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»Becky?«

Oh. Ups. Alle warten.

Ich gehe zu Mum hinüber und schließe sie in die Arme. »Bye, Mum. Und vielen Dank, dass ihr uns so lange ausgehalten habt.«  »Ach, Schätzchen.« Mum winkt ab. »Sei nicht albern.«  Sie sieht Dad an. »Wollen wir ... ?«

Dad nickt und räuspert sich unsicher. »Bevor ihr abfahrt, möchte ich noch ein paar Worte sagen«, beginnt er. Luke steigt mit verdutzter Miene aus dem Lkw, und ich zucke mit den Schultern. Ich hatte keine Ahnung, dass Dad eine Rede halten wollte.

»Ich dachte eigentlich, dieser Tag würde nie kommen.« Dads Stimme hallt über die gepflasterte Auffahrt. »Unsere Tochter hat ein Haus gekauft!« Er macht eine kurze Pause. »Wir sind sehr, sehr stolz, habe ich recht, Jane?«

»Wir haben immer gesagt: Wer um alles in der Welt würde unserer kleinen Becky eine Hypothek geben?«, stimmt Mum mit ein. »Wir waren ziemlich in Sorge, Liebes! Aber jetzt habt ihr ein hübsches Häuschen in Maida Vale!«

Ich traue mich nicht, Luke anzusehen. Schweigend stehe ich da, kaue auf meiner Lippe herum und fühle mich zunehmend unwohl. Ich meine, ich weiß ja, dass wir bald ein eigenes Haus haben werden. Also habe ich nicht direkt gelogen. Aber trotzdem.

»Und deshalb, aus diesem Anlass ... » Dad räuspert sich und klingt plötzlich so erstickt. »Becky, wir möchten gern, dass du das hier bekommst.« Er reicht mir ein Geschenk, das in Seidenpapier eingewickelt ist.

»Oh, mein Gott! Das wäre doch nicht nötig gewesen!« Ich reiße das Papier ab ... und es ist das Bild von der Frau mit den Blumen. So lange wie ich denken kann, hängt das Gemälde oben auf dem Treppenabsatz.

»Was ... wie?«  Sprachlos blicke ich auf. »Das kann ich nicht annehmen! Es gehört hierher!« 

»Ach, Schätzchen.« Plötzlich bekommt Mum so einen verschleierten Blick. »Als du klein warst, hast du immer gesagt, du wolltest dieses Bild in deinem Zimmer haben. Und ich habe immer gesagt: »Du kannst es haben, wenn du erwachsen bist und dein eigenes Haus hast.« Und das bist du nun, Liebes: eine erwachsene Frau mit einem eigenen Haus.« 

Noch nie in meinem ganzen Leben hatte ich ein schlechteres Gewissen.

»Tja ... danke, Mum«, stottere ich. »Ich fühle mich wirklich geehrt. Es wird einen Ehrenplatz in unserem Haus bekommen.« 

»Vielleicht in dieser hübschen Diele!«, schlägt Mum vor. »Es würde so gut zum Kamin passen.«  »Ja, vielleicht.« Inzwischen stehen meine Wangen in Flammen.

Oh, Gott. Es ist unerträglich. Wir müssen dem Anwalt Druck machen und die ganze Angelegenheit beschleunigen. Und sobald wir im richtigen Haus sind, laden wir sie ein und hängen das Bild auf, und alles wird gut.

»Du sagst uns Bescheid, wann wir euch besuchen können!«, sagt Mum beschwörend. »Nun ... wir kommen und besuchen euch ganz bald«, sage ich und weiche einer direkten Antwort aus. »Ich ruf dich an, Mum.«

Wir klettern beide in die Kabine des Möbelwagens, und AIf sieht zu uns herüber. Er hat so weiße Haare, dass er ohne Weiteres hundertdrei sein könnte, obwohl er offenbar erst einundsiebzig ist. Er hat uns bereits mitgeteilt, dass er eine kaputte Hüfte, eine lädierte Schulter und ein schwaches Herz hat, weshalb die anderen Männer ihn drüben in Empfang nehmen, um beim Ausladen der Kisten zu helfen. »Fertig?«, krächzt er, und sein Goldzahn schimmert.

»Ja, los geht's!«

»Möchte das junge Fräulein die Rosinen vielleicht wiederhaben?« Er hat die ganze Hand voll, wie ich plötzlich merke. Ein paar davon zerkaut.

»Minnie!«, schimpfe ich. »Tut mir so leid. Kommen Sie, geben Sie her ...« Eilig lege ich die Rosinen wieder in Minnies Snackbox, dann atme ich aus, als der Möbelwagen aus der Auffahrt in die Straße einbiegt.

»Nun, Madame Hausbesitzerin«, sagt Luke sarkastisch. »Sie müssen ja sehr stolz sein.«

»Halt den Mund!« Ich nehme meinen Kopf in beide Hände. »Hör zu ... es wird alles gut.«  Ich warte zwei Tage, dann rufe ich zu Hause an und denk mir irgendwas aus, dass das Haus renoviert werden muss und wir uns irgendwo einmieten. Es wird schon gehen. Und wenn wir das Haus dann haben, laden wir alle zum Essen ein. «

»Vielleicht zum Weihnachtsessen.« Luke nickt. »Nächstes Jahr.«

»Was?« Entsetzt starre ich ihn an. »Sei nicht albern! So lange wird es doch nicht dauern, bis wir das Haus haben. Der Anwalt meinte, es müsste sich alles schnell klären lassen!«

»Was in der Anwaltssprache >Weihnachten nächstes Jahr< bedeutet.«

»Nein, tut es nicht ...«

»Ist das Ihre Mum?«, unterbricht uns Alf beiläufig.

»Bitte?«

»Blauer Volvo? Die verfolgen uns.« Er nickt zum Außenspiegel, und ich starre ungläubig hinein. Da sind sie. Fahren uns hinterher, direkt hinter uns. Was soll das werden?

Ich nehme mein Handy und tippe Mums Nummer.

»Mum, was macht ihr?«, sage ich ohne Einleitung.

»Ach, Becky!«, ruft sie. »Jetzt ist die ganze Überraschung hin! Graham, ich habe dir doch gesagt, dass du weiter zurückbleiben sollst! Sie haben uns gesehen!« »Mum, hör gut zu!« Ich weiß, ich klinge barsch, aber ich kann nichts dagegen tun. »Ihr sollt nicht mitkommen! Wir haben doch gesagt, wir geben euch Bescheid, wenn ihr uns besuchen könnt.«

»Becky, Schätzchen!« Mum lacht. »Das ist euer erstes Haus! Euer erstes eigenes Zuhause! Es ist uns doch egal, in welchem Zustand es ist!«

»Aber ... «

»Liebes, ich weiß, was du gesagt hast. Und wenn ich ehrlich sein soll, wollten wir euch auch erst mal allein lassen. Aber dann konnten wir einfach nicht widerstehen! Wir konnten euch nicht einfach so wegfahren lassen, ohne euch zu helfen. Ich habe ein paar Rosinenbrötchen dabei, und Dad bringt sein Werkzeug mit. Wir helfen euch. In null Komma nichts ist alles klar Schiff ... «

Mein Herz rast. Unmöglich kann ich sie zu irgendeinem schäbigen Mietshaus mitnehmen. Nicht nachdem Dad diese Abschiedsrede gehalten hat.

»Wir könnten sogar eine kleine Runde drehen und eure neuen Nachbarn kennenlernen!« Mum ist noch immer ganz aufgekratzt. »Vielleicht findest du dort gute Freunde, Becky. Ich meine, sieh dir Janice und mich an -nach dreißig Jahren immer noch befreundet. Ich kann mich noch gut an den Tag erinnern, als wir eingezogen sind und Janice mit einer Flasche Sherry herüberkam ... oh, Dad fragt, ob du ihm die Adresse noch mal sagen kannst, falls wir euch verlieren.«

Mein Hirn arbeitet auf Hochtouren.

»Mum, ich kann dich nicht mehr hören ... die Verbindung ist so schlecht ... « Ich reibe das Handy an meiner Tasche, um irgendwie ein lärmiges Geräusch zu machen, dann stelle ich es ab und sehe Luke an. »Alles okay. Sie wissen die Adresse nicht.« Eindringlich wende ich mich an Alf. »Wir müssen sie abhängen.«

»Abhängen?«

»Ja, wie im Krimi. Biegen Sie in eine Seitenstraße oder irgendwas ab.« »Seitenstraße?« Er klingt verdutzt. »Was für eine Seitenstraße denn?«

»Ich weiß nicht! Suchen Sie eine! Sie wissen schon, wie bei einer Verfolgungsjagd!« Guckt er denn keine Filme?

»Ich glaube, meine Frau möchte, dass Sie sehr schnell durch eine schmale Einbahnstraße fahren, entgegen der vorgeschriebenen Richtung, einen Obstkarren umkippen, sämtliche Umstehenden zum Schreien animieren, sich einmal mit dem Wagen überschlagen und auf diese Weise meinen Schwiegereltern entkommen«, sagt Luke trocken. »Ich hoffe doch, Sie sind Möbelwagen-Stuntman?«