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Blindlings feuerte Konoye die Schubaggregate seines Exkursionsgeräts ab. Voller Panik flüchtete er vor der überwältigenden Präsenz des Mars.

»Warten Sie!« rief Tolbukhin. »Was tun Sie?«

Konoye flog weg vom Mars, weg von Deimos, weg von dem Raumschiff, in dem er seit über neun Monaten lebte. Er schloß die behandschuhten Hände fest um die Steuerung der Schubaggregate, wie ein Katatoniker oder ein Mann, der bereits von der Totenstarre befallen ist.

»Halt!« brüllte Tolbukhin, der vor Aufregung in Russisch verfiel. »Sie Narr, Sie werden sich noch umbringen!«

Aber Konoye floh, von Panik erfüllt, unfähig zu sprechen.

Der Kosmonaut aktivierte seine eigenen Schubaggregate und flog ihm nach, obwohl in seinem Helmkopfhörer ein Feuerwerk hektischer Befehle des Teams in der Mars 2 explodierte, das ihre Exkursion überwachte.

Unter der unbarmherzigen Hand der blinden Natur war Konoye zu einem winzigen Asteroiden geworden. Bei vollem Schub erschöpfte sich der Treibstoff in seinen Tanks rasch. Im reibungslosen Vakuum des Weltraums flog er immer weiter in dieselbe Richtung, geradewegs hinaus in die endlose Leere zwischen den Welten.

Tolbukhin konnte ihn nicht einholen. Innerhalb von ein paar Sekunden machte sich sein Training geltend – unterstützt von den wilden Rufen des Überwachungsteams in seinem Helmkopfhörer. Er kehrte um und flog zur Mars 2 zurück, wo er in Sicherheit war.

Das Rettungsteam brauchte nicht mehr als zwei Stunden, um Konoye mit einem der für den Notfall vorgesehenen Transfer-Fahrzeuge zu erreichen, die sie alle ›Schlepper‹ nannten. Der japanische Wissenschaftler hatte noch Luft für mehrere Stunden in den Tanks seines Anzugs. Seine Heizung und das übrige Lebenserhaltungssystem funktionierten noch.

Aber er war tot. Bei der Autopsie, die Dr. Yang an Bord der Mars 2 unverzüglich durchführte, stellte sich heraus, daß die Todesursache eine Gehirnblutung gewesen war. Tolbukhin schüttelte den Kopf, als er das hörte.

»Er ist vor Angst gestorben«, sagte der Russe leise. » Deimos hat ihn getötet, der Schrecken.«

SOL 9

ABEND

»Dann ist er also eines natürlichen Todes gestorben«, sagte Jamie.

Wosnesenski zuckte die Achseln. »Aber wäre er auch gestorben, wenn er auf der Erde geblieben wäre? Oder wenn er den Raumspaziergang nicht unternommen hätte?«

Jamie zuckte ebenfalls die Achseln. »Wir werden es niemals erfahren.«

Sie waren in der engen Luftschleuse und schälten sich langsam und mühselig aus ihren Raumanzügen, müde von der Arbeit des Tages, deprimiert von den Nachrichten aus dem Orbit.

»Ich verstehe trotzdem nicht, weshalb Li uns den Befehl geben mußte, zur Basis zurückzukehren«, grummelte Jamie. »Ist ihm nicht klar, was wir hier gefunden haben?«

»Was haben wir denn gefunden?« Wosnesenski lächelte nachsichtig. »Eine optische Täuschung?«

»Tja… vielleicht«, gab Jamie zu.

»Wenn wir wieder in der Basis sind, können wir das Team in der Umlaufbahn bitten, das Bildmaterial auf den Videobändern per Computer zu verbessern. Falls auch nur eine geringe Chance besteht, daß die Gesteinsformationen von Menschen…

äh, von Marsianern gemacht sind, werden wir sicher hierher zurückkommen.«

»Es ist nicht nur das, Mikhail. Dieser Canyon ist ein offenes Buch der Geschichte des Planeten. Wir sollten hier sein und uns damit befassen, was die Felsen uns zu erzählen haben. Joanna und die Biowissenschaftlerinnen müßten dort unten sein, wo den ganzen Tag über die Nebelschleier hängen. Dort haben wir die größten Chancen, Leben zu finden.«

Wosnesenski hatte sich bereits bis auf seinen von Wasserschläuchen durchzogenen Unteranzug ausgezogen. Jamie, der immer noch die harte Hose des Anzugs trug, lehnte sich ans Luftschleusenschott, um einen Stiefel auszuziehen.

Der Russe schaute auf den roten Staub an Jamies Stiefeln und schnüffelte laut. »Es riecht anders als auf dem Mond.«

»Was?«

»Nach einem Mondspaziergang riecht es in der Unterkunft, als hätte jemand einen Revolver darin abgefeuert. Der Mondstaub, der am Anzug und an den Stiefeln haftet, hat einen verbrannten Geruch. Dieses Zeug« – er betastete den dünnen Film aus rostigem Pulver am Ärmel seines leeren Anzugs – »dieser Marsstaub riecht anders.«

Jamie rümpfte die Nase. »Jetzt, wo Sie’s sagen – in der Kuppel hat es genauso gerochen, nicht?«

Wosnesenski nickte und zog am Arm seines Anzugs; er schwang mit dem leisen Zischen seiner glatten Teflon-Schultergelenke nach oben.

»Riechen Sie mal.«

Jamie schnupperte an dem metallenen Arm. Stechend. Herb.

Dann zog er einen seiner Handschuhe aus dem Bord, in das er sie gestopft hatte. Irgendwo in den Tiefen seiner Erinnerung formte sich das Bild eines herannahenden Gewitters, seltsames, unheimliches Nachmittagslicht, die Sommerluft schwer und still. Lichtblitze vor aufziehenden schwarzen Wolken.

»Ja. Merkwürdiger Geruch. Fast wie… könnte es Ozon sein?«

Wosnesenski rieb sich die Augen. »Ja, ich glaube, Sie haben recht. Ozon.«

»Der Boden ist voller Peroxide«, sagte Jamie.

»Und bei der hohen Temperatur hier drin zerfallen sie und lösen sich aus dem Staub.«

Jamies Augen brannten jetzt ebenfalls. Die Luftschleuse des Rovers war viel kleiner als der Reinigungsbereich in der Kuppel. »Vielleicht sollten wir zusehen, daß wir aus der Luftschleuse rauskommen.«

»Erst wenn wir die Anzüge saubergemacht haben.«

Jamie war endlich mit seinen Stiefeln fertig und wand sich aus der Hose des Anzugs. Sie saugten die Anzüge gründlich ab, aber der stechende Geruch blieb in der Luftschleuse hängen. Dann folgte Jamie dem Russen durch die Luke ins Hauptabteil des vorderen Rover-Segments.

Mit zusammengekniffenen Augen sagte er: »Wow, da drin war’s ja wie im Zentrum von Houston.«

»Das Ozon wird ziemlich rasch zerfallen«, meinte Wosnesenski. »Zu molekularem Sauerstoff. Der ist harmlos.«

Jamie ließ den Blick über die Borde mit den ordentlich übereinandergestapelten Geräten zu beiden Seiten schweifen und murmelte: »Einen GC/MS haben wir hier drin, stimmt’s? Die sind nicht beide hinten in der Ausrüstungssektion.«

Wosnesenski zeigte auf das unterste Bord. »Das ist das Quadrupolgerät. Das magnetische ist im Ausrüstungsmodul .«

»Das genügt vollkommen.« Jamie kniete sich hin und zog den Apparat aus dem Regal. Der Gaschromatograph und Massenspektrometer analysierte die chemische Zusammensetzung von Stoffen praktisch Atom für Atom. Er war ordentlich in eine graue Plastikhülle verpackt und erstaunlich leicht. Dem Hersteller-Logo zufolge war es ein japanisches Gerät.

»Ich möchte die Ozonwerte in der Luftschleuse überwachen.

Mal sehen, wie sich das Zeug zersetzt und was das Erdreich vielleicht sonst noch so ausgast.«

»Gut«, sagte Wosnesenski.

»Ich baue ihn in der Luftschleuse auf und schließe ihn an den kleinen Monitor im Cockpit an. Sie machen das Abendessen.

Ich komme um vor Hunger.«

Die dunklen Brauen des Russen zogen sich leicht zusammen.

»Sie geben mir Befehle? Ich bin der Kommandant.«

Jamie war bereits dabei, die Luftschleusenluke zu öffnen.

Das Spektrometer in seinem Arm lag auf seiner Hüfte. Er warf einen Blick zu dem Kosmonauten zurück.

» Ich gebe die Befehle, Yankee. Sie bauen das GC/MS auf, während ich das Essen zubereite.«

»In Ordnung, Boss«, sagte Jamie lachend.

Joanna schaute auf den Bildschirm, als Wosnesenski und dann Jamie Waterman ihre abendlichen Berichte ablieferten. Sie saß auf einem spinnenbeinigen Hocker am Arbeitstisch im Biologielabor. Die sperrigen Geräte umgaben sie wie ein Kokon. Im Laborbereich fühlte sie sich beinahe zu Hause; dank der Mikroskope, Isolierboxen und Regale mit Gläsern fühlte sie sich hier wohler und geschützter als in der kahlen kleinen Kabine, die ihr als Schlafraum diente.