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»Morgen früh ist bestimmt alles wieder in Ordnung«, sagte Ilona mit einem gequälten Lächeln. »Ich muß mich mal richtig ausschlafen, das ist alles.«

»Das müssen wir alle«, sagte Joanna. »Ich habe mich nicht mehr so schlecht gefühlt, seit wir diese Erkältung gehabt haben, als wir an Bord der Marsschiffe gegangen sind.«

»Du auch?« fragte Jamie.

»Vielleicht ist irgendwas mit den Luftfiltern hier drin nicht in Ordnung?« Joanna ließ die Vermutung wie eine Frage klingen.

»Vielleicht filtern sie nicht genug Kohlendioxid aus der Luft?«

Jamie nickte, wodurch seine Kopfschmerzen noch schlimmer wurden. »Ich werd’s überprüfen.« Er machte sich auf den Weg zur Luke, dann drehte er sich noch einmal zu Ilona um. »Laß es ruhig angehen. Überanstrenge dich nicht.«

»Tja, irgendwas stimmt nicht, soviel steht fest«, sagte Connors, als Jamie wieder ins Cockpit kam. »Ich fühle mich, als hätte mir jemand während der letzten sechs Stunden die Schei

ße aus den Knochen geprügelt.«

»Ich rufe lieber Tony an«, sagte Jamie. »Die Sache wird allmählich ernst.«

Aber als Jamie nach dem Funkschalter an der Kontrolltafel griff, packte Connors ihn am Handgelenk. »Warten Sie bis morgen früh«, sagte der Astronaut.

Jamie warf ihm einen fragenden Blick zu.

»Gehen Sie nie zum Arzt, wenn es nicht unbedingt sein muß«, erklärte Connors. »Diese Pillendreher erzählen einem doch bloß, daß man wiederkommen soll, damit sie einen mit Nadeln pieksen können.«

»Aber irgendwas stimmt nicht, das haben Sie doch selbst gesagt.«

»Wir beide werden das CO2-System checken. Das könnte es sein. Dann nehmen wir ein ordentliches warmes Abendessen zu uns und schlafen uns richtig aus. Wenn wir uns morgen früh immer noch beschissen fühlen, können wir den Krankenwagen rufen.«

Jamie erklärte sich widerstrebend einverstanden.

Seiji Toshima hielt sich für das einzige von allen Mitgliedern des Forschungsteams, der sich wirklich mit dem gesamten Planeten Mars beschäftigte.

Schon möglich, daß Waterman und die anderen im Rover hellauf begeistert über ihre Exkursion zum Canyon waren. Patel und Naguib waren mit Leib und Seele bei der Erforschung der riesigen Vulkane. Die Astronauten und Kosmonauten warteten die Geräte in der Kuppel, während der englische Arzt sich um ihre Gesundheit kümmerte und die kleine Monique den Garten pflegte und Steine untersuchte.

Aber nur ich betrachte hier diese Welt in ihrer Gesamtheit.

Er drehte sich langsam auf seinem knarrenden Plastikstuhl und ließ den Blick über die Reihe seiner Monitore wandern.

Auf ihnen war der gesamte Planet zu sehen. Drei Monitore zeigten den Mars im Ganzen, von Pol zu Pol, aus der Perspektive der drei Beobachtungssatelliten im synchronen Orbit. Die anderen zeigten Daten, die von den Satelliten, den frei herumfliegenden Ballons und den überall in den trostlosen, sandigen Gebieten des roten Planeten postierten Fernerkundungsbaken aufgezeichnet wurden: Luftdichte, Temperatur, Windgeschwindigkeit und Windrichtung, Feuchtigkeitsgehalt, sogar die chemische Zusammensetzung der Luft.

Es war dumm von mir, dachte Toshima, nicht zu erkennen, daß die Feuchtigkeit im Tithonium Chasma sogar im Hochsommer zur Nebelbildung ausreichen würde. Er betrachtete dieses Versäumnis als seinen ureigensten Fehler. Es war bekannt, daß der Boden des Canyons zwei bis drei Kilometer unterhalb der Ebenen um sie herum liegt. Ich wußte von den Sonden, daß die Luftdichte dort unten etwas höher ist als anderswo. Natürlich muß die Luft etwas wärmer sein und mehr Feuchtigkeit aufnehmen können. Ich hätte das voraussehen müssen. Ich hätte es vorhersagen müssen.

Er hielt sich jedoch nicht lange mit den Fehlern der Vergangenheit auf. Sein größter Monitor, der direkt vor dem Stuhl stand, auf dem er saß, zeigte sein Meisterstück: eine äußerst detaillierte Wetterkarte des gesamten Planeten. Toshima hatte sämtliche hereinkommenden Daten zusammengefaßt und die Hochs und Tiefs, die zyklonalen Störungen und Windströmungsmuster auf dem ganzen Mars eingezeichnet. Mit einem Tastendruck konnte er das Wetter so darstellen, wie es gestern oder vor zwei Wochen gewesen war, aber auch so, wie es seiner Vorhersage zufolge morgen sein würde – oder in zwei Wochen.

Die längerfristigeren Vorhersagen waren natürlich nicht so hieb- und stichfest wie die Vierundzwanzig-Stunden-Vorhersage. Selbst auf einer in meteorologischer Hinsicht so langweiligen Welt wie dem Mars, auf der keine Meere und nur wenig Feuchtigkeit die Wettermuster komplizierten, war es schwierig, Vorhersagen über einen Zeitraum von achtundvierzig Stunden hinaus zu treffen. Aber er lernte dazu, gewann an Weitblick und dehnte die Reichweite seiner Vorhersagen immer weiter aus.

Er rieb sich die pochenden Schläfen, während er seine Wetterkarte eingehend betrachtete. Die wirbelnden Staubstürme in den nördlichen Breiten faszinierten ihn. In Gang gebracht von der Energie, die von der schmelzenden Polarkappe in die Atmosphäre entlassen wurde, erschienen und verschwanden sie wie Gespenster. Bisher noch unberechenbar. Toshima wußte, daß solche Stürme im Frühling miteinander verschmelzen, sich zu einem einzigen gigantischen Sturm vereinigen konnten, der wochenlang den gesamten Planeten verhüllte.

Er befürchtete nicht, daß diese kleinen Stürme das tun würden. Was ihm Sorgen bereitete, war die Kaltfront, die in südlicher Richtung über die weite Ebene von Chryse Planitia vordrang.

Für marsianische Wettersysteme enthielt diese Kaltfront beträchtliche Energie. Die mittäglichen Höchsttemperaturen südlich der Front lagen noch bei etwa fünfundzwanzig Grad Celsius. Auf der anderen Seite der Front lagen sie selbst zur Mittagszeit unter dem Gefrierpunkt. Die Front würde während der Nacht über das östliche Ende des Grand-Canyon-Komplexes hinwegziehen. Waterman und die anderen waren über tausend Kilometer westlich von dort, aber Toshima machte sich trotzdem Sorgen um sie.

Er verstand nicht, weshalb er sich Sorgen machte.

Dem Rover drohte keine Gefahr vom Wetter. Die vier Männer und Frauen waren auf nächtliche Tiefsttemperaturen von bis zu hundert Grad unter Null vorbereitet. Warum also sollte ein Temperaturabfall von dreißig Grad besorgniserregend sein?

Toshima merkte, wie ihn ein innerliches Zittern packte, fast wie ein sexueller Drang. Da war etwas in den Daten vor seinen Augen, etwas Wichtiges, was er nicht erkannte. Er wußte es.

Er fühlte es innerlich. Sein Unterbewußtsein versuchte, ihm etwas zu sagen, seine Aufmerksamkeit auf etwas zu lenken –

eine Enthüllung, eine wichtige Entdeckung. Er biß sich auf die Lippe und kniff die Augen zusammen, konzentrierte sich mit aller Kraft. Vergeblich.

In seinem Kopf pulsierte ein dumpfer Schmerz. Er massierte sich erneut die Schläfen, dann den Nacken.

Als er die Augen wieder öffnete, holte er tief Luft und versuchte, die Anspannung zu lindern, die die Sehnen in seinem Nacken zusammenzog und seine Schultern verkrampfte. Er drehte sich langsam auf seinem knarrenden Stuhl und musterte die Bildschirme einen nach dem anderen. Die Information ist hier, vor meinen Augen. Das wußte er. Aber es gelang ihm nicht, mit seinem Verstand zu erfassen, was sein Inneres ihm zu sagen versuchte.

Entspann dich, sagte die längst vergessene Stimme des Mönchs, der in seiner Kindheit sein Lehrer gewesen war. Versuch nicht, deinen Geist zu zwingen, er wird allen Anstrengungen widerstehen und dir nur Schmerzen bereiten. Entspann dich und befrei dich von allen Wünschen, allen Bedürfnissen. Meditation ist der Schlüssel zum Verständnis, die Brücke zum großen kosmischen Ganzen.