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Aber sie blieben in ihren bequemen Overalls im Rover und setzten ihren langsamen Vorstoß zum Grand Canyon des Mars fort. Jamie schloß die Hand um den Steinfetisch in seiner Tasche. Morgens liegt Feuchtigkeit in der Luft, wiederholte er immer wieder im stillen. Sie kommt bestimmt vom Canyon.

Bestimmt.

Insgeheim hatte er Angst, Dr. Lis Zustimmung könnte von jemandem in der Befehlshierarchie auf der Erde rückgängig gemacht werden. Er wollte am Ziel sein, wenn ein solches Signal kam – oder zumindest so nah am Ziel, daß sie noch ein paar Untersuchungen vornehmen konnten, bevor sie dem Rückkehrbefehl zur Basis gehorchen mußten. Mikhail scheint das auch zu wollen, dachte Jamie. Auf seine Weise ist er genauso aufgeregt wie ich.

»Ich bin vor Ihnen noch nie einem Indianer begegnet«, sagte Wosnesenski abrupt, ohne den Blick von dem Gelände vor sich abzuwenden.

»Ich bin kein richtiger Indianer«, erwiderte Jamie. »Ich bin zu einem Weißen erzogen worden.«

»Aber Sie sind kein Weißer.«

»Nein, nicht ganz.« Der Rover holperte über eine kleine Rinne, und Jamie hüpfte in seinem Sitz. »In den Staaten haben wir Menschen aus allen Teilen der Welt – aus sämtlichen europäischen Staaten, Asiaten, Afrikaner…«

»Ich habe von den Problemen eurer Schwarzen gehört. Wir haben in der Schule gelernt, daß sie von eurem rassistischen System unterdrückt werden.«

Jamie merkte, wie er zornig wurde. »Wieso ist dann der einzige Schwarze auf dem Mars ein Amerikaner? Warum haben die afrikanischen Staaten sich nicht an dieser Expedition beteiligt?«

»Weil sie arm sind«, antwortete der Russe und manövrierte den Rover geschickt um einen neu aussehenden Krater herum, der ungefähr die Größe eines Swimmingpools hatte. »Sie können sich einen solchen Luxus wie die Raumforschung nicht leisten. Sie können ja kaum ihre Einwohner ernähren.«

»Ist das wirklich ein Luxus, Mikhail? Glauben Sie, daß es Geldverschwendung ist, die Hand nach dem Weltraum auszustrecken?«

»Nein«, antwortete Wosnesenski sofort und bestimmt. In seinem Ton lag nicht der geringste Zweifel.

Jamie dachte an die heruntergekommenen Pueblos und zerbröckelnden alten Adobehäuser in New Mexico. »Ich weiß nicht«, sagte er nachdenklich. »Manchmal glaube ich, das Geld hätte besser angelegt werden können, um den Armen zu helfen.«

Der Russe warf ihm einen raschen Blick zu, dann konzentrierte er sich wieder aufs Fahren. Er schwieg geraume Zeit, und Jamie schaute in das staubige rote Land hinaus, das an ihnen vorbeizog – Felsen, abbröckelnde alte Rinnen, Krater, kleine Dünen, deren Sand vom Wind aufgeweht wurde. Weiter weg, in Richtung zum Horizont, sah er einen Staubwirbel, der sich wie eine rote Windhose in den rosafarbenen Morgenhimmel schraubte.

»Was wir tun, hilft den Armen«, sagte Wosnesenski. »Wir nehmen ihnen kein Brot weg. Wir erweitern den Lebensraum der menschlichen Spezies. Die Geschichte hat gezeigt, daß jede Erweiterung des menschlichen Lebensraums einen Zuwachs an Reichtum und eine Steigerung des Lebensstandards mit sich gebracht hat. Das ist eine objektive Tatsache.«

»Aber es gibt immer noch Arme«, entgegnete Jamie.

Die Stimme des Russen nahm einen leicht gereizten Ton an.

»Allein schon der russische Staatenbund hat den armen Ländern Hilfsgelder in Höhe von mehreren tausend Milliarden gewährt. Die Vereinigten Staaten noch mehr. Diese Expedition zum Mars hat den Armen nicht geschadet. Was wir hier ausgeben, ist ein Trinkgeld im Vergleich zu dem, was sie bereits erhalten haben. Und was hat es ihnen gebracht? Sie setzen nur noch mehr Babies in die Welt, bringen eine weitere Generation von Armen hervor. Eine noch größere Generation. Es nimmt kein Ende.«

»Also leiden sie keinen Hunger, weil wir hier auf dem Mars sind.«

»Ganz sicher nicht. Es fehlt ihnen an Disziplin, das ist ihr Problem. In der russischen Föderation haben wir uns innerhalb einer einzigen Generation von einer rückständigen Agrargesellschaft zu einem mächtigen Industriestaat entwickelt.«

Ja, erwiderte Jamie im stillen, mit Stalin als großem Steuermann. Dem war es egal, wie viele Millionen verhungert sind, während er seine Fabriken und Kraftwerke gebaut hat.

»Aber sagen Sie mir, wie war es, in New Mexico aufzuwachsen? Das ist doch in der Nähe von Texas, nicht wahr?«

»Ja«, sagte Jamie. »Zwischen Arizona und Texas.«

»Ich war dort. In Houston.«

»New Mexico ist ganz anders als Houston.« Jamie lachte.

Dann sagte er: »In Wirklichkeit bin ich größtenteils in Kalifornien aufgewachsen. In Berkeley. Dort haben meine Eltern an der Universität unterrichtet. Ich war noch klein, als wir dorthin gezogen sind. Aber ich habe viele Sommer in Santa Fe verbracht, bei meinem Großvater.«

Es war ein anstrengender Tag gewesen. Jamie war fast siebzehn und schloß gerade die Highschool ab. Seine Eltern waren schwer enttäuscht von ihm, weil er keine klare Vorstellung hatte, was er auf dem College studieren wollte.

Sie waren mit ihn nach Santa Fe geflogen, wo er den Sommer verbringen sollte. Sein Großvater hatte erklärt, daß er Jamie ein Vollstipendium an der Universität von Albuquerque besorgt hatte – falls er es haben wollte.

Das Abendessen war längst beendet, und sie saßen im Eßzimmer von Als Haus oben in den Hügeln nördlich von Santa Fe um den großen Eichentisch herum, auf dem noch die Reste des gebratenen Zickleins standen, und unterhielten sich.

Das Eßzimmer war groß und kühl, mit einer schrägen, hohen Balkendecke und einem Fußboden aus glänzenden, ockerfarbenen Fliesen. Durch das große Fenster konnte Jamie Wohnhäuser im Adobestil sehen, die die Hänge über der Stadt sprenkelten. Die meisten gehörten Al; es waren Ferienhäuser für die Skifahrer im Winter und die Touristen, die das ganze Jahr über kamen und echte indianische Artefakte kaufen wollten. Die Sonne ging über den dunkler werdenden Bergen unter. Bald würde ein weiterer spektakulärer New-Mexico-Sonnenuntergang den Himmel färben.

Jamie hatte sein cabrito bis zum letzten Stück aufgegessen und sich die Gewürze schmecken lassen, die Als Koch so großzügig benutzt hatte. Seine Mutter, die bedenkenlos lapin und Froschschenkel essen würde, hatte ihren Teller kaum angerührt. Jamies Vater hatte seine Portion locker geschafft, aber jetzt rieb er sich unbewußt die Brust, als wären die Gewürze zuviel für ihn gewesen.

»Ich bin sicher, du meinst es gut, Al«, sagte Lucille mit ihrem süßesten, überzeugendsten Kleinmädchenlächeln, »aber wir hatten nun einmal angenommen, daß Jamie zu Hause bleiben und auf die Universität in Berkeley gehen würde.«

»Wird dem Jungen guttun, wenn er die Dinge mal aus einem anderen Blickwinkel sieht«, sagte Al und zog eine Packung dünner, dunkler Zigarillos aus seiner Hemdtasche. »Dazu ist das Schulwesen doch angeblich da, stimmt’s: für die Bildung.

Und das ist mehr als Bücher und Seminare, oder?«

Lucille runzelte die Stirn, als ihr Schwiegervater seinen Zigarillo ansteckte und eine dünne graue Wolke zur Balkendecke blies. Sie warf ihrem Mann einen scharfen Blick zu.

Jerome Waterman hüstelte leise und sagte: »Dad, der Junge hat sich noch nicht mal entschieden, was er studieren will, geschweige denn, auf welche Uni er gehen möchte.«

Die reden, als ob ich diese Entscheidungen treffen würde, dachte Jamie. Aber sie fragen mich nicht mal nach meiner Meinung.

Sein Vater fuhr fort: »Angesichts seiner Noten und der Ergebnisse seiner Eignungstests…«

»Ach, hört mir auf mit diesem Quatsch!« entfuhr es Al. Dann schenkte er seiner Schwiegertochter sein schmeichlerischstes Lächeln. »Entschuldige meine Ausdrucksweise, Lucille. Aber diese Pfeifen von Psychologen würden doch nicht mal einen Skunk in ihrem eigenen Wäscheschrank finden, geschweige denn, daß sie einem Siebzehnjährigen helfen könnten herauszufinden, welche Richtung er in seinem Leben einschlagen will.«