schutz: sich unter die Oberfläche zurückzuziehen und dort zu bleiben, bis der Sturm vorbei ist.
Im interplanetaren Raum existieren keine anderen Schutzvorrichtungen gegen einen Magnetsturm als diejenigen, die ein Raumschiff mit sich führt.
»Kein Grund zur Panik«, sagte Pete Connors. »Wir wußten alle, daß wir’s nicht bis zum Mars schaffen würden, ohne eine Eruption zu erwischen.« Er bemühte sich, seiner Stimme einen beruhigenden Klang zu geben, aber sein Gesicht war sehr ernst, wie das eines Arztes, der mit seinem Patienten eine Operation erörtert.
»Ist doch wohl eher so, daß die Eruption uns erwischt«, verbesserte George O’Hara, der australische Geologe.
Die zwölf Männer und Frauen in der Mars 1 saßen eng zusammengedrängt auf den Bänken, die um die Wände des besonders abgeschirmten Strahlenschutzraums des Raumschiffs herumliefen. Alle nannten ihn den ›Sturmkeller‹. In diesem kleinen Abteil am hinteren Ende des Habitatmoduls boten die an der Außenhülle des Raumschiffs angebrachten unförmigen Treibstofftanks einen gewissen Schutz vor der tödlichen Strahlung, die von einer Sonneneruption erzeugt wurde.
Die halb geleerten Treibstofftanks der beiden Marsschiffe absorbierten einen Teil der hochenergetischen Partikel, die von der Sonne kamen. Zusätzlich säumten dünne Endlosfasern supraleitenden Drahts die Sturmkeller der Schiffe. Die erste Person, die den Strahlenschutzraum erreichte — Pete Connors, wie sich herausstellte — drückte auf den Schalter an der Wand neben der Luke, um die Abschirmvorrichtung zu aktivieren.
Der supraleitende Draht erzeugte ein starkes Magnetfeld um den Sturmkeller herum, das ausreichte, um die Elektronen in der Partikelwolke abzulenken, die an dem Raumschiff vorbeizog. Die eigentliche Gefahr ging von den schwereren Protonen aus, und um diese abzulenken, war das Magnetfeld auch nicht annähernd stark genug.