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Sein altes Problem, wieder einmal. Es war auch diesmal nicht der Mindestsatz. Es war viel mehr, dachte Otto ein wenig später, als sie aus dem Wohnzimmer ins Schlafzimmer hinübergewechselt waren, wo heruntergezogene Jalousien den Raum in regloses Dunkel tauchten, schweigend und bereit, sie aufzunehmen, für eben solche Gelegenheiten wie diese geschaffen, wußte er.

»Noch nie im Leben«, murmelte Silvia, »habe ich etwas Derartiges erlebt.« Ihre Stimme, die wie aus weiter Ferne kam, klang zufrieden und ergeben. »Bin ich betrunken, ist es das? O mein Gott.«

Dann schwieg sie lange.

»Bin ich von Sinnen?« murmelte sie später. »Ich muß verrückt sein. Ich kann es einfach nicht glauben, ich weiß, daß es nicht wahr ist. Was macht es also; wie kann etwas, das man im Traum tut, falsch sein?«

Danach sagte sie gar nichts mehr.

Sie war genauso, wie er es gern hatte: eine, die nicht viel quatschte.

*

Was ist Wahnsinn? dachte Jack Bohlen. Für ihn war es die Tatsache, daß er irgendwie Manfred Steiner verloren hatte und nicht mehr wußte, wie oder wann. Er wußte so gut wie gar nichts mehr vom gestrigen Abend bei Arnie Kott; Stück für Stück hatte er sich aus dem, was Doreen ihm erzählte, ein Bild davon gemacht, was passiert war. Wahnsinn - sich ein Bild vom eigenen Leben zusammenzusetzen, indem man bei anderen Erkundigungen einzog.

Aber die Gedächtnislücke war lediglich das Symptom für eine tiefergehende Störung. Sie wies darauf hin, daß seine Psyche zeitlich einen abrupten Sprung nach vorn getan hatte. Und das war im Anschluß an eine Phase geschehen, in der er unbewußt verschiedene Male eben den Abschnitt durchlebt hatte, der ihm jetzt fehlte.

Er hatte wieder und wieder in Arnie Kotts Wohnzimmer gesessen und den Abend im voraus erlebt, wurde ihm klar; und dann, als er endlich wirklich stattfinden sollte, hatte er ihn übersprungen. Nun quälte ihn die fundamentale Störung des Zeitsinns, die Dr. Glaub für die Basis der Schizophrenie hielt.

Dieser Abend bei Arnie Kott hatte stattgefunden und für ihn auch existiert ... nur nicht in der richtigen Reihenfolge.

Auf jeden Fall gab es keine Möglichkeit, wie man das wieder hinkriegen konnte. Es lag jetzt nämlich in der Vergangenheit. Und eine Störung des Zeitsinns der Vergangenheit war nicht etwa für Schizophrenie symptomatisch, sondern für Zwangsneurosen. Er - als Schizophrener - hatte ausschließlich mit der Zukunft ein Problem.

Und seine Zukunft hing, so wie er das nun sah, größtenteils von Arnie Kott und dessen instinktivem Bedürfnis nach Rache ab.

Welche Chance haben wir denn schon gegen Arnie? fragte er sich.

So gut wie keine.

Er wandte sich vom Fenster in Doreens Wohnzimmer ab, ging gemächlich ins Schlafzimmer und schaute auf sie hinunter, die noch immer im großen, zerwühlten Doppelbett lag und schlief.

Als er so dastand und sie ansah, wachte sie auf, erkannte ihn und lächelte zu ihm hoch. »Ich hatte einen ganz seltsamen Traum«, sagte sie. »In dem Traum dirigierte ich die Messe in h-moll von Bach, das Kyrie. Sie war im Viervierteltakt. Aber mittendrin kam jemand und nahm mir den Taktstock weg und sagte, sie wäre gar nicht in vierviertel.« Sie runzelte die Stirn. »Ist sie aber wohl. Warum sollte ich gerade sie dirigieren? Ich mag die h-moll-Messe von Bach ja nicht einmal. Arnie hat sie auf Band; er läßt sie dauernd laufen, spät nachts.«

Er dachte daran, was er in letzter Zeit geträumt hatte, vage Formen, die sich verschoben und davonhuschten; etwas über ein hohes Gebäude mit zahlreichen Zimmern, Falken oder Geier, die unaufhörlich über ihm kreisten. Und einem schrecklichen Wesen in einem Schrank ... er hatte es nicht gesehen, hatte nur gespürt, daß es da war.

»Träume beziehen sich normalerweise auf die Zukunft«, sagte Doreen. »Sie haben damit zu tun, welches Potential in einer Person steckt. Arnie will ein Symphonieorchester in Lewistown ins Leben rufen; er hat schon mit Bosley Touvrim in Neu-Israel darüber gesprochen. Vielleicht soll ich ja der Dirigent werden; vielleicht ist das die Bedeutung meines Traums.« Sie glitt vom Bett herunter und erhob sich, nackt und schlank und wohlgeformt.

»Doreen«, sagte er ruhig, »ich weiß nichts mehr von gestern abend. Was ist aus Manfred geworden?«

»Er ist bei Arnie geblieben. Weil er doch jetzt ins Camp B-G zurück muß, und Arnie sagte, er bringt ihn hin. Er fliegt ständig nach Neu-Israel, um seinen Sohn dort zu besuchen, Sam Esterhazy. Er fliegt heute hin, hat er zu dir gesagt.« Nach einer Pause sagte sie: »Jack ... hast du schon mal an Amnesie gelitten?«

»Nein«, sagte er.

»Wahrscheinlich kommt das vom Schock der Auseinandersetzung mit Arnie. Sich mit Arnie zu raufen setzt einem mächtig zu; ich kenne das.«

»Vielleicht liegt's daran«, sagte er.

»Wie wär's mit Frühstück?« Sie holte frische Kleidung aus den Schubladen ihrer Kommode, eine Bluse, Unterwäsche. »Ich brutzel uns Eier mit Speck -köstlichem dänischem Dosenspeck.« Sie zögerte und sagte dann: »Noch mehr Leckereien von Arnies Schwarzmarkt. Aber sie sind wirklich gut.«

»Von mir aus«, sagte er.

»Nachdem wir gestern abend ins Bett gegangen waren, habe ich noch stundenlang wach gelegen und mich gefragt, wie Arnie sich wohl verhält. Uns gegenüber, meine ich. Ich denke, es geht deinen Job an, Jack; ich denke, daß er Mr. Yee unter Druck setzen wird, dich gehen zu lassen. Darauf mußt du gefaßt sein. Wir beide müssen das. Und natürlich wird er mir den Laufpaß geben; versteht sich. Aber das stört mich nicht - ich habe ja dich.«

»Ja, das stimmt, du hast mich«, sagte er wie aus einem Reflex.

»Die Rache des Arnie Kott«, sagte Doreen, während sie sich im Bad das Gesicht wusch. »Aber eigentlich ist er ganz menschlich; so schaurig ist das alles nicht. Er ist mir immer noch lieber als dieser Manfred; ich kann dieses Kind einfach nicht ausstehen. Die vergangene Nacht war ein einziger Alptraum - ständig hatte ich das Gefühl, furchtbar kalte, glitschige Ranken trieben durchs Zimmer und durch meinen Kopf ... die Andeutung von etwas Schmutzigem und Bösem, das weder in mir noch außerhalb zu sein schien - nur so ganz in der Nähe. Ich weiß, woher das kam.« Nach einer Weile setzte sie hinzu: »Das war dieses Kind. Es waren seine Gedanken.«

Kurz darauf briet sie den Speck und machte Kaffee; er deckte den Tisch, und dann setzten sie sich zum Essen hin. Es roch gut, und er fühlte sich gleich viel besser, als er merkte, daß er schmecken, sehen und riechen konnte, daß er die junge Frau wahrnahm, die ihm gegenüber saß und ihre vollen roten Haare glatt nach hinten gekämmt trug, von einem lustigen bunten Band zusammengehalten.

»Ist dein Sohn David dir irgendwie ähnlich?« fragte sie.

»Um Himmels willen, nein.«

»Kommt er eher nach dir oder ...«

»Silvia«, sagte er. »Er kommt nach seiner Mutter.«

»Sie ist hübsch, nicht wahr?«

»Könnte man sagen.«

»Weißt du, Jack, vergangene Nacht, als ich wach dagelegen und gegrübelt habe ... Da dachte ich: Vielleicht liefert Arnie Manfred gar nicht in Camp B-G ab. Was würde er mit ihm anfangen, mit einem Wesen wie ihm? Arnie ist sehr phantasievoll. Jetzt, wo sein Plan geplatzt ist, FDR-Land zu kaufen ... vielleicht findet er da eine völlig neue Verwendung für Manfreds Talent der Präkognition. Plötzlich fiel mir ein - du wirst lachen -, vielleicht gelingt es ihm ja, durch Heliogabalus mit Manfred Kontakt aufzunehmen, durch seinen zahmen Bleichmann.« Dann war sie still, verzehrte ihr Frühstück und sah nicht mehr vom Teller auf.

Jack sagte: »Du könntest recht haben.« Allein sie das sagen zu hören, tat ihm schon weh. Es klang so wahr; es erschien völlig plausibel.

»Du hast dich nie mit Heliogabalus unterhalten«, sagte Doreen. »Er ist die zynischste, bitterste Person, der ich je begegnet bin. Sogar Arnie behandelt er höhnisch; er haßt jeden. Ich glaube, er ist innerlich total verkorkst.«