So! Wenn ich mit meinen morgendlichen Waschungen fertig bin, werden meine Hände so ruhig sein, daß ich mich rasieren kann.
Er war der letzte, der an diesem Morgen in die Messe kam.
Nur Monique und Ilona waren noch da.
»Alle Bienchen schon zur Arbeit ausgeflogen, wie ich sehe«, sagte Reed munter, während er zum Kühlschrank ging.
»Ich muß auch los«, sagte Ilona, tupfte sich die Lippen ab und erhob sich vom Tisch.
Sie brachte ihre Schale zum Recyclingschacht hinüber, während Reed seine in die Mikrowelle stellte.
»Werde ich dir fehlen?« fragte er Ilona so leise, daß Monique es nicht hören konnte.
Ilona schaute beinahe überrascht drein. »Wir sehen uns doch jeden Tag, wenn wir unseren medizinischen Bericht übermitteln.«
»Das ist nicht ganz dasselbe, als wenn wir zusammen wären, nicht wahr?«
Sie bedachte ihn mit einem hochmütigen Lächeln. »In dem Sinn sind wir schon seit der Landung nicht mehr zusammen gewesen.«
»Ja. Schade eigentlich.«
»Fehle ich dir?«
»Natürlich.«
»Aber ich dachte, du wärst an Joanna interessiert.«
Reed schaute ihr in die gelbbraunen Augen. »Ach, das war nur ein Zeitvertreib. Ein Spiel.«
»Das du verloren hast.«
»Das Spiel ist noch nicht vorbei«, sagte Reed verstimmt.
Ilona lachte. »Wenn du sie dazu bringen kannst, mit dir ins Bett zu gehen, nachdem sie zehn ganze Tage mit unserem roten Mann zusammengewesen ist…«
»Und was machst du während der nächsten zehn Tage? Und Nächte?« fiel Reed ihr ins Wort.
Sie richtete sich zu ihrer vollen Größe auf, und sie war nicht viel kleiner als Reed. »Ich habe vor, eine gute Wissenschaftlerin zu sein und mich anständig zu benehmen. Eine Geländeerkundung ist nicht der richtige Platz für Spielchen, Tony.«
»Nein, wohl nicht.«
»Ganz bestimmt nicht.«
Sie verließ die Messe, während die Mikrowelle ihm zupiepste, daß sein Frühstück fertig war, und Monique den Eindruck zu erwecken versuchte, daß sie nicht gelauscht hatte.
Sie verlassen mich alle beide, sagte sich Reed im stillen, als er mit seinem Tablett zum Tisch ging. Ilona und Joanna. Und der Navajo auch. Sie lassen mich alle sitzen.
Monique lächelte ihn mit ihren Grübchen mütterlich an, entschuldigte sich dann und ging. Reed saß allein da, stocherte lustlos in seinem Essen herum und fühlte sich so verlassen und einsam wie damals im Krankenhaus, als man ihm die Mandeln herausgenommen hatte.
SOL 34
NACHMITTAG
Pete Connors blickte mit finsterer Miene auf die Kontrolltafel des Rovers und sagte ins Stiftmikrofon seiner Kopfhörergarnitur: »Die verdammten Lüfter wollen immer noch nicht hundert Prozent Leistung bringen.«
Wosnesenskis Gesicht war auf dem Bildschirm in der Mitte der Tafel. »Wieviel bringen sie denn?«
»Achtzig, zweiundachtzig.«
Jamie, der neben dem Astronauten saß, versuchte, die kribbelnde Ungeduld und Besorgnis in seinem Innern vor den anderen zu verbergen. Wir können die Abfahrt nicht verschieben, nur weil die Luftzirkulationsventilatoren nicht ihre maximale Leistung bringen. Das ist kein Grund, die Exkursion auf einen späteren Zeitpunkt zu verlegen.
Wosnesenski blickte auf die Checkliste vor sich hinunter.
»Achtzig Prozent ist im Toleranzbereich«, sagte er zweifelnd.
»Ich glaube nicht, daß es irgendwelche Probleme geben wird, Mike«, sagte Connors. »Die Lüfter haben schon immer ihre Macken gehabt.«
»Ihr könnt den Sauerstoffanteil erhöhen, wenn es nötig ist«, sagte Wosnesenski.
»Genau. Dann kann es ja losgehen. Wir sind abfahrbereit.«
Connors wirkte todernst und entschlossen. Jamie fand, daß der Mann seit ihrer Ankunft auf dem Mars abgenommen hatte. Sein Gesicht sieht dünner aus, beinahe hager. Ich glaube, das ist bei uns allen der Fall.
Ilona stand hinter Jamies Sitz, die Hände auf der Lehne. Joanna stand hinter Connors. Die gespannte Erwartung straffte ihre Lippen zu einem dünnen Strich.
Na los, drängte Jamie stumm. Machen wir, daß wir in die Loipe kommen.
Wosnesenskis Gesicht zog sich in einem mürrischen kleinen Stirnrunzeln zusammen. Er stieß einen tiefen Atemzug aus; es war eher ein Schnauben als ein Seufzen. »Na schön«, sagte er schließlich. »Sie haben grünes Licht.«
Jamie stieß ebenfalls die angehaltene Luft aus, als Connors nickte und antwortete: »Okay. Auf geht’s.«
» Doswidanja. Viel Glück.«
»Danke, Mike«, sagte Connors. Er fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und tippte dann das Gaspedal an. Der Rover machte einen Satz nach vorn. Jamie schaltete den Kommunikationsbildschirm ab, bevor Wosnesenski seine Meinung ändern konnte.
»Wir sind unterwegs«, sagte Ilona leise.
»Nächste Haltestelle: Tithonium Chasma«, sagte Connors und bemühte sich, seiner Stimme einen fröhlichen Klang zu geben.
Ihr Exkursionsplan sah vor, daß sie auf direktem Weg zu dem Canyon fuhren, erst bei Sonnenuntergang haltmachten und beim nächsten Sonnenaufgang weiterfuhren. Es sollte keine EVAs(Extra-Vehicular ActiviHes: Außenbord-Einsätze, Ausstieg aus dem Fahrzeug – Anm. d. Übers. ) geben, keine Zwischenstops, bei denen sie den Rover verließen, um irgend etwas zu erforschen. Ihr Ziel hieß Tithonium Chasma, sonst nichts. Jamie wollte, daß sie bei dem Canyon so viel Zeit, Nahrungsmittel, Wasser und andere Verbrauchsstoffe hatten wie irgend möglich.
Die improvisierten Karten, die aus den von den ferngesteuerten Flugzeugen aufgenommenen Fotos zusammengesetzt worden waren, hatten gezeigt, daß man eventuell den Hang einer Rutschung zum Boden der Schlucht hinunterfahren konnte.
Leicht würde es aber mit Sicherheit nicht werden. Die meisten alten Rutschungen waren unter den Rand des Canyons abgesackt, und die steil abfallenden Felswände, die sie hinterlassen hatten, konnte der Rover nicht bewältigen. Manche Lawinen hatten den Boden der Schlucht vollständig ausgefüllt und sich sogar an der südlichen Wand aufgehäuft.
Die ins Auge gefaßte Rutschung schien jedoch brauchbar zu sein, und sie lag innerhalb der Reichweite ihres Rovers. Sie führte in nicht allzu steilem Winkel vom oberen Rand der Felswand zum Boden hinunter, ohne den Grund des Canyons vollständig zu bedecken. Im Vergleich zu den meisten anderen war sie schmal, kaum einen Kilometer breit. Aber das würde dem Rover ausreichend Platz bieten – wenn das Geröll fest genug war, daß man darauf fahren konnte, ohne steckenzubleiben. Und wenn der Hang bis zum Boden hinunter sanft genug abfiel; die Luftaufnahmen konnten nicht jeden Zentimeter der Rutschung im Detail einfangen.
Jamie kam sie wie eine relativ junge Rutschung vor, neuer und frischer als die älteren, größeren, die riesige Erosionsnischen in die Wände des Canyons gerissen hatten. Jung hieß, daß sie vielleicht erst ein paar Millionen Jahre alt war.
»Wir scheinen Glück mit dem Wetter zu haben«, scherzte Connors.
Der Himmel war von einem zarten Lachsrosa und so wolkenlos wie immer.
»Ich weiß nicht«, witzelte Jamie zurück. »Vielleicht regnet’s in hunderttausend Jahren oder so.«
»Verdammt! Und ich hab meinen Regenschirm in Houston gelassen.«
Joanna, die immer noch hinter dem Fahrersitz stand, sagte ganz ernst: »Toshima hat gesagt, weiter nördlich hätte es ein ungewöhnliche Anzahl von Staubstürmen gegeben.«
»Wie definiert er ungewöhnlich?« fragte Ilona.
»Im Vergleich zu Satellitenbeobachtungen während der letzten zehn Jahre, nehme ich an.«
»Aber es gibt keine Stürme so nahe am Äquator«, sagte Jamie.
»Bisher nicht«, erwiderte Joanna. »Aber wir wissen nicht, wodurch die Stürme ausgelöst werden.«