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»Das könnte eine Erklärung dafür sein, warum das Eisen immer noch an der Oberfläche ist«, sann Jamie laut. »Warum es nicht zum Kern hinuntergesunken ist und der Planet nicht so ausdifferenziert ist wie die Erde.«

Dann schaute er ihr in die dunklen, müden Augen. »Es könnte eine Erklärung für vieles sein. Ich bin nie auf die Idee gekommen, daß die Biologie hier Auswirkungen auf die Geologie haben könnte.«

»Vielleicht ist es aber so«, sagte sie.

»Vielleicht.«

Dann wurde ihm bewußt, daß er eine Spritze mit ihrem Blut in der erhobenen Hand hielt. Vorsichtig injizierte Jamie das Blut in einen zugestöpselten Schlauch im automatischen Blutanalysator. Er stand am anderen Ende des Labortisches, ein Gebilde aus rostfreiem Stahl mit Glasgefäßen, das kleiner war als die Kaffeemaschine in der Kuppel und immer noch wie neu glänzte. Sie hatten nicht damit gerechnet, ihn benutzen zu müssen.

»Wie geht es dir?« fragte er, während er Joannas Namen und die Zeit in den medizinischen Computer eintippte.

Sie versuchte zu lächeln. »Ich werd’s überleben. Glaube ich.«

Ihr Atem roch ebenfalls übel. Jamie vermutete, daß seiner auch nicht gerade der frischeste war. Er trat ein wenig von ihr zurück. »Was, zum Teufel, ist das? Was macht uns krank?«

»Tony wird es herausfinden«, sagte sie leise. »Er ist ein ausgezeichneter Arzt.«

»Ja. Irgendwann wird man’s das Reed’sche Marsfieber nennen.«

»Aber wir haben kein Fieber«, betonte Joanna sanft.

»Doch, du hast welches«, erwiderte er. »Zwar nur leichtes Fieber, aber deine Temperatur ist höher als normal.«

Jamie gab Joannas Testdaten in den Laborcomputer ein, der die Informationen automatisch zum Raumschiff in der Umlaufbahn und zur Kuppel weiterleitete. Er schaltete den Analysator ein; außer dem leuchtenden grünen Licht deutete nichts darauf hin, daß er arbeitete. Die Ergebnisse von Joannas Blutprobe würden ebenfalls automatisch und in aller Stille über die Computerverbindung weitergegeben werden.

Joanna zupfte Jamie am Ärmel, ohne von ihrem Stuhl aufzustehen.

»Jetzt bist du an der Reihe.«

Er schaute auf sie hinab. »Fühlst du dich wohl genug…?«

»Du wirst mir schon nicht verbluten, Jamie«, sagte sie. »Ich bin immer noch imstande, einfache Aufgaben auszuführen –

wie zum Beispiel, dir eine Nadel in den Arm zu stecken.«

Widerstrebend rollte Jamie seinen Ärmel hoch.

Während sie die Druckmanschette um seinen Arm wickelte, klebte sich Jamie ein Temperatursensorpflaster auf die Stirn.

»Die Frage ist«, sagte sie fast zu sich selbst, »repräsentieren die Flechten die höchstentwickelte Lebensform auf dem Mars, oder sind sie die Überbleibsel komplexerer Lebensformen, die ausgelöscht worden sind?«

Jamie lehnte sich mit dem Oberkörper an den Rand des Arbeitstisches, während sie auf der Digitalanzeige seinen Blutdruck ablas.

»Vielleicht war diese Gesteinsformation wirklich ein Dorf?«

sagte er.

»Wir haben keine andere Spur von intelligentem Leben gefunden, Jamie. Ich wollte damit nur sagen…«

»Da ist dieses in den Stein gehauene Gesicht in der Acidalia-Region.«

»O James! Du glaubst das doch nicht etwa!«

Er zuckte die Achseln. »Wir wissen jetzt, daß es auf dem Mars Leben gibt. Wer weiß schon, was er da glauben soll?«

»Daß es einmal intelligente Marsianer gegeben hat?« Sie griff nach einer neuen Spritze.

Jamie wandte den Blick von der funkelnden Nadel ab. »Der Planet hatte Milliarden Jahre Zeit. Durchaus möglich, daß sich in dieser Zeitspanne intelligentes Leben entwickelt hat – und dann bei einem Klimawechsel ausgelöscht worden ist.«

Kopfschüttelnd band Joanna Jamies Arm oberhalb des Ellbogens mit dem Gummischlauch ab. »Aber es gibt keine Anhaltspunkte dafür, keine Überreste einer Zivilisation, keine Ruinen.«

»Alles von den Staubstürmen zugedeckt.« Er pumpte seinen Arm auf. »Bis auf mein Dorf oben in der Felswand. Vielleicht gibt es noch weitere… autsch1.«

»Tut mir leid.« Sie hatte seine Vene verfehlt. Sie brauchte drei Versuche, bis sie ihm Blut abzapfen konnte.

Jamie sagte: »Das ändert alles für dich, nicht wahr?«

»Was meinst du?«

»Daß du Leben gefunden hast. Du bist jetzt eine berühmte Frau. Du wirst noch berühmter werden als dein Vater.«

Sie zwinkerte mehrmals. »Darüber habe ich noch nicht nachgedacht. Wenn wir erst einmal wieder auf der Erde sind…«

»…werden wir kein normales Leben mehr führen können.

Zumindest du nicht.«

»Und du auch nicht«, sagte Joanna. »Ohne dich wären wir gar nicht hierhergekommen.«

»Du hast die größten Hoffnungen deines Vaters erfüllt«, sagte Jamie so sanft, wie er nur konnte. »Du brauchst keine Angst mehr vor ihm zu haben.«

»Ich habe keine Angst vor meinem Vater!«

»Ich meine, er wird dich jetzt loslassen müssen.«

Sie sah ihm einen langen Augenblick ins Gesicht, bekümmert und unsicher. »Dann werde ich ihn auch loslassen müssen.«

»Ja.« Jamie nickte, obwohl er davon Kopfschmerzen bekam.

Ilona und Connors begaben sich ebenfalls zusammen ins Labormodul, während Joanna in den Waschraum ging und sich fürs Bett fertigmachte. Jamie, der zu unruhig war, um auch nur an Schlaf zu denken, lenkte seine Schritte nach vorn ins Cockpit. Draußen kreischte unaufhörlich der Sturm und sorgte für die schwärzeste Nacht, die er bisher auf dem Mars erlebt hatte. Er spähte durch den Thermovorhang, stellte fest, daß es nichts zu sehen gab, und ließ ihn wieder zurückschnellen.

Er verspürte keine Angst vor dem wallenden Staub, der draußen vorbeijagte. Für Jamie ähnelte er eher weichen Wattewolken, die sie einhüllten; nichts vermittelte ihm den Eindruck, daß er aus scharfen, spitzen Sandpartikeln bestand, die imstande waren, Metall zu zerkratzen und abzuschleifen. Ich könnte dort hinausgehen, wenn es sein müßte, selbst mitten in diesem Sturm, sagte er sich. Vielleicht würde es sogar Spaß machen.

Er fragte sich, wann der Sturm aufhören würde. Vielleicht sollte ich Toshima anrufen und ihn um eine Vorhersage bitten.

Aber wozu, dachte er dann. Er hört auf, wenn er aufhört, ganz gleich, was der Meteorologe sagt. Jamie betastete den beruhigenden, glatten Stein des Bärenfetischs in seiner Tasche und sagte sich, daß es töricht war, die Dinge beschleunigen zu wollen. Besonders, wenn man keine Macht über sie hatte. Warte das Ende des Sturms ab. Warte das Ende aller Stürme ab.

Er war müde, todmüde, aber zu aufgekratzt, um in seine Koje zu steigen. Wie ein kleiner Junge an Heiligabend. So ungeheuer müde, daß er kaum die Augen offenhalten kann, aber zu aufgeregt, um schlafen zu gehen.

Connors und Ilona brauchen aber lange im Labor. Fängt sie wieder mit ihren alten Mätzchen an? Na ja, wenn Pete sich so schlecht fühlt, wie er aussieht, und trotzdem einen hochkriegt, dann spricht das um so mehr für ihn. Und Ilona – er hätte beinahe gelacht –, sie ist wie die gute alte Post: weder Regen noch Sturm noch die dunkle Nacht können sie aufhalten.

Er rieb sich das stoppelige Kinn. Vielleicht sollte ich mich rasieren. Wenn es uns gelingt, die Antenne zu reparieren, und wir morgen im Fernsehen sind, sollte ich mich zumindest um ein anständiges Äußeres bemühen. Andererseits sehe ich rasiert vielleicht schlimmer aus als mit einem Viertagebart. Vielleicht. Es wäre Li sicher nicht recht, wenn die Medien herausfänden, daß wir krank sind. Brumado muß erfahren, was mit seiner Tochter und uns übrigen los ist, aber die Medien dürfen auf keinen Fall Wind davon kriegen. Die würden durchdrehen. Marsfieber! Alles, was wir erreicht haben, wird Schnee von gestern sein, sobald sie argwöhnen, daß einer von uns auch nur einen leichten Schnupfen hat.

Ihm kam zu Bewußtsein, daß es Menschen auf der Erde gab, die Angst vor jedwedem Leben auf dem Mars haben würden.