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»Was ist mit tieferen Bohrungen?«

»Wir haben beschlossen, bei der morgigen EVA nach unserer Fahrt zum zweiten Standort eine Tiefbohrung vorzunehmen.

Eine Tiefbohrung dauert länger, wegen der schwereren Geräte und allem; dafür hatten wir heute einfach nicht die Zeit. Wir werden nicht so weit fahren, daß die beiden Standorte geologisch nicht gleich wären; also sollte auch eine einzige Tiefbohrung reichen.«

Der Russe blinzelte nachdenklich und nickte.

»Ilona und Joanna werden Ihnen Videos der Gesteinsproben schicken. Wir haben natürlich auch Bodenproben genommen.

Massenweise sandiger Regolith hier draußen, eine dicke Schicht, über zwei Meter an dieser Stelle. Ich habe eine Fernerkundungsbake aufgestellt. Die vorläufigen Daten, die wir von ihr bekommen, zeigen, daß der Wärmestrom aus dem Boden hier auf dem Grund des Canyons signifikant stärker ist als oben auf der Ebene.«

»Ein stärkerer Wärmestrom? Woran liegt das?«

»Keine Ahnung. Noch nicht.« Jamie vergaß seine Müdigkeit, während er redete. »Alles, was wir bisher gesehen haben, deutet darauf hin, daß der Mars im Innern kalt ist; wenn er einen schmelzflüssigen Kern hat wie die Erde, dann ist er sehr klein und liegt tief im Innern des Planeten. Er muß natürlich einmal größer und heißer gewesen sein. Diese Tharsis-Vulkane können nicht älter als höchstens eine halbe Milliarde Jahre sein.

Aber der Kern ist offenbar fast vollständig abgekühlt. Keine Anzeichen für eine Kontinentalverschiebung… nichts, was auch nur Ähnlichkeit mit Kontinenten hat.«

»Und trotzdem kommt Wärme aus dem Boden des Canyons?«

»Mehr als an allen anderen Stellen, die wir erforscht haben«, bestätigte Jamie. »Etwas unter diesem Canyon ist warm. Deshalb gibt es hier unten Nebelschleier und Wasserdampf.«

»Was noch?«

»Luftdichte und Temperatur entsprechen dem, was die Sonden gefunden haben. Dieser ganze Grabenkomplex scheint sein eigenes Mikroklima zu besitzen; es ist wärmer als der restliche Planet, und der Luftdruck ist höher. Vielleicht zeigt sich beim Hellas-Becken dasselbe Phänomen. Wir müssen das überprüfen.«

»Nicht auf dieser Mission!«

»Das weiß ich. Wir werden zurückkommen müssen. Es ist wie bei der Erforschung von Afrika, Mikhail. Es wird Jahrzehnte dauern, vielleicht ein Jahrhundert oder noch länger, bis wir alles untersucht haben.«

Wosnesenski ließ eines seiner seltenen Lächeln sehen. »Wenn es Ihnen an etwas nicht mangelt, Jamie, dann an Ehrgeiz.«

Jamie war verblüfft. »Ehrgeiz? Ich?«

Aber Wosnesenski formulierte bereits seine nächste Frage.

»Wie geht es Ihnen? Wollen Sie mit Tony sprechen? Ist Ihr Gesundheitszustand in Ordnung?«

Jamie zögerte. »Ich bin müde, aber sonst geht es mir gut. Ilona ist nicht so ganz auf dem Damm, aber ich glaube nicht, daß sonst noch jemand Beschwerden hat. Ich werde sie alle einzeln fragen; falls es irgendwelche Probleme gibt, melden wir uns wieder.«

»Gut. Ich verlasse mich darauf.«

Jamie verabschiedete sich und unterbrach die Verbindung.

Seltsam, daß Mikhail sich nach ihrem Gesundheitszustand erkundigt hatte. Der verdammte Kerl mußte ein Telepath sein.

Dann wurde ihm klar, daß Ilona mit Tony gesprochen haben mußte, während sie draußen waren. Und Mikhail hat gesehen, daß Joanna und nicht Ilona den Ausflug mit mir gemacht hat.

Er ist ein mißtrauischer Bursche. Typischer Russe.

MARSORBIT

Li Chengdu schaute mit finsterer Miene auf den Bildschirm. Er saß an der Überwachungsstation hinter den beiden Pilotensitzen im Kommandomodul der Mars 2. Tolbukhin und der amerikanische Astronaut, Burt Klein, hatte ihre Sitze umgedreht und damit eine kleine Konferenzrunde gebildet.

Dr. Yang saß neben Li und zeigte auf die beiden Listen, die nebeneinander auf dem Bildschirm deutlich zu sehen waren.

»Sehen Sie? Waterman und Brumado haben bei ihrer EVA nur die Hälfte der geplanten Arbeiten durchgeführt.«

Yangs Fingernagel war lang und rot und sorgfältig manikürt.

Li überlegte, wozu sich die Ärztin die Mühe machte, ihre Nägel zu lackieren. Sie war keine sonderlich gutaussehende Frau, dachte er, eigentlich sogar ziemlich unansehnlich, mit einer Knollennase und wulstigen Lippen. Ihre Figur war unscheinbar. Aber sie hatte ihren braunen Overall mit einem glänzenden goldenen Flechtgürtel geschmückt und trug ein Halstuch und mehrere Armreifen, die wie winzige Becken aneinanderschlugen, wenn sie die Hände bewegte. Ihr mausbraunes Haar war frisch geschnitten; der Pony reichte ihr fast bis zu den Augenbrauen. Und sie hatte doch tatsächlich Lippenstift und sogar Lidschatten aufgelegt.

Hat sie sich für mich herausgeputzt? fragte sich Li. Oder versucht sie, unseren flotten Kosmonauten und Astronauten zu beeindrucken? Li seufzte in sich hinein. Solange sie mir keine Probleme bereitet, werde ich mich nicht einmischen. Aber er ertappte sich bei der Überlegung, ob ihre Fußnägel wohl auch lackiert waren.

»Ihre Leistungsfähigkeit scheint ernstlich nachgelassen zu haben«, sagte Yang leise, aber mit Nachdruck.

Li riß sich aus seinen Mutmaßungen über ihr Sexualleben.

»Die Fahrt zum Boden des Canyons hinunter war anstrengend. Vielleicht brauchen sie noch etwas Ruhe.«

Burt Klein stimmte ihm zu. »Man kann nicht von ihnen erwarten, daß sie sich an den Plan halten, den Waterman ausgearbeitet hat. Er ist zu vollgestopft; sie haben nicht genug Zeit für alles, was er gern tun würde.«

»Vielleicht«, sagte Dr. Yang. Sie beugte sich so nah zu Li her

über, daß sie die Computertastatur bedienen konnte. Sie hatte Parfüm aufgelegt. Jasminblüten?

Eine Reihe bunter Kurven erschien auf dem Bildschirm.

»Das sind die Leistungsparameter sämtlicher Personen auf dem Mars, basierend auf deren eigenen Berichten über die von ihnen ausgeführten Arbeiten«, sagte Yang. »Sie können sehen, daß die Leistung bei ihnen allen nachläßt.«

Li zupfte an seinem Schnurrbart. »Ja, das sehe ich.«

»Ein solcher Leistungsabfall ist normal«, sagte Tolbukhin.

»Das gleiche passiert bei den Leuten auf dem Mond und sogar an Bord von Raumstationen.«

Yang nickte kurz, aber sie sagte: »Sie sind seit fünf Wochen auf der Oberfläche, und da muß man mit einem gewissen Leistungsabfall rechnen, das stimmt. Aber bitte schauen Sie sich an, wie steil diese Kurven absinken.«

»Hm«, machte Li.

»Der starke Rückgang hat erst vor ein paar Tagen eingesetzt.

Wenn ihre Leistungsfähigkeit weiterhin in diesem Tempo absinkt, sind sie Ende dieser Woche allesamt hilflos!«

Tolbukhins Schnauben sagte ihnen, was er von Yangs Befürchtungen hielt. Aber Klein rutschte nervös auf seinem Sitz herum.

Zum ersten Mal war Li beunruhigt. »Könnte das ein Produkt des Computerprogramms sein? Ein Zufall vielleicht?«

Yangs geschminktes Gesicht nahm eine störrische Härte an.

»Das ist unmöglich. Ich habe das übliche Evaluationsprogramm benutzt. Die Leute hier im Orbit weisen keine solchen Verfallserscheinungen auf. Auch nicht annähernd.«

»Hm«, machte Li erneut.

»Da stimmt eindeutig etwas nicht.«

»Mehr als die üblichen normalen Ermüdungsfaktoren?« fragte Klein.

»Viel schlimmer.«

»Was könnte das Ihrer Meinung nach sein?«

Yang zuckte ihre schmalen Achseln. »Es könnte psychologisch bedingt sein. Oder vielleicht auch körperlich. Oder eine Kombination von beidem.«

Tolbukhin lachte sie aus. »Sie decken alle Möglichkeiten ab, und im Ergebnis erzählen Sie uns nichts, womit wir etwas anfangen könnten.«

Li warf dem Kosmonauten einen scharfen, mißbilligenden Blick zu. Dann fragte er Dr. Yang: »Haben Sie die physiologischen Profile überprüft, die Doktor Reed heraufgeschickt hat?«