Und ich bleibe hier sitzen wie ein Idiot und drehe Däumchen. Das Labormodul war zu klein, als daß sie alle drei gleichzeitig darin hätten arbeiten können. »Dann werde ich wohl mal aufräumen«, sagte er.
Die Frauen gingen nach hinten zur Luftschleuse und durch sie hindurch ins Labormodul. Connors war bereits vorn im Cockpit und rief Reed an. Jamie stand allein an dem schmalen Tisch, auf dem die Überreste ihres Frühstücks herumlagen, und spürte einen dumpfen Schmerz in den Gelenken und ein ekliges Pochen im Kopf.
Das kann keine Grippe sein, sagte er sich. Wenn es die Grippe oder eine andere ansteckende Krankheit wäre, hätten wir sie schon vor Monaten bekommen. Es ist etwas, das wir uns hier geholt haben, etwas vom Mars. Das ist die einzige Möglichkeit.
Er erinnerte sich an seinen Traum und erschauerte.
Er hat die Katze aus dem Sack gelassen, sagte sich Tony Reed, als er das Gesicht von Pete Connors auf seinem Kommunikationsbildschirm betrachtete. Bilde ich es mir nur ein, oder ist er ganz blaß geworden?
Der Astronaut schwitzte stark, das sah Reed sofort. Seine Augen waren blutunterlaufen, und er sprach ein bißchen langsamer als sonst. Und er hatte berichtet, daß sich alle vier Personen im Rover krank fühlten. Das kann Wosnesenski nicht vor Li geheimhalten. Ganz egal, wie gern Mikhail Andrejewitsch diese Sache vertuschen würde, Connors hat alles ausgeplaudert.
»Und Sie sagen, es geht euch allen vieren ähnlich?« fragte Reed.
»So ziemlich«, bestätigte Connors. »Ilona scheint es am schlimmsten erwischt zu haben. Jamie ist noch in der besten Verfassung – oder zumindest klagt er nicht so viel.«
Der stoische Indianer. Er würde wahrscheinlich auch dann keinen Piepser von sich geben, wenn man ihn am Marterpfahl rösten würde.
»Leidet jemand unter Appetitlosigkeit?« fragte er laut und sachlich.
Connors runzelte nachdenklich die Stirn. »Kommt mir nicht so vor«, sagte er dann. »Aber wir sind alle so verdammt müde, daß man’s kaum mit Worten ausdrücken kann.«
»Hm, ja.« Reed nagte einen Augenblick an seiner Unterlippe.
»Und ihr nehmt eure Vitaminpräparate ein?«
»Ja, Sir. Ich sorge dafür, daß sie alle jeden Morgen die Pillen nehmen.«
»Ihr seid erst zwei Tage unterwegs«, murmelte Reed, »da kann es eigentlich keine Mangelerkrankung sein…«
»Es fühlt sich an, als würden wir alle die Grippe oder so was ähnliches kriegen«, erklärte Connors unaufgefordert.
»Ich verstehe.« Reed kratzte sich am Kinn, befingerte seinen bleistiftdünnen Schnurrbart, strich sich die sandfarbenen Haare glatt. Dieselben Symptome zeigten sich auch in der Kuppel.
»Es ist schwierig für mich, aus der Ferne viel für euch zu tun«, sagte er zu Connors. »Ich fürchte, es wäre das Beste, wenn ihr euch auf den Rückweg machen würdet, bevor es noch schlimmer wird.«
»Aber wir sind gerade erst angekommen! Laut Plan sollten wir eine Woche im Canyon verbringen…«
»Nicht, wenn ihr alle krank seid.« Wosnesenski würde einsehen müssen, daß es nicht anders ging, sagte sich Reed. Schließlich habe ich als der hiesige Sanitätsoffizier die Befugnis, ihnen den Rückkehrbefehl zur Basis zu geben. Selbst wenn der Russe Einwände erhebt.
»Vielleicht, wenn wir alle eine ordentliche Dosis Antibiotika einnehmen würden?«
»Ich bezweifle, daß das hilft.«
»Geben Sie uns wenigstens noch einen Tag. Wir fahren heute nirgend wohin, wenn dieser Sturm ausbricht. Sehen wir mal, was sich in den nächsten vierundzwanzig Stunden tut.«
Reed musterte das ernste, nervöse Gesicht des Astronauten.
Connors fleht mich ja geradezu an. Ich bin der Arzt des Teams.
Ich sollte wissen, was zu tun ist. Ich sollte damit fertigwerden können. Wenn ich ihnen jetzt den Befehl zur Rückkehr gebe, wird Wosnesenski wütend sein. Höchstwahrscheinlich wird er denken, es wirft ein schlechtes Licht auf ihn.
»Ich muß es Wosnesenski melden, das ist Ihnen doch klar«, sagte er.
»Ja. Ich weiß.«
»Dieses Gespräch wird automatisch vom Orbiter überwacht.
Und von Kaliningrad.«
Connors nickte bedrückt.
Reed schürzte die Lippen, als dächte er gründlich und sorgfältig nach. Schließlich sagte er: »Ich werde Mikhail Andrejewitsch empfehlen, euch für die nächsten vierundzwanzig Stunden dort zu lassen, wo ihr seid. Eine Dosis Breitband-Antibiotikum wird euch nicht schaden; ich schicke genaue schriftliche Anweisungen über die Computerverbindung. Dann wollen wir sehen, wie es euch morgen früh geht.«
»Okay! Prima!« Der Astronaut war so dankbar wie ein junger Hund für einen Happen.
Reed beendete das Gespräch, rief dann seine medizinische Computerdatei auf und verschrieb ihnen das Antibiotikum. Er stemmte sich langsam und widerstrebend vom Stuhl hoch. Ich muß die Sache mit Wosnesenski klären, sagte er sich. Mir bleibt nichts anderes übrig, als mich in die Höhle des Löwen zu wagen. Trotzdem hatte er Angst vor der Konfrontation.
Der Russe war in der Messe. Er hockte über einem Becher dampfendem Tee. Mironow und er unterhielten sich leise und ernst in ihrer Muttersprache. Für Reeds professionelles Auge sahen sie beide krank aus. Hager, blasses Gesicht. Sogar ihre Overalls wirkten ausgebeult und zerknittert, ganz anders als noch vor ein paar Tagen, als sie einen tadellosen Anblick geboten hatten. Was immer es ist, sie haben es. Und alle anderen auch. Alle außer mir. Und vielleicht Toshima.
Reed fühlte sich absurd normaclass="underline" gesund und stark. Aufmerksam und hellwach. Er hatte sogar seinen morgendlichen Amphetamin-Cocktail reduziert, um festzustellen, ob seine offenkundige Gesundheit auf chemische Ursachen zurückzuführen war.
Die Russen schauten beide auf, als Tony sich einen Stuhl heranzog und sich zu ihnen setzte.
»Das Team im Rover hat es auch«, erklärte Reed ihnen leise,
»was immer es sein mag.«
»Erschöpfung«, sagte Wosnesenski sofort. »Psychologische Erschöpfung. Das habe ich bei Langzeitmissionen im Orbit auch schon erlebt.«
»Nach nur siebenunddreißig Tagen?« Reed hätte beinahe spöttisch gelacht.
»Wir sind seit fast einem Jahr im Raum.«
»Ja«, gab Reed zu. »Das stimmt.«
»Die Belastungen, denen man in dieser Umgebung ausgesetzt ist…« begann Mironow und verstummte.
»Der Mars ist nicht anstrengender als der Mond oder eine Raumstation in der Umlaufbahn«, sagte Reed. »Eigentlich eher weniger anstrengend, würde ich meinen.«
»Was ist es dann?« knurrte Wosnesenski. »Was passiert mit uns?«
Reed schüttelte den Kopf. »Was immer es ist, es ruft bei allen dieselben Symptome hervor: Schwäche, Glieder- und Kopfschmerzen.«
»Es ist die Grippe«, sagte Mironow.
Reed sah ihn mit einer hochgezogenen Augenbraue an. »Wie sollten wir alle fast ein Jahr nach unserem Abflug von der Erde die Grippe kriegen? Influenza-Viren haben keine so lange Inkubationszeit. Wenn es die Grippe wäre, hätten wir sie schon längst bekommen.« Sofern es kein Slow Virus ist, dachte Tony plötzlich. Wie die Legionärskrankheit oder etwas in der Art.
In Mironows Miene lag eine störrische Skepsis.
»Und im Orbit hat es niemand«, hob Reed hervor. Er versuchte nicht nur, den Kosmonauten zu überzeugen, sondern ebenso sich selbst.
»Die Marsgrippe eben«, sagte Wosnesenski halb scherzhaft.
»Es ist absolut unmöglich, sich auf einem Planeten, auf dem es überhaupt kein Leben gibt, eine Krankheit zu holen«, fauchte Reed beinahe wütend. »Hier gibt es keine Viren, die uns infizieren könnten. Selbst wenn es marsianische Mikroben gäbe, wären sie nicht an unsere Zellen angepaßt. Auf dem Mars könnte es alle möglichen Bakterien geben, aber sie würden uns überhaupt keine Probleme bereiten. Sie könnten es gar nicht.«
»Das ist die Theorie der Ärzte«, murmelte Mironow finster.