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Graf Mathias Sandorf.

Die Ungarn oder Magyaren kamen gegen das neunte Jahrhundert der christlichen Zeitrechnung ins Land. Sie bilden noch den dritten Theil der ganzen Bevölkerung Ungarns – mehr als fünf Millionen Seelen. Ob sie nun spanischen Ursprunges sind, ägyptischen oder barbarischen, ob sie von den Hunnen Attilas stammen oder von den nordischen Finnen – die Meinungen stehen sich schroff gegenüber – es thut wenig zur Sache. Zu beachten ist nur, daß die Ungarn keine Slaven sind, aber auch keine Deutschen.

Sie haben auch ihre Religion zu erhalten gewußt und sich seit dem elften Jahrhunderte als eifrige Katholiken gezeigt – damals empfingen sie den neuen Glauben. Sie sprechen auch noch ihre alte Sprache, die sanfte, harmoniereiche Muttersprache, die jeden Gegenstand mit den Reizen der Poesie schmückt; sie ist nicht so reich als die deutsche, aber geschlossener, energischer, eine Sprache, die vom vierzehnten bis zum sechzehnten Jahrhundert das Latein in den Gesetzen und Verordnungen verdrängte und eine Zukunft als Sprache des Volkes vor sich sah.

Am 21. Jänner 1699 kam Ungarn und Siebenbürgen durch den Vertrag von Carlowitz an Oesterreich.

Zwanzig Jahre später erklärte die pragmatische Sanction feierlich, daß die Staaten Oesterreich-Ungarn unzertrennlich seien. In Ermangelung eines Sohnes sollte die Krone auch auf die Tochter übergehen können, nach dem Gesetze der Primogenitur. Dank diesem neuen Statute bestieg Maria Theresia im Jahre 1740 den Thron ihres Vaters Karl VI, des letzten Sprossen der männlichen Linie des Hauses Oesterreich.

Die Ungarn mußten sich der Gewalt fügen.

Zu der Zeit, in welcher unsere Erzählung anhebt, gab es einen hochgeborenen Ungarn, dessen Leben nur der Hoffnung galt, seinem Lande die einstige Selbständigkeit wiederzugeben. Er hatte in seiner Jugend noch Kossuth gekannt und obwohl seine Abstammung und seine Erziehung ihn hinderten, in wichtigen politischen Fragen mit diesem denselben Strang zu ziehen, so hatte er dennoch das große Herz dieses Vaterlandsfreundes bewundern müssen.

Der Graf Mathias Sandorf bewohnte in einem der Comitate Siebenbürgens, im District von Fogaras, ein altes Schloß feudalen Ursprunges. Dieses Schloß, auf einer der nördlichen Spitzen der östlichen Karpathen errichtet, welche Siebenbürgen von der Walachei trennen, erhob sich auf dieser zerklüfteten Gebirgskette in seiner ganzen wilden Schönheit, wie einer solcher letzten Zufluchtsorte, in denen sich Verschworene bis zum Aeußersten halten können.

Benachbarte Minen, deren Gehalte an Eisen und Kupfererzen sorgfältig ausgebeutet wurden, bildeten für den Besitzer des Schlosses Artenak eine sehr bedeutende Einnahmequelle. Diese Domäne umfaßte einen Theil des Districtes von Fogaras, dessen gesammte Bevölkerung sich auf wenigstens zweiundsiebzigtausend Einwohner beläuft. Diese Städter und Bauern machten kein Hehl daraus, daß sie dem Grafen wandellos treu ergeben waren; für die Wohlthaten, die er dem Lande erwiesen, dankten sie ihm mit grenzenloser Anhänglichkeit. Daher war dieses Schloß der Gegenstand einer ganz besonderen Ueberwachung, welche von der ungarischen Kanzlei in Wien, die völlig unabhängig von den anderen Ministerien des Reiches arbeitet, in Scene gesetzt worden war. Man kannte hohen Ortes die Ansichten des Herrn von Artenak und fühlte sich dieserhalb beunruhigt, wenn nicht gar wegen der Persönlichkeit des Grafen selbst.

Mathias Sandorf war damals fünfunddreißig Jahre alt. Seine Figur, die etwas über das Durchschnittsmaß hinausging, verrieth eine bedeutende Muskelstärke. Auf breiten Schultern ruhte ein Kopf mit einer edlen und stolzen Haltung. Das etwas eckige Gesicht, dessen Farbe eine warm angehauchte war, zeigte den magyarischen Typus in voller Reinheit. Die Lebhaftigkeit seiner Bewegungen, die Knappheit seiner Rede, der feste und gemessene Blick seines Auges, die lebendige Circulation seines Blutes, welche sich den Nasenflügeln mittheilte, ein schwaches Zucken in den Mundwinkeln, ein gewohnheitsmäßiges Lächeln auf den Lippen, das untrügliche Zeichen von Güte, eine gewisse Aufgeräumtheit im Gespräche und in den Geberden – alles das kündete eine freimüthige und hochherzige Natur an.

Einer der hervorragendsten Charakterzüge des Grafen Sandorf war, daß er noch nie eine Beleidigung verziehen hatte und nie eine solche verzeihen konnte, welcher seine Freunde zum Opfer fielen, während er sich um seiner selbst willen sehr unbesorgt zeigte und bei Gelegenheit sogar zu einem ihm zugefügten Unrecht gute Miene zu machen im Stande war. Er besaß einen in hohem Grade entwickelten Gerechtigkeitssinn und haßte jede Treulosigkeit. Daraus entsprang bei ihm eine persönliche Unversöhnlichkeit. Er gehörte durchaus nicht zu denen, welche Gott allein die Sorge überlassen, die Strafen in dieser Welt auszutheilen.

Es muß hier betont werden, daß Mathias Sandorf eine sehr ernste Erziehung genossen hatte. Anstatt der ihm durch sein Vermögen gebotenen Muße zu fröhnen, war er seinen Liebhabereien gefolgt, die ihn zum Studium der physikalischen und medicinischen Wissenschaften führten. Er wäre ein sehr talentirter Arzt geworden, wenn die Nothwendigkeit, davon leben zu müssen, ihm Kranke in die Behandlung gegeben hätte. Er begnügte sich daher damit, ein von den Gelehrten sehr geschätzter Chemiker zu sein. Die Pester Universität, die Akademie der Wissenschaften in Preßburg, die königliche Bergbauakademie in Schemnitz, die Normalschule in Temesvar hatten ihn nacheinander zu ihren begabtesten Schülern gezählt. Dieses vom Studium erfüllte Leben vervollständigte und bestärkte seine natürlichen Anlagen. Es machte aus ihm einen Mann in der weitgehendsten Bedeutung des Wortes. Als ein solcher wurde er auch von allen denjenigen betrachtet, die ihn kannten, und ganz besonders von seinen Professoren an den verschiedenen Schulen und Universitäten des Königreiches, welche seine Freunde geblieben waren.

Einst herrschten im Schlosse von Artenak Heiterkeit, Leben und Bewegung. Auf dem rauhen Bergrücken dort gaben sich die Jäger Siebenbürgens gern ein Stelldichein. Große und gefährliche Treibjagden wurden dort abgehalten, bei welchen die nach Kampf lüsternen Instincte des Grafen ihre vollkommene Befriedigung fanden, denn auf dem Felde der Politik hatten sie voraussichtlich keine Uebung zu erwarten. Er hielt sich bei Seite und betrachtete nahebei den Verlauf der Dinge. Er schien sich nur um sich selbst zu kümmern, seine Aufmerksamkeit zwischen seinen Studien und jenem Leben auf großem Fuße zu theilen, welches ihm sein stattliches Vermögen zu führen erlaubte.

Damals lebte Gräfin Réna Sandorf noch. Sie war die Seele aller gesellschaftlichen Vereinigungen auf Schloß Artenak. Fünfzehn Monate vor Beginn unserer Geschichte jedoch hatte sie der Tod in voller Jugend und Schönheit dahingerafft; dem Grafen war nur ein kleines Töchterchen geblieben, das jetzt zwei Jahre zählte.

Graf Sandorf traf dieser Schicksalsschlag furchtbar. Lange Zeit hindurch blieb er jedem Troste verschlossen. Im Schlosse wurde es still und einsam. Sein Herr lebte dort unter dem Eindrucke des tiefen Schmerzes wie in einem Kloster. Seine ganze Sorge galt seinem Kinde, welches den Händen der Frau des gräflichen Intendanten, Rosena Landeck, anvertraut wurde. Dieses noch junge, vortreffliche Geschöpf widmete sich ausschließlich dem Dienste der einzigen Erbin der Sandorf’s, ihre Bemühungen glichen denen einer zweiten Mutter.

Während der ersten Monate seiner Witwerschaft verließ Graf Sandorf Schloß Artenak nicht. Er schöpfte Sammlung aus den Erinnerungen an die Vergangenheit und lebte von diesen. Dann gewann der Gedanke an die untergeordnete Stellung seines Vaterlandes in Europa in ihm die Oberhand.

Der französisch-italienische Krieg von 1859 hatte der österreichischen Macht einen heftigen Stoß versetzt.

Dieses Unglück wurde nach sieben Jahren, 1866, noch durch die Niederlage von Sadowa vermehrt. An dieses Oesterreich, welches seine italienischen Besitzungen verloren hatte, an dieses von zwei Seiten besiegte Oesterreich sah sich Ungarn noch gefesselt. Die Siege von Custozza und Lissa hatten in den Augen der Ungarn die Schlappe von Sadowa nicht zu tilgen vermocht.