Connors schimpfte vor sich hin. Dann begriff Jamie: »Mit dem Helm auf dem Kopf!«
»Hab mir die Sichtscheibe ordentlich eingenebelt.«
»Schalten Sie das Gebläse höher.«
»Schon geschehen. Sie wird schon wieder klar.«
Connors kam herunter und ging zum äußeren Gerätefach im Labormodul, um Werkzeug zu holen: eine feine Drahtbürste und eine Schaufel. Ein paar Minuten später hatte er den Antennenaufsatz vom Staub befreit.
Über Helmfunk baten sie Joanna, die Bildfernsprechverbindung zu testen. Sie sahen, wie der Antennenarm ausklappte; dann drehte sich die Schüssel langsam, bis sie sich auf das über dem Äquator kreisende Raumschiff eingestellt hatte. Joanna gab durch, daß es ihr ohne Schwierigkeiten gelungen war, Kontakt mit der Kuppel aufzunehmen.
»Wosnesenski sagt, die Pressekonferenz fängt in einer Stunde an, wenn wir bis dahin soweit sind«, meldete sie.
»Kinderspiel«, sagte Connors.
Jamie grunzte in sich hinein. Er schwitzte in seinem Anzug schon jetzt heftig und war sicher, daß es Connors ebenso ging.
»Sie steigen jetzt wieder ein«, sagte der Astronaut zu Jamie.
»Ich gehe auf die andere Seite und grabe eins der Räder aus.
Mal sehen, ob wir wegkommen, ohne daß ich die anderen auch noch ausbuddeln muß.«
»Ich kann Ihnen helfen.«
»Nein, ist schon gut. Dieses Zeug ist so locker, daß man es mit einem Kleiderbesen wegfegen könnte. Wenn ich Hilfe brauche, sage ich Ihnen Bescheid. Vielleicht machen wir nach der Pressekonferenz alle vier eine Buddelparty.«
»Sind Sie sicher, daß sie hier draußen klarkommen?«
»Ich bin kein Held, Jamie. Wenn ich Hilfe brauche, schreie ich schon, keine Sorge.«
Widerstrebend ging Jamie wieder hinein. Er brauchte viel länger als sonst, um den Staub von seinem Anzug zu saugen.
Er ließ den Helm in der Luftschleuse liegen und stapfte durchs Kommandomodul zum Cockpit. Joanna saß auf dem Pilotensitz und sprach zum Bildschirm. Jamie erkannte das Gesicht von Burt Klein, dem amerikanischen Astronauten auf der Mars 2.
Klein grinste ihn an. »Ihr habt eure Antenne ja wieder in Gang gekriegt«, sagte er.
Jamie murmelte eine Antwort und schaltete dann auf die Funkverbindung mit Connors. »Alles okay. Wir haben die Mars 2 auf dem Bildschirm.«
»Prima«, sagte Connors keuchend. »Das rechte Vorderrad ist fast frei.«
Jamie schaute von Joannas müdem Gesicht zu Kleins gesundem, heiterem Antlitz auf dem kleinen Monitor und merkte, wie krank sie alle vier sein mußten. Seine Haut ist beinahe rosa, dachte er.
Dr. Li erschien auf dem Bildschirm und erteilte Anweisungen für die Pressekonferenz, die in Kürze beginnen würde. Er bat Jamie, Connors vorher hereinzuholen. Jamie verglich die Zeit auf seiner Armbanduhr mit der auf der Digitaluhr an der Kontrolltafel im Cockpit und bat Joanna dann, sich um die Verbindung zu kümmern. Klein erschien wieder auf dem Bildschirm, und Joanna plauderte mit ihm, fast so, als wären sie alte Freunde, die über das Wetter sprächen.
Jamie sah, daß Joanna einen neuen, korallenrosa Overall angezogen und Make-up aufgelegt hatte. Sie versucht, ihre Blässe zu verbergen, erkannte er; sie will für die Medien gut aussehen. Und für ihren Vater.
Als er sich in dem unförmigen harten Anzug auf den Rückweg zur Luftschleuse machte, kam Jamie an Ilona vorbei. Sie saß auf einer der Bänke und wirkte völlig entkräftet. Sie hatte sich ebenfalls geschminkt und einen bunten, geblümten Schal um den Kragen ihres Overalls geschlungen. Aber sie sah trotzdem furchtbar blaß und schwach aus.
Jamie versuchte sie aufzumuntern. »Na, bereit für den Ruhm?«
Sie lächelte matt. Nicht einmal die dickste Schminke hätte die roten Augen und die Spuren von Stress verbergen können, die ihr Gesicht zeichneten. Aber vielleicht kam sie vor den Kameras damit durch. Die große Story des heutigen Tages soll die Entdeckung von Leben auf dem Mars sein, nicht unsere körperliche Verfassung.
Die Verzögerung bei den Übertragungen zwischen der Erde und dem Mars betrug jetzt hin und zurück über fünfundzwanzig Minuten, so daß ein live stattfindendes Frage-und-Antwort-Spiel unmöglich war. Statt dessen hatten die Presseleute und die Flugkontrolleure ein anderes Protokoll ausgearbeitet.
Aus den Reporterschwärmen, die praktisch zeitgleich mit der Veröffentlichung der Nachricht vom Leben auf dem Mars über Kaliningrad, Houston, Washington und andere Hauptstädte hereingebrochen waren, hatte man zwölf Personen ausgewählt. Jeder der zwölf befand sich an einem anderen Ort der Erde. Jeder würde eine Frage stellen, die von einem der Marsforscher beantwortet werden sollte. Nachfragen würde es nicht geben. Alberto Brumado, der in Washington saß, würde die Zeit zwischen den Fragen und den Antworten mit Kommentaren und Gesprächen mit Flugkontrolleuren, Projektverwaltern und Politikern füllen, die sich in Kaliningrad und woanders versammelt hatten.
Viele Politiker waren gekommen, um sich vor den Kameras in Szene zu setzen, darauf erpicht, sich im Glanz der großen Entdeckung zu sonnen und sich von den Medien der Welt im globalen Fernsehen interviewen zu lassen.
Jamie fragte sich, ob Edith zu den Fragestellern gehören würde. Wahrscheinlich nicht, dachte er. Sie hat gerade erst bei dem Network angefangen; dafür ist sie nicht hoch genug auf der Leiter.
Die beiden Frauen saßen in den Cockpitsitzen. Jamie und Connors standen hinter ihnen. Connors hatte es in der einen Stunde nur mit Mühe geschafft, eines der Räder des Rovers auszugraben und sich dann wieder hineinzuschleppen. Er hatte nur die obere Hälfte seines Raumanzugs abgelegt und stand nun in den Stiefeln neben Jamie. Obwohl er versucht hatte, die schneeweiße Anzughose gründlich abzusaugen, war sie von rotem Staub gesprenkelt, der den stechenden Geruch von Ozon absonderte.
Wosnesenski saß am Kommunikationsbildschirm in der Kuppel, Dr. Li an dem oben im Orbit. Die Leute auf der Erde konnten nach Belieben mit jeder Gruppe der Marsexpedition sprechen.
Vor dem offiziellen Beginn der Konferenz erschien Brumado auf dem Bildschirm. Er gratulierte seiner Tochter, und Joanna schickte ihm ein liebevolles Dankeschön. Jamie war beinahe eifersüchtig auf das warme Lächeln, das sie ihrem Vater schenkte. Als ihre Botschaft endlich bei ihm eintraf, ließ Brumado durch nichts erkennen, daß ihn das Aussehen seiner Tochter schockierte oder auch nur beunruhigte; sie hatte eine lächelnde Fassade vorgetäuscht und kein Wort über die körperliche Verfassung des Teams gesagt.
Wahrscheinlich ist er zu aufgeregt, um es zu merken, dachte Jamie. Vielleicht haben wir uns auch alle zu sehr in etwas hineingesteigert. Wenn man es im Fernsehen nicht sieht, wie schlimm kann es dann wirklich sein?
Die Reihenfolge, in der die Reporter ihre Fragen stellen würden, war vom Zentralrechner des Kontrollzentrums in Kaliningrad nach dem Zufallsprinzip festgelegt worden. Jeder fand, daß dies ein angemessen wissenschaftliches Verfahren zur Lösung des Prioritätsproblems war. Als erste war Hongkongs wichtigste Medienpersönlichkeit ausgewählt worden, eine auffallend schöne Frau mit einer Haut wie Porzellan und Mandelaugen, die schon Dichter inspiriert hatten.
»Zuerst möchte ich Ihnen zu der bedeutendsten Entdeckung in der Geschichte des Raumfahrtzeitalters gratulieren«, sagte sie in fehlerlosem britischem Englisch. Ihre Stimme war ein silberheller Sopran; sie sang die Worte beinahe. »Meine Frage lautet: Wer von Ihnen hat die Entdeckung eigentlich gemacht, und was haben Sie empfunden, als Ihnen klar wurde, daß Sie Leben auf dem Mars gefunden hatten?«
Joanna drehte sich in ihrem Sitz unschlüssig zu Ilona um, die neben ihr saß. Das Gesicht der Frau aus Hongkong wich dem von Brumado, der die Zeit überbrücken würde, bis ihre Antwort in Kaliningrad eintraf. Der Ton wurde automatisch so weit heruntergedreht, daß er kaum noch zu hören war.
»Ich kann das beantworten«, sagte Ilona und zwang sich zu einem Lächeln. »Doktor Brumado hat als erste erkannt, daß die Gebilde, die sie unter dem Mikroskop untersucht hat, lebendig waren. Sie ist unsere Biologin, und sie hat die Entdeckung gemacht.«