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Er atmete die Konservenluft tief ein, steckte den Pickel sorgfältig in die Schlinge an seinem Gürtel, zog dann den Kugelschreiber heraus (der garantiert auch in der Schwerelosigkeit funktionierte) und beschriftete den Probenbeutel präzise: Datum, Uhrzeit, genaue Entfernung vom Rand. Die erfuhr er, indem er sich von Wosnesenski die Längenangaben am Seil der Winde durchgeben ließ.

»Nicht mehr viel Tageslicht übrig.« Wosnesenskis Stimme klag so kalt und emotionslos wie die eines Computers.

Jamie schaute nach oben und stemmte dann einen Stiefel gegen die Felswand, um sich in dem Geschirr zu drehen. Im selben Moment war es, als ob eine Million Nadeln in sein Bein stächen. Vom Hängen im Gurtgeschirr waren ihm beide Beine eingeschlafen. Jamie schimpfte und fluchte vor sich hin, während er mit den Beinen schlenkerte und mit den Zehen wackelte, um den Kreislauf wieder einigermaßen in Gang zu bringen.

Es fühlte sich an, als ob eine ganze Kolonie von Ameisen an seinen Beinen knabbern würde.

»Was ist los?« Wosnesenskis Stimme hatte auf einmal einen eindringlichen Klang. »Ist alles in Ordnung bei Ihnen?«

»Die Beine sind mir eingeschlafen«, antwortete Jamie.

»Ich ziehe Sie herauf.«

»Nein… das ist gleich wieder okay. Ich möchte zu dieser dritten Schicht hinunter, wo das gelbe Zeug ist.«

»Die Zeit wird knapp.«

»Ist sie das nicht immer?« Jamie schaute über den gewaltigen Abgrund hinaus und sah, wie die Schatten auf ihn zukrochen.

»Wir haben mindestens noch eine Stunde.«

»Eine Stunde«, sagte Wosnesenski mit unerbittlicher Endgültigkeit.

»Ja. Okay.«

Jamie steckte den Probenbeutel in den Sack, der gleich neben dem Fetisch um seinen rechten Oberschenkel geschnallt war, hob die Hand dann zu dem Tastenfeld an seiner Brust, mit dem er die Winde kontrollierte. Und erstarrte.

Sein Blick war auf eine dunkle Kerbe in der Felswand einen Kilometer oder noch weiter links von ihm gefallen, eine horizontale Spalte mit ebenem Boden und einem leicht vorgewölbten Felsüberhang darüber. Wie bei der Spalte auf der Mesa Verde, in der die Alten ihr Dorf aus getrockneten Lehmziegeln erbaut hatten.

Und in der Spalte waren Gebäude!

Jamie fühlte, wie ihm der Atem abrupt aus den Lungen entwich; er bekam ein hohles Gefühl im Bauch, und seine Eingeweide sackten weg, als wäre er plötzlich vom Rand des höchsten Berges im Universum gestoßen worden.

Das können keine Gebäude sein, beharrte ein Teil von ihm.

Doch er konnte quadratische Umrisse erkennen, Mauern und Türme. Kein Dunst trübte die Sicht; in dieser Höhe war die Luft so klar wie ein polierter Spiegel.

Jamie tastete an seinem Gürtel herum, ohne die Augen von dem phantastischen Anblick abzuwenden, fand die Videokamera, die dort festgeklemmt war, und riß sie los. Er schlug damit an sein Visier, und sein Kopf ruckte überrascht nach hinten, aber dann hielt er sie ruhig und justierte das Teleobjektiv.

Seine Hände zitterten so heftig, daß er zuerst nur ein verschwommenes, wackliges Bild sah. Er fletschte die Zähne und zwang sich mit aller Macht verzweifelt zur Ruhe, wie ein angsterfüllter Mensch, der weiß, daß er mit seiner Waffe genau zielen muß, weil er sonst getötet wird.

Die dunkle Spalte im Gestein hörte auf zu wackeln und wurde scharf. Tief in ihrem Innern, ein gutes Stück im Schatten des Überhangs, sah Jamie die ebenen Flächen und mit Zinnen versehenen Umrisse weißlicher Felsen.

Er war jetzt eiskalt. Das sind Felsen, sagte er sich. Keine Gebäude. Nur eine Gesteinsformation, die gewisse Ähnlichkeit mit von intelligenten Wesen geschaffenen Wänden und Türmen hat.

Und dennoch.

Jamie stellte das Objektiv auf höchste Vergrößerung und drückte dann auf den Auslöser der Kamera, bis ihm das leise Piepen sagte, daß die Kassette voll war. Erst dann nahm er die Videokamera von den Augen.

»Ich komme rauf«, sagte oder vielmehr rief er, obwohl das in seinen Helm eingebaute Mikrofon nur ein paar knappe Zentimeter von seinen Lippen entfernt war.

Wosnesenskis Stimme klang überrascht. »Ist etwas nicht in Ordnung?«

»Kann man wohl sagen, Mikhail. Es ist sogar absolut außerordentlich.«

»Was? Was sagen Sie?«

Es dauerte über eine Viertelstunde, bis die Winde ihn wieder zum Rand des Canyons hinaufgezogen hatte. Jamie hatte gar nicht gemerkt, daß er so weit hinuntergegangen war. Er verbrachte die Zeit mit dem Versuch, mehr in der Spalte zu erkennen, seine Phantasie an die Kandare zu nehmen, ruhig zu bleiben und nicht gleich loszuplappern, wenn er wieder oben bei dem Russen war.

Vom Rand aus konnte er die Spalte nicht sehen. Als er sich aus dem Geschirr befreite, sagte er hastig zu Wosnesenski:

»Legen Sie das Geschirr an, Mikhail. Schnell! Da unten ist etwas, das Sie sich anschauen müssen.«

»Ich? Warum…?«

»Keine Zeit für Diskussionen«, drängte Jamie, als er dem Russen das Geschirr über den Tornister zog und es vorne auf der Brust festschnallte.

Verwirrt und widerstrebend zurrte Wosnesenski die Beingurte fest und klickte sie in den Schließmechanismus auf seiner Brust ein, während Jamie eine neue Kassette in die Kamera einlegte.

»Was ist?« fragte er. »Was haben Sie entdeckt?«

»Eine Fata Morgana, glaube ich«, sagte Jamie. »Aber vielleicht…«

Er beschrieb rasch die Spalte und die Gebilde darin. Wosnesenski sagte nichts, trat rückwärts an den Rand des Abgrunds und stieg darüber hinweg.

»Moment!« rief Jamie. Er drückte Wosnesenski die Kamera in die behandschuhten Hände und befestigte ihr Band an seinem Gerätegürtel. »Benutzen Sie sie als Fernrohr. Aber verfilmen Sie die ganze verdammte Kassette. Filmen Sie, bis sie voll ist.«

»Wo muß ich suchen?« fragte Wosnesenski, während er sich hinabließ. Für Jamie sah er wie ein altmodischer Tiefseetaucher aus, der langsam in den Abgrund sank.

Jamie rasselte einen Strom von Anweisungen herunter, während der Motor der Winde dünn summte und Wosnesenski weiter abstieg.

»Ich sehe sie!« Zum ersten Mal, seit er den Russen kannte, klang dessen Stimme erregt. »Ja, interessante Gesteinsformationen darin…« Er verstummte.

»Was meinen Sie?« fragte Jamie.

Mehrere Minuten lang keine Antwort. Dann: »Es kann keine Stadt sein. Es sieht wie Gesteinsformationen aus.«

»Ja.« Jamie marschierte am Rand des Canyons nervös auf und ab. Der Russe unten blieb stumm.

Schließlich sagte er: »Das Band ist zu Ende. Ich komme herauf.«

»Ist es real?« fragte Jamie, während die Winde wimmernd arbeitete.

»Real, ja. Aber nicht künstlich. Das kann nicht sein.«

»Zerbrechen Sie sich nicht den Kopf darüber, was sein kann oder nicht. Was ist es?«

»Ungewöhnliche Gesteinsformationen. Aber natürlich, nicht von Menschen erschaffen.«

»Von Marsianern.«

»Auch nicht.«

Jamie wußte, daß er ihm beipflichten sollte. Es konnte nicht künstlich sein. Es konnte kein Dorf sein, das von intelligenten Marsianern erbaut worden war. Es konnten nicht die Vorfahren seiner Vorfahren sein, die Vorläufer von Mesa Verde und den anderen Felsenbehausungen der Anasazi. Er wußte, daß es nicht sein konnte.

Doch als Wosnesenski wieder neben ihm stand und sich aus dem Geschirr befreite, plapperte Jamie: »Wir müssen den Rover zu dieser Stelle am Rand bringen, genau oben drüber, damit wir uns runterlassen und selbst hineinschauen können.

Wir sind zu weit weg, als daß wir irgendwas mit Sicherheit sagen könnten, und wenn es eine Chance gibt, auch nur eine klitzekleine Chance, daß wir die Überreste intelligenten Lebens gefunden haben, heiliger Jesus Christus, Mikhail, das wäre die größte Entdeckung der Weltgeschichte!«