Auf die Entdeckung von Leben auf dem Mars. Auf die unbestreitbare Tatsache, daß die Erde nicht der einzige Planet war, auf dem es Leben gab. Auf den Nobelpreis, den die beiden Frauen gemeinsam bekommen würden.
»Ach, ich glaube nicht, daß sie dafür den Nobelpreis verleihen«, sagte Joanna.
»Machen Sie Witze?« beharrte Connors. »Für die Entdeckung außerirdischen Lebens?«
»Dafür gibt es keine Kategorie bei den Nobelpreisen«, erklärte Joanna. Dann fügte sie sinnierend hinzu: »Sofern die schwedische Akademie ihre Definition von Medizin und Physiologie nicht sehr weit auslegen will.«
»Oder von Chemie«, sagte Jamie.
»Vielleicht richten sie eine neue Kategorie ein«, meinte Connors hoffnungsvoll.
Ilona schenkte ihm ein mattes Lächeln und sagte: »Sie kennen die Schweden nicht, Peter.«
Sie stocherten in ihren Essensschalen herum. Die Mahlzeit ging nur langsam vonstatten. Die Nachwirkung setzte ein, erkannte Jamie. Die Reaktion, das Absacken nach dem erregenden Hochgefühl der Entdeckung und des Erfolgs.
Nun haben wir also Leben auf dem Mars gefunden, dachte er. Morgen gibt es garantiert eine Flut von Marsianerwitzen im Fernsehen.
Die Beine taten ihm weh, als wäre er den ganzen Tag durch die Gegend gelaufen. Jamie fühlte sich schwach. Er lehnte den Kopf an das gepolsterte Schott und fragte sich, wie krank sie wirklich waren und wann sie sich endlich erholen würden. Es hatte jedoch den Eindruck, daß es ihnen allen immer schlechter statt einmal besser ging.
Die Kommunikationsanlage im Cockpit summte, und Jamie zuckte zusammen.
»Das ist bestimmt Wosnesenski«, vermutete Connors. »Ich gehe hin.«
Der Atem des Astronauten roch übel. Was, zum Teufel, hat er heute abend gegessen, fragte sich Jamie. Und warum kann er den verdammten Summer nicht abstellen? Der Lärm ging ihm durch Mark und Bein, wie das Geräusch eines Zahnarztbohrers.
Jamie stand auf und stapelte schweigend die Essensschalen aufeinander. Er bemerkte, daß keiner von ihnen mehr als die Hälfte seiner Portion gegessen hatte; aber der Orangensaftkrug war völlig leer. Wir haben unseren Erfolg ordentlich begossen, sagte er sich. Gut, daß wir keinen Wodka dabei hatten.
Joanna erhob sich, um ihm zu helfen. Ilona ließ sich auf die Bank zurücksinken. Ihre Augen waren ziemlich glasig. Es hat sie wirklich böse erwischt, dachte Jamie, während er ihr blasses Gesicht betrachtete.
Draußen schrie der Wind. Unablässig.
Werden wir hier sterben? Der plötzliche Gedanke überraschte Jamie. Aber dann dachte er: Und wenn schon. Das ist kein schlechter Ort zum Sterben. Wir haben unser Ziel erreicht.
Vielleicht fordert der Mars unser Leben als Gegenleistung dafür, daß er sein größtes Geheimnis preisgegeben hat. Ein fairer Preis. Leben für Leben.
Aber der Mars ist eine sanfte Welt, sagte er sich im stillen.
Anfangs mag er rauh und abweisend wirken, in Wirklichkeit ist er jedoch friedlich und sanft. Dann antwortete eine andere Stimme in seinem Innern grimmig: Bis dir die Luft ausgeht.
Oder dein Anzug ein Loch bekommt. Dann wirst du schon sehen, wie sanft diese Welt ist.
Connors kam zum Tisch zurück, als Jamie die Schalen gerade ins Bord stellte.
»Mikhail sagt, morgen früh gibt es eine Pressekonferenz. Mit internationaler Beteiligung. Jeder gottverdammte Reporter auf der Erde will mit uns sprechen. Ich muß gleich als erstes rausgehen und die Videoantenne reparieren. Sie wollen uns sehen.«
»O Gott, aber doch nicht so«, stöhnte Joanna.
»Sagen Sie ihnen, daß wir die Antenne nicht reparieren können«, schlug Jamie vor.
Connors wollte den Kopf schütteln, überlegte es sich dann aber anders. »Ich muß es versuchen. Außerdem muß ich morgen ohnehin raus, um festzustellen, wie tief wir im Sand stecken und ob der Rover irgendwelche Schäden davongetragen hat.«
»Das heißt, daß ich auch rausgehe«, sagte Jamie.
»Nein. Es reicht, wenn Sie den Anzug anziehen. Falls es einen Notfall gibt, können Sie sofort raus.«
»Aber die Vorschriften…«
»Die Vorschriften besagen, daß ein Astronaut eine Solo-EVA unternehmen darf, sofern eine zweite Person den Anzug trägt und sich für den Notfall bereithält. Nur ihr armen kleinen Wissenschaftler dürft nicht alleine raus.«
Connors versuchte, leutselig zu sein, aber Jamie merkte, daß er den Astronauten innerlich anknurrte.
»Ach ja«, fügte Connors hinzu. »Reed will eine weitere Testreihe: Temperatur, Blutdruck, Puls und – das Beste kommt zuletzt – noch eine Blutprobe.«
»Nicht schon wieder«, protestierte Ilona.
»Jetzt, wo wir wissen, daß es hier Leben gibt, könnte es doch sein, daß wir uns marsianische Bazillen eingefangen haben«, erklärte Connors. »Das ist ein neues Problem, mit dem wir uns befassen müssen.«
»Ich gehe zuerst«, sagte Joanna, stand mühsam auf und schlüpfte hinter dem Tisch hervor.
»Ich helfe dir«, sagte Jamie.
An Bord des Rovers gab es keine Privatsphäre, aber sie konnten die medizinischen Tests immerhin im Labormodul durchführen, während Ilona und Connors in der Kommandosektion blieben. Das Labor mutete geradezu intim an, als nur sie beide darin waren. Die Lichtleiste an der Decke spendete das einzige Licht, warf gedämpfte Schatten auf die Geräte, die sie zuvor benutzt hatten, und milderte die Linien, die sich in Joannas blasses, nervöses Gesicht gegraben hatten. Draußen sang der Wind sein hohes, schrilles Lied, aber hier im Labor – allein mit Joanna – war es beinahe behaglich.
Jamie befahl ihr, sich hinzusetzen, während er im Arzneischränkchen nach der Blutdruck-Manschette, den Thermometerpflastern und Spritzen stöberte. Er maß sorgfältig ihre Temperatur, den Blutdruck und den Puls. Alles ein bißchen höher als normal.
Während er ihre Armbeuge für die Blutprobe abtupfte, sagte Jamie: »Ich habe vorher noch nie drüber nachgedacht, aber wenn es marsianische Flechten gibt, dann muß es auch andere marsianische Organismen geben.«
Joanna nickte ernst, während sie ihren Arm auf und ab pumpte. »Ja. Flechten mögen uns als niedrige Lebensform erscheinen, aber im Vergleich zu Protozoen und sogar Algenkolonien sind sie hoch organisiert.«
Jamie haßte Spritzen. Ihm wurde schon fast übel, wenn er nur zusah, wie jemand – ganz gleich wer – eine verpaßt bekam. Es kostete ihn einige Mühe, seine Hände ruhig zu halten, als die Nadel gleich beim ersten Versuch in die geschwollene Vene an Joannas Arm glitt. Joanna zuckte ein wenig zusammen.
»Dann gibt es also wirklich marsianische Mikroben«, sagte Jamie, während er ihr Blut abnahm. »Bakterien und Viren und so weiter.«
»Es muß welche geben. Die Flechte kann nicht die einzige Lebensform auf dem Planeten sein. Es muß zumindest eine primitive Ökologie existieren.«
»Warum haben wir dann keine Mikroben gefunden?« Er zog den Kolben langsam heraus.
Joanna sah zu, wie die Spritze sich mit dunklem Blut füllte.
»Entweder gibt es außerhalb des Canyons keine, oder wir haben sie gesehen, sie aber nicht als solche erkannt.«
Jamie drückte ihr ein Heftpflaster auf die winzige Wunde, nahm Joannas Handgelenk und befahl ihr, den Arm anzuwinkeln.
»Du meinst, all diese Tests von Luft-, Boden- und Gesteinsproben, die ihr durchgeführt habt…«
Aber Joanna war mit den Gedanken bereits woanders. »Jamie, auf der Erde gibt es Eisenoxid-Ablagerungen, die von uralten Bakterien produziert worden sind. Hältst du es für möglich, daß die Eisenoxide auf dem Marsboden auch das Resultat einer biologischen Aktivität sind?«
Erstaunt über diese neue Idee kniff er die Augen zusammen.
»Der ganze Staub, hier und überall auf dem Planeten?«
»Aus einer Millionen oder sogar Hunderte Millionen Jahre zurückliegenden Zeit.«