Pock! Pock!
Reed sprang auf und stieß dabei die offene Flasche um. Vitaminpillen ergossen sich über den Schreibtisch, rollten auf den Fußboden.
»Alle Mann in die Anzüge!« dröhnte Wosnesenskis schwere Stimme durch die Kuppel. »Sofort! Zieht eure Anzüge an! Auf der Stelle! «
Kosmonaut Leonid Tolbukhin, der im Kommandozentrum der Mars 2 Dienst tat, richtete sich in seinem Stuhl kerzengerade auf, als das erste Ping ertönte. Kalter Schweiß bildete sich auf seiner Oberlippe.
Mein Gott, das muß an mir liegen, dachte er. Ich bin verhext, ich bringe nur Unglück. Erst Konoye und nun das.
Doch obwohl seine Gedanken rasten, bewegten sich seine Hände beinahe genauso schnell. Er schaltete den Radarschirm ein und gab wie aus einem Reflex heraus fast sofort Alarm.
»Meteoriten! Wir geraten in einen Meteoritenschwarm!«
schrie er so aufgeregt ins Mikrofon der Gegensprechanlage des Schiffes, daß er dabei ins Russische verfiel.
Will Martin, der amerikanische Geophysiker, saß zufällig gerade an der Kommunikationskonsole und überspielte ein Band mit einem langen Bericht zur Erde.
»Was ist?« rief er über das Blöken des Alarms hinweg. »Sprechen Sie Englisch, verdammt!«
»Meteoriten!« rief Tolbukhin zurück. »Ziehen Sie sofort Ihren Anzug an!«
Wosnesenski war im Kommandozentrum der Kuppel in ein Gespräch mit Mironow und Abell über die Logistik der bevorstehenden Exkursion zum Pavonis Mons vertieft, obwohl er eigentlich die Wissenschaftler überwachen sollte, die mit Pete Connors draußen waren. Er hatte die ersten leisen, warnenden Geräusche nicht gehört, mit denen die Meteoriten auf die Au
ßenhülle der Kuppel geprallt waren.
Sowohl die Kuppel als auch die Raumschiffe in der Umlaufbahn besaßen doppelte Wände; bei den Schiffen bestanden sie aus Metall, bei der Kuppel aus Kunststoff. Obwohl die Marsatmosphäre so dünn war, daß sie nach irdischen Maßstäben so gut wie gar nicht vorhanden war, bot sie abstürzenden Meteoriten so viel Widerstand, daß die meisten von ihnen zu Asche verbrannten, lange bevor sie den Boden erreichten.
Den Missionsplanern zufolge drohte die größte Gefahr von Meteoriten, die fast senkrecht von oben herabstürzten: Sie hatten die meiste Energie, überstanden aller Wahrscheinlichkeit nach die flammende Hitze ihres Ritts durch die Atmosphäre und waren am Boden immer noch groß genug, um Schaden anzurichten. Meteoriten, die in flacherem Winkel herunterkamen, mußten einen längeren Weg in der Atmosphäre zurücklegen und brannten auf jedem Zentimeter dieser Strecke. Deshalb war die Doppelwand der Kuppel in der oberen Hälfte mit einem schwammartigen Plastikmaterial gefüllt, das die Energie eines Einschlags absorbieren konnte.
Tolbukhins Warnung, die überall in den Schiffen im Orbit zu hören war, plärrte auch aus den Lautsprechern der Funkanlage in der Kuppel.
Wosnesenski unterbrach sich mitten im Satz und brüllte:
»Alle Mann in die Anzüge! Sofort! Zieht eure Anzüge an! Auf der Stelle!«
Erst als er zu den Anzugspinden bei der Luftschleusensektion losgerannt war, spürte der Russe die Angst wie eine kalte Faust in seiner Brust.
Connors war der erste, der die winzige Staubwolke bemerkte, die vom Boden aufstob, als ob eine Gewehrkugel eingeschlagen wäre. Der Astronaut kniff die Augen zusammen, beobachtete, wie der Staub langsam wieder zu Boden sank, und dachte: Gut, daß er nichts getroffen hat, was…
Eine weitere Staubwolke spritzte zehn Meter entfernt auf.
»Jesus Christus!« rief er in sein Helmmikrofon. »Meteoriten!
Alle Mann zurück in die Kuppel! Sofort!«
Die sechs Geo- und Biowissenschaftler hatten sich auf der steinübersäten Ebene etliche hundert Meter weit verteilt und versuchten, die Dicke der Permafrostschicht unter der Oberfläche detailliert zu vermessen. Die Arbeit ging nur langsam voran, weil sie alles zu Fuß machen mußten. Sämtliche Exkursionen in den Rovern waren vorläufig ausgesetzt worden, bis die Flugkontrolle entschieden hatte, wohin die Rover nun genau fahren durften.
Jamie hielt eine Bohrstange in der Hand, deren gezahntes Bohrende sich in den Boden fraß. Bei Connors’ lauter Warnung richtete er sich ruckartig auf. Der Bohrer an der Stange blieb stehen, als seine behandschuhten Hände die Kontrolltaste losließen, und die Stange ragte schief aus dem Loch im Boden.
Jamie erfaßte mit einem raschen Blick, wo sich die anderen fünf Wissenschaftler befanden. Connors war rechts von ihm, auf halbem Wege zwischen ihm und der Luftschleuse der Kuppel. Joanna war weiter entfernt; sie kämpfte mit ihrem Kernbohrer.
»Los! Macht schon! Macht schon!« Connors brüllte so laut, daß Jamie die Ohren wehtaten. »Los! Los! Los! In die Kuppel!«
Jamie lief zu Joanna hinüber und sah, daß die anderen Gestalten in den Raumanzügen sich schwerfällig wie eine kleine Herde bunter Nilpferde in Bewegung setzten. Eine Staubwolke spritzte in Joannas Nähe auf, aber sie schien es nicht zu bemerken. Er lief auf sie zu, so schnell er konnte, und kam sich dabei wie eine galoppierende Schildkröte vor; gleichzeitig fummelte er an den Helmfunkreglern an seinem Handgelenk herum, um Connors’ drängende Stimme leiser zu stellen.
Er kam bei Joanna an, als diese sich endlich Richtung Kuppel in Bewegung setzte. Jamie bremste ein wenig ab, um sich ihrem Tempo anzupassen. Er wußte, daß er nicht mit ihr sprechen konnte, weil Connors die Anzug-zu-Anzug-Frequenz mit seinem Gebrüll überflutete. Statt dessen streckte er die Hand aus und berührte sie an der Schulter. Durch das getönte Visier ihres Helms konnte er ihr Gesicht nicht sehen; er konnte nicht erkennen, wieviel Angst sie hatte. Dann merkte Jamie, daß er selber Angst hatte; er war in kalten Schweiß gebadet und zitterte.
Überall um sie herum stoben Staubwolken vom Boden auf, als ob ein Trupp Gewehrschützen sie unter Feuer genommen hätte. Etwas knallte hinten gegen seinen Helm; eigentlich war es nur ein leises Klopfen, aber er erschrak so sehr, als hätte er eine Kugel abbekommen. Er blickte auf und sah, daß die Kuppel hier und dort von auftreffenden Meteoriten eingeteilt wurde. O mein Gott, wenn einer von ihnen die Wand durchschlägt…
Einer tat es. Jamie sah, wie das transparente Material im unteren Bereich der Kuppel einen Moment lang Falten warf, dann spritzte ein kleiner Geysir aus Gischt in die trockene, dünne Luft, als würde ein Wal blasen.
»Die Kuppel hat ein Loch!« schrie jemand.
Das Loch wurde größer, entwickelte sich zu einem klaffenden Riß; feuchte Luft schoß in die Marsatmosphäre hinaus, und das Kunststoffmaterial der Kuppel begann durchzusacken.
Nachdem er in diesem ersten Augenblick einer Panik nahe gewesen war, überkam Wosnesenski eine kalte Ruhe. Während die anderen zu ihren Anzügen rannten, bog er ab, lief innen an der Peripherie der Kuppel entlang und vergewisserte sich, daß die Reparaturflicken noch dort waren, wo sie hingehörten. Er hatte die Flicken erst einen Tag zuvor im Rahmen seiner regulären Routineinspektion kontrolliert. Aber nun überprüfte er sie erneut, während ein Hagel von Pock-Pock-Geräuschen sanft über seinem Kopf niederging, beinahe übertönt von den ängstlichen Stimmen von Toshima und den anderen Flüchtenden, die sich verzweifelt bemühten, in ihre Anzüge zu kommen.
Er sah nicht, wie die Kuppel ein Loch bekam. Der Meteorit, der beide Kunststoffschichten durchschlug, war ein fast mikroskopisch kleines Staubkorn. Aber Wosnesenski hörte ein anderes Geräusch, als würde jemand abrupt und heftig Atem holen – ein Laut, wie ihn ein Mensch von sich gibt, wenn er in die Brust gestochen wird.