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»Oder du könntest hinausgehen«, sagte Ilona.

»O nein, ich nicht«, sagte Reed. »Das überlasse ich Jamie. Es wäre der erste Beitrag der Indianer zur astronomischen Wissenschaft.«

»Nicht der erste«, sagte Jamie.

»Ach nein?«

»Die Azteken und Inkas waren hervorragende Astronomen.

Sie haben Observatorien gebaut…«

»Die meine ich nicht«, unterbrach ihn Reed. »Die waren einigermaßen zivilisiert. Ich habe Ihre Leute gemeint, Jamie. Die nordamerikanischen Wilden.«

Nun waren alle Augen auf ihn gerichtet, erkannte Jamie.

Tony hat die Nadel aus seiner Haut gezogen, indem er sie in mich hineingesteckt hat.

»Meine Vorväter haben die Sterne beobachtet«, sagte er, wobei er seine Worte sorgfältig abwog.

»Natürlich haben sie das«, erwiderte Reed. »Was gab es denn sonst schon in der Wüste zu tun, in der sie lebten, sobald die Sonne untergegangen war? Aber was haben sie zustande gebracht, abgesehen von ein bißchen indianischem Hokuspokus?«

Jamie zögerte einen Herzschlag lang, dann antwortete er:

»Sie haben zum Beispiel die große Supernova des Jahres 1054

aufgezeichnet. Haben die Daten in Petroglyphen festgehalten, diesen in den Fels geritzten Zeichen und Bildern. Und sogar Tongefäße mit akkuraten Zeichnungen geschmückt, die zeigten, wo und wann die Supernova erschienen ist.«

»Tatsächlich?«

»Tatsächlich.« Jamie wandte sich an die anderen. »Die Supernova von 1054 ist diejenige, die den Krebsnebel hervorgebracht hat; den kann man heutzutage im Teleskop sehen. Die einzigen anderen Astronomen, die die Supernova beobachtet haben, saßen in China.«

»Und in Japan«, sagte Toshima.

Jamie nickte ihm ernst zu. »Und in Japan. In Europa hat ihr niemand Beachtung geschenkt, wie es scheint.«

»Wahrscheinlich war es in jener Nacht zu bewölkt«, sagte Reed.

»Die Supernova war für das bloße Auge dreiundzwanzig Tage lang sichtbar«, konterte Jamie. »Das beweisen die chinesischen Aufzeichnungen. Ebenso wie die Zeichnungen, die meine Vorfahren angefertigt haben. Selbst in England muß der Himmel während dieser Zeit irgendwann klar gewesen sein, aber dort hat sich niemand die Mühe gemacht, nach oben zu schauen. Entweder das, oder sie kannten sich zu wenig mit den Sternen aus, um zu merken, daß ein neuer am Himmel erschienen war.«

Ilona stieß einen leisen Pfiff aus. Naguib kicherte leise. Die anderen grinsten und nickten.

Tony Reed stand langsam auf und verbeugte sich ein wenig in Jamies Richtung. »Touche«, sagte er. »Und nun werde ich mir einen Happen zu essen machen, wenn niemand etwas dagegen hat.«

Die übrigen standen einer nach dem anderen auf und begannen, ihr Abendessen zuzubereiten. Jamie blieb allein am Tisch sitzen, starrte seinen beschädigten Helm an und fragte sich, warum Menschen einander Schmerzen zufügen mußten, um sich Respekt zu verschaffen.

ANKUNFT BEIM MARS

Im Verlauf all der Monate, in denen sie durch die dunkle Leere zwischen den Welten geflogen waren, hatten die Mitglieder der Expedition den Mars von einem hellen roten Stern stetig zu einer rötlichen Scheibe und dann zu einer richtigen dreidimensionalen Kugel anwachsen sehen; schließlich hing sie wie ein gigantischer Hauptgewinn vor ihren Augen, der nur darauf wartete, in Besitz genommen zu werden.

Nachdem die beiden Raumschiffe auf ihre Parkbahn um den Planeten eingeschwenkt waren, verbrachte Jamie Stunden am Beobachtungsfenster und betrachtete die seltsame Welt aus Rost- und Ziegelfarben und beinahe blutigen Rottönen. Am Fenster wimmelte es jetzt von Instrumenten, aber wenn er zwischen ihnen hindurchspähte, konnte er den Mars langsam vorbeiziehen sehen, während die Raumschiffe sich gemessen um ihren gemeinsamen Mittelpunkt drehten. Seine Augen tranken den Anblick förmlich in sich hinein. Jamie sah gewaltige Vulkankegel, die wie die vorstehenden Augen von Eidechsen aufragten und ihn gleichmütig anstarrten. Die riesige, gewundene, klaffende Spalte der Valles Marineris rief bei ihm Erinnerungen an die von Flüssen in den Erdboden geschnittenen Schluchten in seiner Heimat wach.

Er sah Staubstürme, die plötzlich aufkamen und über ein Viertel der Kugel fegten, bevor sie sich auf ebenso mysteriöse Weise legten, wie sie entstanden waren. Riesige Krater, die von uralten Meteoriteneinschlägen herrührten, bei denen auch die kleineren Meteoriten ins All geschleudert worden waren, die schließlich bis zur Erde gelangt waren und im Eis der Antarktis auf ihre Entdecker gewartet hatten.

»Bist du bereit, dort hinunter zu gehen und mit der Arbeit anzufangen?«

Jamie erkannte Ilona Malaters kehlige Stimme, noch bevor er den Kopf drehte.

Er nickte feierlich. »Du nicht?«

Sie schenkte ihm ein frostiges Lächeln. »Nach neun Monaten in diesem Konzentrationslager wäre ich bereit, nackt über die Sanddünen zu laufen.«

Jamie lachte.

In dem reflektierten rötlichen Licht des Mars war Ilonas hochmütiges Gesicht fast genauso kupfern wie das von Jamie.

Ihr kurzgeschnittenes goldenes Haar hatte einen feurigen Schimmer.

»Bist du keusch geblieben?« fragte sie. Ihre Mundwinkel zogen sich ein wenig nach oben.

Es war eher eine Herausforderung als eine Frage, dachte Jamie. Er nickte erneut.

»Du mußt interessante Träume haben«, sagte Ilona.

Er merkte, wie Zorn in ihm aufwallte, und sein Gesicht begann zu brennen. »Wenn du’s sagst, Ilona, du giltst ja hier als die Sexualtherapeutin.«

Ihr Lächeln wurde breiter. »Und warum auch nicht? Tony Reed hat mir versichert, daß niemand an Bord irgendwelche ansteckenden Krankheiten hat, die schlimmer sind als die Erkältung, die du uns beschert hast. Warum sollten wir nicht ein bißchen mehr Abwechslung in unser Leben bringen?«

»Mehr Abwechslung vielleicht, aber auch erheblich mehr Spannungen.«

»Wirklich?« Ilona zog eine Augenbraue hoch. »Ich würde meinen, daß Sex die Spannungen zwischen uns abbaut.«

»Nicht bei den Russen.«

»Ach, die! Sollen die sich doch gegenseitig einen runterholen.«

Jamie schnaubte und wandte sich von ihr ab.

»Du bist dermaßen prüde, Jamie«, sagte Ilona, immer noch lächelnd. »Ich dachte, nachdem wir schon einmal miteinander gefickt haben, würdest du lockerer werden, aber du bist nicht der Typ, der Sex auf die leichte Schulter nehmen kann, wie?«

»Deshalb sind wir hier«, gab er zurück und reckte einen Finger zum Beobachtungsfenster und der roten Masse des Mars, die davor hing. »Um diesen Planeten zu erforschen. Nicht, um pubertäre Highschool-Spielchen zu treiben.«

»Mein Gott, du bist so ernsthaft!«

»Wir sind auf einer ernsthaften Mission, Ilona. Einer sehr ernsthaften.«

»Ich tue niemandem weh. Ich glaube sogar, daß die Spannungen in diesem Gefängnis ohne mich erheblich schlimmer gewesen wären.« Ihre Augen funkelten vor Belustigung.

»Tony ist ganz meiner Meinung; er sagt, mein Beitrag zur Moral des Teams sei unschätzbar.«

»Sag das Mikhail und Dimitri.«

»Nun mach mal halblang, Jamie. Du könntest selber ein bißchen Entspannung gebrauchen.«

»Nein danke.«

»Sieh es doch mal als Forschungsprojekt«, spöttelte Ilona.

»Ich glaube, man lernt einen Mann erst dann richtig kennen, wenn man ihn mit heruntergelassenen Hosen sieht.«

Er starrte sie einen Augenblick lang stumm an. Dann fragte er: »Sehen Katrin und Joanna das auch so?«

»Du meinst, ob sie das gleiche getan haben wie ich?«

Er setzte zu einer Antwort an, hörte jedoch Stimmen draußen auf dem Gang. Tony Reed und Joanna Brumado kamen um die Ecke und betraten den Beobachtungsbereich.