Das hoffte Jamie jedenfalls.
Brumados Gesicht nahm auf dem kleinen Bildschirm des Laptops Gestalt an. Einen Moment lang kam Jamie sich beinahe albern vor. Die Worte »Endlich sind wir miteinander allein«
lagen ihm auf der Zunge.
Statt dessen sagte er: »Sie können jetzt fortfahren, Doktor Brumado. Außer uns ist niemand auf dieser Frequenz.«
Dann tickten die Minuten dahin. Jede Botschaft brauchte mehr als zehn Minuten, um die größer werdende Kluft zwischen den beiden Planeten zu überbrücken; über zwanzig Minuten Zeitverzögerung bei jedem Gespräch in beide Richtungen. Jamie betrachtete Brumado aufmerksam; der Mann saß nur da und schaute auf den Bildschirm, wartete mit der Geduld eines echten Indianers. Vielleicht sieht er sich andere Daten auf seinem Bildschirm an, während er darauf wartet, daß meine Botschaft bei ihm eintrifft, dachte Jamie. Aber Brumados Augen gingen nicht hin und her, wie es der Fall gewesen wäre, wenn er etwas gelesen hätte.
Jamie stand von seiner Liege auf, holte das Kopfhörer-Zubehör aus seiner Schreibtischschublade und steckte es in den Laptop. Jetzt konnte zumindest niemand mithören, was Brumado sagte, dachte er, als er sich wieder auf die Liege zurücksinken ließ.
Ich sollte Ediths Botschaft beantworten, fiel ihm ein. Und Mom und Dad etwas schicken. Er hatte nicht damit gerechnet, daß seine Eltern versuchen würden, mit ihm Kontakt aufzunehmen; sie würden erwarten, daß er sie anrief, das war ihm klar. So lief es immer. Warum sollte es anders sein, nur weil er auf dem Mars war? Und Al. Was kann ich ihn sagen, ohne mich in Platitüden zu ergehen? Amüsiere mich prächtig, wünschte, du wärst hier? Jamie grinste in sich hinein. Al würde das Band in seinem Geschäft laufen lassen; der einzige Laden auf der Plaza, der Botschaften vom Mars kriegt.
Endlich erwachte Brumado mit einem Lächeln zum Leben.
»Vielen Dank, Jamie. Sie haben doch nichts dagegen, daß ich Sie Jamie nenne, oder? Joanna hat mir erzählt, das sei der Name, den Sie bevorzugen.«
»Sicher, ist schon okay.«
Wieder die Wartezeit. Jamie rückte Brumados Bild in ein kleines Fenster in der Ecke des Bildschirms und rief den Missionsplan auf. Er verbrachte die Zeit damit, sich den Plan anzusehen, nach Aufgaben zu suchen, die aufgeschoben oder ganz gestrichen werden konnten, um Platz für eine weitere Exkursion zum Grand Canyon zu machen.
»Ich muß mit Ihnen über Politik sprechen«, sagte Brumado schließlich. »Wegen der langen Verzögerung bei der Übertragung möchte ich Sie bitten, Geduld mit mir zu haben und sich anzuhören, was ich zu sagen habe. Wenn ich fertig bin, können Sie mir mitteilen, was Sie von meinem Vorschlag halten.«
Jamie nickte und sagte leise: »Okay«, obwohl Brumado nicht auf eine Antwort wartete.
»Ich habe persönlich mit Ihrer Vizepräsidentin gesprochen«, fuhr Brumado fort, »und noch mehrmals mit deren wichtigsten Beratern. Sie ist bereit, sich eindeutig für die weitere Erforschung des Mars auszusprechen – wenn Sie eine Erklärung abgeben, daß Sie ihre Kandidatur für das Weiße Haus bei der Wahl nächstes Jahr unterstützen.«
Jamie merkte, wie seine Augenbrauen zu seinem Haaransatz hochkrochen. Ich? – Ich soll eine Erklärung abgeben, daß ich sie unterstütze? Warum ich? Wie kommen sie auf die Idee, daß irgend etwas, das ich zu sagen habe, von Bedeutung sein könnte?
»Sie möchte eine schriftliche Erklärung von Ihnen«, fuhr Brumado fort, »die sie zurückhalten wird, bis die Expedition zur Erde heimkehrt. Wenn Sie wieder wohlbehalten zu Hause sind, erwartet sie von Ihnen, daß Sie Ihre Erklärung veröffentlichen. In der Zwischenzeit wird sie öffentlich bekunden, daß sie weitere Expeditionen zum Mars unterstützt. Ich habe vorgeschlagen, daß sie am fünfzigsten Jahrestag des ersten amerikanischen Satellitenstarts eine Ansprache hält. Ich glaube, sie wird sich dazu bereit erklären.«
Jamie war verwirrt. All das wegen der Navajo-Worte, die ich bei der Landung gesprochen habe? Wie, zum Teufel, konnten drei Worte zu solchen Manövern führen?
Brumado hatte aufgehört zu sprechen. Er schaute erwartungsvoll auf den Bildschirm.
Jamie holte tief Luft. »Ich verstehe nicht, was hier vorgeht, und ich weiß auch nicht, wie es dazu gekommen ist. Natürlich möchte ich, daß weitere Expeditionen zum Mars stattfinden, aber ich begreife nicht, was das damit zu tun hat, wen ich politisch unterstütze.«
In den zwei Wochen, die sie nun auf dem Mars waren, hatte Jamie sich nur dem einen Fernsehinterview am zweiten Tag nach ihrer Landung stellen müssen. Alle anderen Mitglieder des Landeteams waren schon mindestens zweimal interviewt worden. Jamie hatte gedacht, der eigentliche Grund dafür sei nationale Politik: Bei zwei amerikanischen Astronauten auf dem Mars wollten die Projektadministratoren die Russen nicht verstimmen, indem sie einen dritten Amerikaner ins Rampenlicht stellten.
Jetzt fragte er sich, ob sein Gedankengang naiv gewesen war.
Brumado begann unbehaglich dreinzuschauen, als Jamies Antwort sich auf seinem Gesicht abzeichnete. Er fuhr sich mit einer Hand über seinen sauber gestutzten ergrauenden Bart, bevor er antwortete.
»Ich bin froh, daß niemand dieses Gespräch mithört«, sagte er mit einem bedächtigen Lächeln. »Während der ersten paar Tage nach eurer Landung hat die Tatsache, daß Sie ein amerikanischer Ureinwohner sind, in den amerikanischen Medien Furore gemacht. Eine Rothaut auf dem Roten Planeten: Das war noch die dezenteste Geschichte über Sie.«
Jamie kam zu Bewußtsein, daß die Flugkontrolle ihnen all die Nachrichtensendungen von der Erde praktisch vorenthalten hatte. Zum ersten Mal wurde ihm klar, daß Kaliningrad –
und Houston – die Nachrichten aus der Heimat zensierten.
»Die Vizepräsidentin ist sehr sensibel für politische Nuancen«, fuhr Brumado fort. »Sie dachte, der radikale Zweig der ethnischen Aktivistengruppen in den Staaten könnte Sie als Waffe gegen sie einsetzen. Sie wollte, daß Sie aus dem Bodenteam abgezogen werden.«
Aber das würde Dr. Li nicht zulassen, sagte sich Jamie. Die Flugkontrolleure würden eine solch eklatante politische Einmischung nicht hinnehmen.
»Ich habe die Vizepräsidentin davon zu überzeugen versucht, daß Sie ein Aktivposten in ihrer Präsidentschaftskampagne werden könnten – wenn sie weitere Expeditionen zum Mars unterstützt, statt sich dagegen auszusprechen.«
Jamie schwirrte der Kopf. Noch bevor Brumado aufgehört hatte zu sprechen, sagte er: »Sie haben also eine Abmachung für mich getroffen. Ich erkläre, daß ich die Vizepräsidentin unterstütze, und dann erklärt sie, daß sie die weitere Raumforschung unterstützt.«
Brumado ließ sich weiter darüber aus, welch große Probleme die Vizepräsidentin ihnen bereiten konnte, wenn sie darauf bestand, daß Jamie aus dem Bodenteam abgezogen würde. Australien würde sich sogar darüber freuen, betonte er, wenn O’Hara als Jamies Ersatzmann auf den Planeten hinuntergeschickt würde.
Dann hörte er endlich Jamies Worte. Er brach ab, murmelte:
»Moment…«
Jamie erkannte, daß Brumado eine Instant-Replay-Vorrichtung an seiner Konsole hatte, wo auch immer auf der Erde er sich befand. Er beobachtete Brumados Gesicht, während der Brasilianer sich seine Worte noch einmal anhörte.
»Ah. Ja. So lautet die Abmachung. Sie schicken mir eine Erklärung, in der Sie die Vizepräsidentin unterstützen. Ich halte die Erklärung zurück, bis die Vizepräsidentin sich öffentlich für weitere Marsmissionen ausspricht. Dann gebe ich Ihre Erklärung weiter. Wenn Sie vom Mars zurückkommen, erklären Sie, daß Sie ihre Kandidatur unterstützen. Alle bekommen, was sie wollen. Jeder ist glücklich.«