»Ich begreife nicht, wie sie einen Kerl wie dich nehmen konnten«, fauchte sie höhnisch. »Nun müssen sie so rasch wie möglich handeln, sonst ist der Plan in aller Leute Mund. Das ist die größte Niedertracht, von der ich je gehört habe! Bringst du es wirklich mir nichts, dir nichts fertig, Nero zu verraten, der dir so viel Gutes getan hat und den du als deinen Freund betrachtest?«
Ich bewahrte meine Würde und entgegnete ruhig, Nero habe mich durch sein eigenes Verhalten dazu getrieben, mehr an das Wohl des Staates zu denken als an eine Freundschaft, gegen die er mehr als einmal verstoßen hatte. Ich selbst hätte zwar, dank meiner Wachsamkeit, durch die Münzverschlechterung nicht allzuviel verloren, doch das Weinen der Witwen und Waisen klinge mir schmerzlich in den Ohren, ich dächte an die Not der Bauern und der kleinen Handwerker und sei daher bereit, meine Ehre zum Wohle des ganzen römischen Volkes auf dem Altar des Vaterlandes zu opfern.
Ich hätte meine Absichten vor Claudia geheimgehalten, sagte ich, weil ich fürchtete, sie könnte mich daran hindern wollen, mein Leben für die Freiheit einzusetzen. Nun hoffte ich, sie werde verstehen, daß ich über mein Tun und Treiben geschwiegen hatte, um sie nicht in Gefahr zu bringen, indem ich sie zur Mitwisserin machte.
Claudia war jedoch nach wie vor mißtrauisch, denn sie kannte mich gut. Gleichwohl mußte sie zugeben, daß ich recht handelte. Sie hatte nach langem Zögern selbst schon daran gedacht, mir zuzureden und, wenn es sein mußte, mich zu zwingen, mich der Verschwörung anzuschließen, da dies um meiner und um Deiner Zukunft willen nötig war.
»Du wirst bemerkt haben, daß ich dich schon lange nicht mehr mit den Christen belästigt habe«, sagte Claudia. »Es besteht kein Anlaß mehr, ihnen zu erlauben, sich heimlich bei uns zu versammeln. Sie haben nun ihre eigenen sicheren Zufluchtsorte. Ich mag meinen Sohn Clemens nicht dieser Gefahr aussetzen, obgleich ich selbst mich furchtlos als Christin bekenne. Zudem haben sich die Christen als schwach und unzuverlässig erwiesen. Neros Tod würde ihnen nur zum Vorteil gereichen und wäre zugleich eine Art Rache für seine bösen Taten, aber denk nur, sie wollen nichts mit der Verschwörung zu schaffen haben, obwohl sie nicht mißlingen kann. Ich verstehe sie nicht mehr. Sie sagen nur, man dürfe nicht töten und die Rache stehe ihnen nicht zu.«
Ich war entsetzt und sagte: »Du mußt den Verstand verloren haben. Wie kannst du die Christen in diese Sache hineinziehen, bei der ohnehin schon viel zu viele die Hände mit im Spiel haben! Es wird sie außerdem niemand haben wollen, das darfst du mir glauben. Der künftige Herrscher wäre gezwungen, ihnen von vornherein Sonderrechte zu geloben, und es ist schon genug, ja mehr als genug, daß die Juden ihre Privilegien haben.«
Claudia sah ihre Dummheit wohl ein, erwiderte aber zornig: »Man kann immerhin fragen, das schadet niemandem. Sie sagen, sie hätten sich bisher nicht in die Politik eingemischt und gedächten auch in Zukunft der Obrigkeit zu gehorchen, wie immer diese Obrigkeit beschaffen sein möge. Sie hätten ihr eigenes Reich, das kommen werde, sagen sie, aber ich bin es nun müde, darauf zu warten. Als Tochter des Claudius und Mutter meines Sohnes muß ich wohl auch ein wenig an die weltliche Macht denken. Kephas, der immerzu nur von Gehorsam schwatzt, ist in meinen Augen ein Feigling. Das unsichtbare Reich mag eine schöne Sache sein, aber seit ich Mutter bin, rückt es mir immer ferner, und ich fühle mich mehr als Römerin denn als Christin. Die verworrene Lage bietet uns die beste Möglichkeit, die Welt zu verändern, nun da alle Menschen um jeden Preis Frieden und Ordnung wünschen.«
»Die Welt verändern … Was soll das heißen?« fragte ich mißtrauisch. »Bist du bereit, vorsätzlich Tausende, vielleicht Millionen Menschen in Hunger und Not zu stürzen, ja in den Tod zu treiben, um für deinen Sohn, bis er die Toga anlegt, ein günstiges politisches Klima zu schaffen?«
»Die Republik und die Freiheit sind Dinge, für die schon so mancher tapfere Mann bereit war, sein Leben dranzugehen«, sagte Claudia gereizt. »Mein Vater Claudius sprach oft mit großer Achtung von der Republik, und er hätte sie gern wiedereingeführt, wenn es möglich gewesen wäre. Er sagte es oft genug in seinen weitschweifigen Reden in der Kurie, wenn er sich über die Last der Alleinherrschaft beklagte.«
»Du hast selbst oft genug behauptet, dein Vater sei ein wahnsinniger, ungerechter und grausamer Lüstling gewesen«, erwiderte ich. »Erinnere dich, daß du seine Statue in der Bibliothek bespucktest, als wir uns zum erstenmal begegneten. Es ist unmöglich, die Republik wiedereinzuführen. Dieser Plan findet nicht genug Unterstützung. Die Frage ist nur, wen wir zum Kaiser machen sollen. Piso halte ich für zu unbedeutend, und ich weiß, daß du mir recht gibst. An wen hast du gedacht?« Claudia sah mich nachdenklich an und sagte plötzlich mit gespielter Unschuld: »Was meinst du zu Seneca?«
Im ersten Augenblick entsetzte mich dieser Gedanke. »Was nützt es, einen Zitherspieler gegen einen Philosophen auszutauschen?« fragte ich. Je mehr ich jedoch darüber nachdachte, desto schlauer fand ich Claudias Vorschlag. Sowohl das Volk als auch die Provinzen waren der Meinung, daß die ersten fünf Jahre Neros, in denen Seneca regierte, die glücklichste Zeit gewesen waren, die Rom je erlebt hatte. Noch heute – da wir sogar für die Benutzung der öffentlichen Abtritte Steuern zahlen müssen – spricht man davon als von einer goldenen Zeit.
Seneca war ungeheuer reich. Man schätzte sein Vermögen auf dreihundert Millionen Sesterze, aber ich wußte, daß das zu knapp geschätzt war. Das beste aber war, daß Seneca schon sechzig Jahre zählte. Dank seinen stoischen Lebensgewohnheiten konnte er noch gut fünfzehn Jahre leben. Daß er in ländlicher Abgeschiedenheit wohnte, dem Senat fernblieb und nur selten die Stadt besuchte, war nichts als Schein, um Nero zu beruhigen.
Die Diät, die er seines Magenleidens wegen einhielt, hatte ihm gutgetan. Er war schlank geworden und keuchte beim Gehen nicht mehr. Auch die feisten Wangen, die einem Philosophen so schlecht anstehen, hatte er verloren. Man konnte sich vorstellen, daß er gut regieren, niemanden verfolgen und als erfahrener Geschäftsmann das Wirtschaftsleben fördern und mit den Staatsgeldern gut haushalten würde. Und wenn sein Ende nahte, würde er vielleicht freiwillig bereit sein, die Macht einem jungen Manne zu übergeben, der in seinem Geiste erzogen worden war.
Senecas sanfte Gemütsart und Menschenliebe entsprachen in hohem Maße der Lehre der Christen. In einem naturwissenschaftlichen Werk, das er unlängst geschrieben hatte, deutete er an, daß es, in der Natur und im All verborgen, geheime Mächte gebe, die menschliche Vernunft überstiegen, so daß das Seiende und Sichtbare nicht mehr sei als ein dünner Schleier, der etwas Unsichtbares verdeckt. Er hatte mit Paulus Briefe gewechselt, und ich könnte nicht mit Gewißheit sagen, wer von den beiden in seinen Schriften die Gedanken des andern entlehnte. Paulus schrieb ebenso fleißig Briefe, wie Seneca seine philosophischen Gedanken in Briefform ausdrückte.
Als ich all dies bedacht hatte, schlug ich vor Verwunderung die Hände zusammen und rief: »Claudia, du bist ein politisches Genie, und ich bitte dich, mir meine bösen Worte zu verzeihen!«
Selbstverständlich sagte ich ihr nicht, daß ich mir, indem ich Seneca vorschlug und sodann unterstützte, die Schlüsselstellung in der Verschwörung verschaffen konnte, die ich anstrebte. Auch wäre mir Senecas’ Dankbarkeit gewiß gewesen. Zudem war ich sozusagen einer seiner Schüler, und in Korinth hatte ich unter seinem Bruder als Kriegstribun gedient und dessen Vertrauen in geheimen Staatsgeschäften genossen. Und Senecas Vetter, der junge Lucanus, gehörte zu meinen besten Freunden, da ich nie genug des Lobes für seine Verse fand. Ich war ja selbst kein Dichter.