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Er spürte den Zug, als die Luft in der Kuppel zu dem Loch strömte. Bücher flatterten offen im Wind; lose Papiere flogen wie ein Schwarm aufgescheuchter Vögel in der Kuppel umher.

Das Zischen wurde lauter, entwickelte sich zu einem Seufzen, einem rauschenden Luftstrom.

Wosnesenski wirbelte herum und sah, wie Dutzende der leichten Reparaturflicken vom Boden abhoben und an die Kuppelwand gesaugt wurden. Dort blieben sie platt und mit wild flatternden Rändern kleben, als die Luft an ihnen vorbeirauschte und aus der Kuppel entwich. Die Kunststoffwände zwischen den steifen Stützrippen der Kuppel sackten ein. Die Wand riß wesentlich schneller auf, als die Flicken das Loch schließen konnten.

Mit knackenden Ohren und klopfendem Herzen rannte Wosnesenski zu der Stelle, bückte sich, um weitere Reparaturflicken aufzuheben, und knallte sie auf das größer werdende Loch. Sie rutschten herunter, wollten nicht haften. Sie flatterten immer noch, und Wosnesenski hörte die Luft in der Kuppel inzwischen brüllen, wie sie in das Beinahe-Vakuum drau

ßen hinausrauschte. In ein paar Minuten würde nichts mehr von ihr übrig sein. Die Kraft des entweichenden Windes zerrte an ihm, versuchte, ihn durch das Loch in der Wand ins tödliche Freie hinauszusaugen.

Ohne ein Wort zu sagen oder jemanden zu rufen, kämpfte er sich breitbeinig zum Zentrum der Kuppel zurück, stemmte sich gegen den Wind, taumelte wie ein Betrunkener, bahnte sich mühsam seinen Weg an den Arbeitsplätzen der Wissenschaftler vorbei, umging Stühle in der Messe, die achtlos irgendwo stehengelassen worden waren. Seine Ohren schrien vor Schmerz, als ob jemand Eispickel in sie hineingetrieben hätte.

Das Lebenserhaltungssystem. Pumpen, die trockene, kalte Marsluft ansaugten. Abscheider, die den spärlichen Stickstoff und den noch spärlicheren Sauerstoff aus der hiesigen Atmosphäre gewannen. Weitere Pumpen, die das Stickstoff-Sauerstoff-Gemisch so verdichteten, daß Menschen es atmen konnten. Zylinder mit Sauerstoffreserven für den Notfall.

Er mußte den Sauerstoff erreichen. Wosnesenski ging die Reihe der grünen, mannshohen Sauerstofftanks entlang, drehte ihre Ventile ganz auf, erzeugte einen Überdruck aus reinem Sauerstoff in der Kuppel, so schnell er konnte. Er mußte Sauerstoff in die Kuppel pumpen, die verlorengehende Luft ersetzen. Es war ein Wettlauf, und er durfte ihn nicht verlieren. Der höhere Druck würde vielleicht sogar die Reparaturflicken fester auf das Leck drücken. Zuallermindest würde er ihnen noch ein paar Minuten Zeit verschaffen.

Doch selbst über das zischende Rauschen des entweichenden Sauerstoffs hinweg konnte er das Pock, Pock hören.

In einem Blizzard von Papieren, die durch die Kuppel wirbelten, arbeitete er sich wieder zu dem Riß in der Wand vor.

Als er dort ankam, war Abell in seinem weißen Raumanzug zur Stelle und sprühte so gelassen wie ein Maler, der eine Wohnzimmerwand streicht, Epoxy auf die Reparaturflicken.

»Ich habe den Notsauerstoff aufgedreht«, sagte Wosnesenski atemlos. Seine Brust brannte wie Feuer.

»Gut«, sagte Abell. Es war das Standardverfahren bei einem Notfall.

Der Wind hatte sich gelegt. Das Kreischen der entweichenden Luft war leiser geworden. Wosnesenski keuchte, aber aus Furcht und Erschöpfung, nicht, weil er zuwenig Sauerstoff bekam.

»Haben die anderen ihre Anzüge an?«

Abell drehte sich zu ihm um, ein gesichtsloser Roboter in rostfleckigem Weiß. »Mhm. Sie sollten Ihren auch anziehen, Mike.«

»Ja, ja.« Wosnesenski sah, daß die Flicken nicht mehr flatterten. Sie klebten flach an der gekrümmten Wand. »Was ist mit den Leuten draußen?«

»Sie kommen durch die Luftschleuse herein. Soviel ich weiß, ist niemand verletzt worden.«

»Gut. Also, wenn wir nicht noch einmal getroffen werden…«

»Sie sollten Ihren Anzug anziehen«, mahnte Abell.

»Ja. Natürlich.«

Als Wosnesenski jedoch endlich in seinem Anzug steckte, hörte er keine Geräusche von Meteoriten mehr, die die Kuppel trafen. Er stapfte unbeholfen zur Kommunikationskonsole und sah auf dem Bildschirm, daß Tolbukhin in der Umlaufbahn immer noch Dienst tat und nach wie vor seinen Overall trug.

Seine Achselhöhlen waren dunkel vor Schweiß.

Dr. Li streckte seine langen Beine, so weit es die Schmerzen zuließen, und wackelte mit den nackten Zehen, bis der Krampf in seiner linken Wade nachließ. Zwei Stunden in einem Raumanzug, der ihm ohnehin nie richtig gepaßt hatte, waren mehr, als sein Körper ertragen konnte.

Seufzend versuchte er, sich in dem Ruhesessel zu entspannen. Er trank einen Schluck Tee aus der zarten Porzellantasse, die er mitgebracht hatte, schaute auf die Seidenmalereien an den Wänden seiner Kabine und wartete darauf, daß sie ihren beruhigenden Zauber ausübten.

Es ist niemand verletzt worden, wiederholte er in Gedanken zum hundertsten Mal. Alle Notfallprozeduren sind genauso abgelaufen, wie sie geplant waren; die gesamte Notfallausrüstung hat ordentlich funktioniert. Wir haben den Meteoritenschauer sogar ohne jeden Schaden an unserer Ausrüstung überstanden, abgesehen von einem kleinen Loch in der Kuppel, das rasch verschlossen worden ist, und dem Schlag, den die Hauptkommunikationsantenne der Mars 1 abbekommen hat, aber die Astronauten werden hinausgehen und sie reparieren.

Die Meteoritengefahr war auf der Erde sorgfältig berechnet worden; sie lag irgendwo in der Größenordnung von eins zu einer Billion. Und dieser spezielle Meteoritenschauer war ein unbekannter, nicht verzeichneter Bursche gewesen, bis er plötzlich über sie hereingebrochen war. Zumindest sollten wir jetzt für rund hundert Millionen Jahre Ruhe haben, sagte sich Li.

Er lächelte beinahe, als ihm zu Bewußtsein kam, daß er nun die Entdeckung eines neuen Meteoritenschwarms für sich reklamieren konnte, der so klein und unbedeutend war, daß man ihn auf der Erde noch nicht einmal registriert hatte. Aber hier draußen war er nicht so klein und unbedeutend. Wir sind verwundbar hier, erkannte Dr. Li. Sehr verwundbar.

Er hatte angeordnet, daß regelmäßige Radarscanning vorgenommen werden sollten, während sie um den Mars kreisten.

Wir können Meteoriten nicht ausweichen, aber wir gewinnen vielleicht ein wenig Vorwarnzeit, falls es noch so einen Schauer gibt. Und wir können Daten über die Meteoritendichte in der Umgebung des Mars sammeln; das dürfte die Astronomen zu Hause freuen.

Er rieb sich den Nacken und versuchte immer noch, sich nach diesem langen, schrecklichen, furchterregenden Tag zu entspannen. Niemand ist ums Leben gekommen, sagte er sich ein weiteres Mal. Niemand hat auch nur einen körperlichen Schaden davongetragen, abgesehen von diesem gräßlichen Krampf im Bein. Keine Ausrüstungsgegenstände beschädigt, bis auf die Antenne. Das Team auf dem Boden hat überlebt, ohne daß es irgendwelche Probleme gegeben hätte, die über ein einzelnes kleines Loch und eine verschüttete Flasche Vitaminpillen hinausgehen.

Und jetzt erstatte ich Kaliningrad über alles Bericht.

Sie hatten Stunden gebraucht, um das Durcheinander in der Kuppel aufzuräumen. Mironow und Connors waren nach draußen gegangen, um den Riß in der Außenwand zu versiegeln, während Wosnesenski und Abell jeden Quadratzentimeter der Innenwand nach Beschädigungen überprüft hatten. Sie hatten keine gefunden.

Nun saßen alle zwölf Mitglieder des Teams in der Messe, körperlich und seelisch erschöpft nach dem Adrenalinstoß des Nachmittags. Dem Plan zufolge war es Zeit für das Abendessen, aber niemand dachte ans Essen. Statt dessen hatte Wosnesenski eine Flasche Wodka aus seiner Unterkunft geholt, die er seit ihrem zweiten Abend auf dem Mars nicht mehr angerührt hatte.

»Für medizinische Zwecke«, sagte er, als Tony Reed fragend eine Augenbraue hochzog. Die anderen eilten sofort zu ihren Kabinen, um ihre eigenen versteckten Flaschen auszugraben.