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Die Vorstellung von Leben auf anderen Welten zerstörte ihren tröstlichen Eigendünkel, attackierte ihre religiösen Überzeugungen, zertrümmerte ihr Bild vom Universum. Oder noch schlimmer. Die UFO-Spinner werden ausflippen! Sie werden zuallermindest mit einer marsianischen Invasion rechnen. Der Gedanke erschreckte Jamie. Stimmte ihn über alle Maßen traurig.

Zerstreut und innerlich aufgewühlt beugte Jamie sich über die Kontrolltafel und schaltete die Scheinwerfer des Rovers ein. Als er wieder durch den Thermovorhang spähte, sah er ein weiches, diffuses graues Licht, das nichts enthüllte, nur ein konturloses Schimmern, wie einen dicken, wogenden Nebel.

Der Marswind sang sein endloses Lied, obwohl Jamie den Eindruck hatte, daß es nun ein bißchen tiefer klang als zuvor. Er fragte sich, ob das gut oder schlecht war.

Sie werden uns morgen zurückholen, soviel steht fest. Ohne daß wir auch nur in die Nähe des Felsendorfes gekommen wären. Sie werden sagen, wir seien zu krank, um weiterzufahren, und uns den Befehl geben, zur Kuppel zurückzukehren.

Jamie wußte, daß es richtig war. Vier Menschenleben hingen davon ab. Doch als er in die perlmuttgrauen Wolken hinausschaute, die an der Kanzel des Rovers vorbeiwehten, fragte er sich, ob er sie irgendwie dazu bewegen konnte, sie weiterfahren zu lassen, statt ihnen den Befehl zum Rückzug zu geben.

Ich könnte zu Fuß gehen, dachte er. Ich könnte von hier aus dorthin gehen und das Dorf sehen, könnte die Felswand hinaufklettern und meine Hände darauflegen. Ich könnte es tun.

Und dann sterben. Es gäbe keinen Rückweg mehr für mich; der Anzug kann seinen Träger nicht so lange am Leben erhalten. Aber ich käme wenigstens hin und sähe es mit eigenen Augen. Es wäre kein schlechter Ort zum Sterben. Vielleicht ist das der Sinn meines Traums.

Tony Reed fand ebenfalls keinen Schlaf.

Als das Licht automatisch für die Nacht gedämpft worden war, hatte er sich natürlich wie die sieben anderen, die in der Kuppel wohnten, in seine Kabine zurückgezogen. Wosnesenski bestand darauf, daß sie sich genau an den Missionsplan hielten, sofern kein dringender Notfall vorlag. Mikhail Andrejewitsch wurde immer pedantischer, seit die Krankheit von ihm Besitz ergriffen hatte; obendrein war er griesgrämig und grüblerisch.

Sobald Reed das tiefe Schnarchen des Russen hörte – es klang wie ein Trecker, der auf dem Acker hin und her rumpelte –, stand er von seiner Liege auf und schlich in seinen dicken Pantoffelsocken auf Zehenspitzen ins Krankenrevier zurück.

Im Dunkeln wirkte die Kuppel kälter auf ihn. Er wagte es nicht, die Deckenlampe einzuschalten, als er an den stillen Arbeitsplätzen vorbeitappte. Im Krankenrevier schob er die Tür hinter sich zu, tastete sich um seinen Schreibtisch herum zu seinem Stuhl und streckte die Hand zum Computer auf dem Tisch aus, während er sich hinsetzte. Er suchte den Netzschalter mit den Fingern, fand ihn und schaltete den Computer ein.

Der kleine Bildschirm leuchtete orange auf wie ein munteres Feuer.

Sie sterben, dachte Reed. Sie sterben alle, und sie erwarten von mir, daß ich sie rette. Und ich weiß nicht, was ich tun soll!

Er ließ die Daten der letzten medizinischen Tests durchlaufen.

Nichts Neues. Nichts, was ihm auch nur den leisesten Hinweis darauf lieferte, was sie infiziert haben mochte.

Tony starrte kopfschüttelnd auf den Bildschirm. Er selbst fühlte sich gut; er war ein bißchen müde, seine Augen brannten von der Überanstrengung, aber ansonsten ging es ihm bestens. Keins der Symptome, die die anderen zeigten. Wie kann das sein, fragte er sich. Wir essen alle das gleiche, atmen dieselbe Luft. Aber die anderen sind allesamt krank, im Rover und hier in der Kuppel. Bloß ich nicht.

Reed lehnte sich zurück, schloß die Augen halb und legte die Spitzen der langen Finger auf der Brust aneinander. Denk nach, Mann, fauchte er sich an. Benutz das Gehirn da oben in deinem Schädel und denk nach.

These eins: Sowohl das Team im Rover als auch die Mannschaft hier in der Kuppel haben es bekommen, was auch immer es ist. Deshalb kann es keine Infektion durch die Lebensformen sein, die das Roverteam gefunden hat.

Ja, korrekt. Aber kann es ein infektiöser Organismus in der Luft sein? Theoretisch ist es eigentlich unmöglich, daß marsianische Parasiten Besucher von einem anderen Planeten befallen, aber vielleicht gibt ein hoch anpassungsfähiges Virus in der Luft? Wir wissen jetzt, daß es auf dem Mars Leben gibt.

Was, wenn irgendwelche Organismen in der Luft schweben?

Reed schüttelte den Kopf und versuchte, den Gedanken zu verwerfen. Wir haben Proben von der Luft genommen. Monique hat sie mit jedem Gerät getestet, über das sie verfügt. Wosnesenski hat die Luftreiniger überprüft. Sie haben nichts gefunden. Und wir haben hier drin normale erdähnliche Luft, keine marsianische. Jeder marsianische Organismus würde von dem hohen Sauerstoffanteil getötet werden.

Und dennoch – wir haben kein Elektronenmikroskop. Es wäre durchaus möglich, daß ein Virus bei Moniques Tests durchgerutscht ist, besonders weil wir nicht genau wissen, wonach wir suchen. Vielleicht mögen sie Sauerstoff. Und wir sind nicht konsequent; wir achten sehr genau darauf, daß wir die Luft- und Bodenproben vom Mars nicht mit unseren Bakterien infizieren, nicht wahr? Wenn die hohen Tiere ihrer eigenen Theorie wirklich vertrauen würden, warum sollten sie sich dann Sorgen machen, daß wir den Mars möglicherweise infizieren könnten?

Es ergibt einfach keinen Sinn, sagte sich Reed. Wenn uns ein einheimischer marsianischer Organismus infiziert hat, warum bin ich dann nicht betroffen? Warum bin ich gesund, während alle anderen sterben?

Zum ersten Mal, solange er sich erinnern konnte, fühlte Tony Reed sich schuldig. Und er kam sich unzulänglich vor.

Außerdem hatte er schreckliche Angst. Aber das war ein Gefühl, das er schon sein Leben lang kannte.

Dr. Yang Meilin schlief, aber nicht gut. Sie hatte einen Traum, der ihr zu schaffen machte. Einen Alptraum. Sie war wieder Medizinalassistentin in ihrer Heimatstadt Wuxi. Die große Hungersnot hatte die ganze Provinz erfaßt. In den Straßen lagen so viele Leichen, daß die Menschen parfümierte Gazemasken trugen, um sich vor dem Gestank verwesenden Fleisches zu schützen.

Dr. Yang war im Krankenhaus, auf einer Station voller schreiender Babies. Ausgemergelte Gliedmaßen und aufgequollene Bäuche. Die Babies wurden mit den vom Internationalen Roten Kreuz geschickten Nahrungsmitteln gefüttert, aber sie starben trotzdem.

Sie schlief mit dem gutaussehenden Arzt aus Beijing, aber sie konnte sich ihm nicht total hingeben, weil sie das qualvolle Schreien der Babies durch die dünnen Vorhänge hörte, die sie um das Bett gezogen hatten. Der Arzt würde am nächsten Morgen nach Beijing zurückkehren, ohne ihr auch nur auf Wiedersehen zu sagen. Und die Babies hörten nicht auf, zu wimmern und zu schreien. Und zu sterben.

Dr. Yang wußte, daß sie nicht an Unterernährung starben.

Und noch während sie sich das sagte, veränderte sich ihr Traum, verwandelte sich und mutierte: Die Babies waren Astronauten, die Krankenstation war die Kuppel auf der roten Oberfläche des Mars.

Sie fühlte sich total hilflos. Warum sterben sie? Es ist meine Aufgabe, sie zu retten, ihnen zu helfen, sie am Leben zu erhalten und wieder gesund zu machen. Es ist meine Aufgabe, mich zu erinnern. Erinnere dich.

Sie war sofort wach und setzte sich auf ihrer Liege kerzengerade auf.

Aber sie konnte sich nicht erinnern, was der Traum ihr zu sagen versucht hatte.

ERDE

WASHINGTON: Edith schaute aus dem Fenster ihres Hotelzimmers und hielt den Telefonhörer fest ans Ohr gepreßt.

»Sie sind gefeuert, Edie«, sagte Howard Francis’ zornige, schnarrende Stimme.