Er bekam keine Antwort. Heliogabalus schien die Frage zu absurd zu sein, um sie auch nur in Erwägung zu ziehen. Mit zornrotem Kopf knallte Arnie die Küchentür zu und stapfte ins Wohnzimmer zurück.
Dann bring ihn eben dazu, daß er mich in die Vergangenheit schickt, sagte sich Arnie. Diese Fähigkeit der Zeitreise muß doch zu irgendwas nütze sein; wieso bekomme ich nicht die Ergebnisse, die ich haben will? Was ist überhaupt mit allen los?
Sie lassen mich warten, bloß um mich zu ärgern, sagte er sich.
Aber ich werde nicht länger warten, beschloß er.
*
Um ein Uhr nachmittags war noch immer kein telefonischer Auftrag von der Yee Company eingegangen. Jack Bohlen, der in Doreen Andertons Apartment neben dem Telefon wartete, wurde klar, daß etwas nicht stimmte.
Um halb zwei rief er Mr. Yee an.
»Ich hatte angenommen, daß Mr. Kott Sie informieren würde, Jack«, sagte Mr. Yee in seiner nüchternen Art.
»Sie sind nicht länger bei mir angestellt, Jack; Sie gehören jetzt ihm. Danke für Ihre ausgezeichnete Arbeit.«
Niedergeschmettert durch diese Nachricht, sagte Jack: »Kott hat meinen Vertrag gekauft?«
»So ist es, Jack.«
Jack legte auf.
»Was hat er gesagt?« fragte Doreen, die ihn aus großen Augen ansah.
»Ich gehöre jetzt Arnie.«
»Was hat er vor?«
»Keine Ahnung«, sagte er. »Ich ruf ihn mal besser an und finde es heraus. Sieht nicht so aus, als ob er mich anrufen würde.« Er spielt mit mir, dachte er. Sadistische Spielchen ... macht ihm wahrscheinlich Spaß.
»Hat keinen Zweck, ihn anzurufen«, sagte Doreen. »Er sagt nie was am Telefon. Wir müssen schon zu ihm gehen. Ich möchte mit; bitte laß mich mit.«
»Okay«, sagte er und ging zur Garderobe, um seinen Mantel zu holen. »Gehen wir«, sagte er.
Vierzehn
Um zwei Uhr nachmittags streckte Otto Zitte den Kopf aus der Seitentür des Bohlen-Hauses und vergewisserte sich, ob die Luft rein war. Er konnte gefahrlos verschwinden, wurde Silvia Bohlen klar, als sie sah, wie er sich verhielt.
Was habe ich getan? fragte sie sich, während sie mitten im Schlafzimmer stand und sich unbeholfen die Bluse zuknöpfte. Wie soll ich verhindern, daß jemand davon erfährt? Auch wenn Mrs. Steiner ihn nicht sieht, erzählt er es sicher June Henessy, und die tratscht es überall am William Butler Yeats herum; sie liebt Klatsch. Ich bin sicher, Jack wird es merken. Und Leo hätte früher nach Hause kommen können ...
Aber jetzt war es zu spät. Endgültig. Otto griff nach seinen Koffern und war aufbruchbereit.
Ich wünschte, ich wäre tot, sagte sie sich.
»Wiedersehen, Silvia«, sagte Otto hastig und ging Richtung Tür, »ich ruf dich an.«
Sie antwortete nicht; sie war damit beschäftigt, sich die Schuhe anzuziehen.
»Willst du mir nicht auf Wiedersehen sagen?« fragte er und blieb in der Schlafzimmertür stehen.
Sie warf ihm einen Blick zu und sagte: »Nein. Und nun zisch ab! Komm ja nie wieder - ich hasse dich, ehrlich.«
Er zuckte die Achseln. »Wieso?«
»Weil ...«, sagte sie mit perfekter Logik, »du ein gräßlicher Mensch bist. Mit einem wie dir hatte ich mein Lebtag noch nicht zu tun. Ich muß verrückt gewesen sein, mich mit dir einzulassen. Das liegt sicher an der Einsamkeit.«
Er schien wirklich verletzt zu sein. Mit rotem Kopf stand er weiter unentschlossen in der Schlafzimmertür. »Es war ebenso deine Idee wie meine«, murmelte er schließlich und starrte sie an.
»Verschwinde!« sagte sie und wandte ihm den Rücken zu.
Endlich öffnete sich die Haustür und schloß sich wieder. Er war fort.
Nie wieder, niemals, sagte sich Silvia. Sie ging zum Medizinschränkchen im Bad und nahm die Flasche Luminal herunter; hastig goß sie sich ein Glas Wasser ein, schluckte hundertfünfzig Milligramm, spülte die Pillen runter und schnappte nach Luft.
Ich hätte nicht so gemein zu ihm sein sollen, meldete sich auf einmal ihr Gewissen. Das war nicht fair; es war ja eigentlich nicht seine Schuld, sondern meine. Wenn ich Mist baue, wieso es dann ihm anhängen? Wäre er es nicht gewesen, dann ein anderer, früher oder später.
Sie dachte: Ob er noch einmal zurückkommt? Oder habe ich ihn für immer vertrieben? Sie fühlte sich schon wieder einsam, unglücklich und völlig haltlos, als wäre sie dazu verdammt, für immer und ewig in einem Vakuum der Hoffnungslosigkeit zu treiben.
Eigentlich war er doch ganz nett, meinte sie. Zärtlich und aufmerksam. Ich hätte es weit schlechter treffen können.
Sie ging in die Küche, setzte sich an den Tisch, nahm den Telefonhörer ab und wählte June Henessys Nummer.
Gleich darauf erklang Junes Stimme an ihrem Ohr. »Hallo?«
Silvia sagte: »Rate mal.«
»Erzähl.«
»Warte, ich zünde mir nur noch schnell eine Zigarette an.« Silvia Bohlen zündete sich die Zigarette an, holte sich einen Aschenbecher, rückte sich den Stuhl zurecht, bis sie bequem saß, und schilderte dann alles mit einer Unmenge von Details plus ein paar wichtigen Ausschmückungen an kritischen Stellen.
Zu ihrem Erstaunen machte ihr die Schilderung genausoviel Spaß wie das Erlebnis selber.
Vielleicht sogar noch ein bißchen mehr.
*
Als er durch die Wüste zu seiner Basis in den FDR-Bergen zurückflog, sann Otto Zitte über sein Stelldichein mit Mrs. Bohlen nach und gratulierte sich; er war bester Laune, trotz Silvias nicht ungewöhnlichem Anfall von Reue und ihren Vorwürfen beim Abschied.
Mit so etwas muß man rechnen, ermahnte er sich.
Es passierte ihm nicht zum ersten Mal; sicher, es regte ihn jedesmal wieder auf, aber das war eben eine dieser seltsamen kleinen Flausen, die für das Denken einer Frau so typisch sind: Es gab immer einen Punkt, an dem sie aus der Realität ausstiegen und alle Welt mit Vorwürfen bedachten, jeden, der gerade in Reichweite war.
Es störte ihn nicht weiter; nichts konnte ihn der Erinnerung an die glücklichen Stunden berauben, die sie miteinander verbracht hatten.
Und was jetzt? Zurück zum Landeplatz, etwas essen, sich ausruhen, rasieren, duschen und umziehen ... Es würde noch genug Zeit bleiben, um wieder zu einer richtigen Verkaufsfahrt aufzubrechen, ohne an etwas anderes zu denken als ans reine Geschäft.
Vor sich konnte er schon die zerklüfteten Bergspitzen erkennen; er würde bald da sein.
Er meinte, eine häßliche graue Rauchwolke unmittelbar über der Bergkette schweben zu sehen.
Erschrocken erhöhte er die Geschwindigkeit des Hubschraubers. Kein Zweifel; der Rauch stieg von seinem Landeplatz auf oder doch irgendwo in der Nähe. Sie haben mich entdeckt! schluchzte er in sich hinein. Die UN - sie haben mich fertiggemacht und warten jetzt auf mich. Aber er flog trotzdem weiter; er wollte es genau wissen.
Unter ihm lagen die Reste seines Landeplatzes. Eine rauchende Ruine, umgeben von Trümmern. Er kreiste ziellos, weinte hemmungslos, Tränen liefen ihm über die Wangen. Aber von der UN keine Spur, keine Militärfahrzeuge oder Soldaten.
War vielleicht eine ankommende Rakete explodiert?
Schnell landete Otto den Hubschrauber; er lief zu Fuß über den heißen Boden auf die Schutthalde zu, die einmal seine Lagerhalle gewesen war.
Als er den Landeturm erreichte, sah er, daß dort jemand eine Nachricht hinterlegt hatte:
Arnie Kott steht nicht auf Typen wie dich
Er las es wieder und wieder und versuchte zu begreifen. Arnie Kott - er war schon drauf und dran gewesen, ihn anzurufen - Arnie war Norbs bester Kunde gewesen. Was sollte das heißen? Hatte er Arnie einmal schlecht bedient, oder wie hatte er Arnies Wut sonst auf sich gelenkt? Das ergab einfach keinen Sinn - was hatte er Arnie Kott getan, daß er sich so schrecklich rächte?