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Wir plauderten noch lange im besten Einvernehmen, Claudia und ich, und gewannen, während wir eifrig dem Wein zusprachen, unserer Sache immer mehr gute Seiten ab. Zuletzt gingen wir zu Bett, und ich kam seit langem zum erstenmal wieder meinen ehelichen Pflichten nach, um jedes Mißtrauen, das sie etwa noch gegen mich hegte, zu zerstreuen.

Als ich dann neben ihr erwachte, vom Wein und von meiner Begeisterung erhitzt, dachte ich mit Kummer im Herzen daran, daß ich mich eines Tages um Deinetwillen von Deiner Mutter befreien mußte. Antonia konnte sich mit einer gewöhnlichen Scheidung nicht zufriedengeben. Claudia mußte sterben, doch erst in zehn oder fünfzehn Jahren, und bis dahin konnte viel geschehen. Noch oft werden bis dahin die Schmelzfluten des Frühjahrs unter den Tiberbrücken dahinströmen, sagte ich mir. Und dann gab es Seuchen und Krankheiten, unerwartete Unglücksfälle aller Art und über allem die Parzen, die die Geschicke der Menschen lenken. Ich brauchte mich nicht im voraus zu sorgen, wie das Unausweichliche einst geschehen sollte.

Claudias Plan erschien mir so ungewöhnlich, aber auch so selbstverständlich, daß ich es nicht für nötig hielt, mit Antonia darüber zu sprechen. Wir durften uns nur selten und heimlich treffen, damit kein böses Gerede entstand und Nero, der Antonia aus politischen Gründen beobachten ließ, nicht Verdacht schöpfte.

Ich reiste unverzüglich selbst zu Seneca, indem ich vorgab, ich hätte in Praeneste einige Geschäfte zu besorgen und wollte dem alten Philosophen nur einen Höflichkeitsbesuch abstatten. Sicherheitshalber richtete ich es so ein, daß ich tatsächlich in Praeneste zu tun hatte.

Seneca empfing mich freundlich, und ich überzeugte mich, daß er auf seinem Gut mit seiner um die Hälfte jüngeren Gattin bequem und im Überfluß lebte. Anfangs saß er mir zwar ächzend und mit krummem Rücken gegenüber und jammerte über seine Krämpfe, aber als er erkannte, daß ich ernsthaft mit ihm zu sprechen wünschte, führte mich der alte Fuchs zu einem abseits gelegenen Lusthaus, wo er fern der Welt ein asketisches Leben führte und einem Schreiber seine Werke diktierte.

Um mir zu beweisen, daß er wirklich einfach und bescheiden lebte, zeigte er mir einen Bach, aus dem er mit der hohlen Hand sein Trinkwasser schöpfte, und einige Obstbäume, von denen er selbst sich pflückte, wonach es ihn gelüstete. Er erzählte mir auch, daß seine Gattin Paulina gelernt hatte, Korn mit einer Handmühle zu mahlen und Brot zu backen. Ich kannte diese Zeichen und begriff, daß er in der ständigen Furcht lebte, vergiftet zu werden. In seiner Geldnot konnte Nero nur allzu leicht Lust auf das Vermögen seines alten Lehrers bekommen und es auch sonst aus politischen Gründen für nötig erachten, sich seiner zu entledigen. Seneca hatte noch immer allzu viele Freunde, die ihn als Philosophen und Staatsmann schätzten, obgleich er um seiner Sicherheit willen nur selten Gäste empfing.

Ich kam ohne Umschweife zur Sache und fragte Seneca geradeheraus, ob er bereit sei, nach Nero die Imperatorwürde anzunehmen und im Reiche Frieden und Ordnung wiederherzustellen. Mit der Ermordung Neros brauchte er sich nicht zu belasten. Er mußte sich nur an einem bestimmten Tag in der Stadt aufhalten, bereit, sich mit vollen Geldsäcken zu den Prätorianern zu begeben. Nach meinen Berechnungen brauchte man etwa dreißig Millionen Sesterze, damit jeder Mann zweitausend bekam und die Kriegstribunen und Zenturionen ihrem Rang entsprechend mehr.

Fenius Rufus verlangte nichts. Er setzte lediglich voraus, daß die Staatskasse ihn später für die Verluste entschädigte, die er durch Neros Willkür erlitten hatte. Es genügte dazu, daß seine Schulden innerhalb einer angemessenen Frist bezahlt wurden. Ich beeilte mich außerdem zu erklären, daß ich bereit war, einen Teil des erforderlichen Betrages zu erlegen, wenn Seneca aus Gründen der Sparsamkeit nicht für den ganzen allein aufkommen wollte.

Seneca richtete sich auf und betrachtete mich mit einem Blick, in dem von Menschenliebe nichts zu lesen war. »Dich kenne ich durch und durch, Minutus«, sagte er. »Deshalb ist mein erster Gedanke der, daß Nero dich geschickt hat, um auf listige Art meine Treue zu erproben. Dazu würdest unter allen seinen Freunden du dich am besten eignen. Offenbar weißt du aber zu viel über die Verschwörung, da du sogar Namen aufzählen kannst. Wärst du ein Verräter, so würden schon einige Köpfe gerollt sein. Ich frage dich nicht nach deinen Beweggründen. Ich frage dich nur, wer dich ermächtigt hat, dich an mich zu wenden.«

Ich gab verlegen zu, daß mich dazu niemand ermächtigt hatte, sondern daß ich selbst auf diesen Gedanken verfallen war, weil ich ihn als den besten und edelsten Mann ansah, der über Rom herrschen konnte, und weil ich mir zutraute, ihm die Unterstützung der Verschwörer zu sichern, wenn er mir nur seine Zustimmung gab. Seneca beruhigte sich und sagte: »Glaube nicht, daß du der erste bist, der sich in dieser Sache an mich wendet. Pinos engster Vertrauter, Antonius Natalis, den du kennst, war unlängst bei mir, um meinen schlechten Gesundheitszustand zu beklagen und mich zu fragen, warum ich mich so entschieden weigerte, Piso zu empfangen und offen mit ihm zu verhandeln. Ich habe jedoch keine Ursache, einen Mann wie Piso zu stützen. Deshalb antwortete ich ihm, daß Mittelmänner vom Übel seien und eine persönliche Begegnung nicht ratsam, daß aber von nun an mein eigenes Leben von Pisos Sicherheit abhänge. Und das ist wahr. Wenn die Verschwörung aufgedeckt wird, wovor der unerklärliche Gott uns alle schützen möge, so stürzt ein einziger unvorsichtiger Besuch mich ins Verderben … Nero ermorden, das ist leichter gesagt als getan«, fuhr er nachdenklich fort. »Piso hätte die beste Möglichkeit dazu in seiner Villa in Baiae. Nero besucht sie oft ohne Leibwache, um zu baden und sich zu zerstreuen. Piso aber erklärte scheinheilig, er könne das Gastrecht nicht verletzen. Als ob ein Mann vom Schlage Pisos an irgendwelche Götter glaubte! Ein Mord an Nero würde aber auch in vielerlei Hinsicht Anstoß erregen. Lucius Silanus, um nur einen zu nennen, hat sich klug genug geweigert, ein so entsetzliches Verbrechen wie den Kaisermord gutzuheißen. Den Konsul Atticus Vestinus hat Piso selbst übergangen, denn Vestinus ist ein rühriger Mann, der ernstlich versuchen könnte, die Republik wieder zu errichten. Als Konsul hätte er die Möglichkeit, nach einem Mord die Macht an sich zu reißen.«

Ich erkannte, daß Seneca mehr über die Verschwörung wußte als ich und daß er als erfahrener Staatsmann alle Lose in Fortunas Hand sorgfältig gegeneinander ausgewogen hatte. Ich bat ihn daher, mir zu verzeihen, daß ich in meiner Ahnungslosigkeit, wenngleich in bester Absicht, seine Ruhe gestört hatte, und beteuerte ihm, er dürfe wegen meines Besuches unbesorgt sein, da ich nachweisbar Geschäfte in Praeneste hätte und es nur natürlich sei, daß ein Schüler bei solcher Gelegenheit seinen ehemaligen Lehrer aufsuche, um sich nach seinem Befinden zu erkundigen.

Ich hatte den Eindruck, daß Seneca letztere Bemerkung mißbilligte und mich nicht als seinen Schüler betrachten mochte. Er sah mich jedoch mitleidig an und erwiderte: »Ich will dir nur dasselbe sagen, was ich Nero zu lehren versuchte. Durch Verstellung und Liebedienerei kann man seine wirklichen Eigenschaften eine Zeitlang verbergen. Zuletzt aber wird die Komödie durchschaut und das Schaffell fällt vom Wolfe. Nero hat Wolfsblut in den Adern, mag er auch ein Schauspieler sein, und auch du, Minutus, hast es, obgleich von einem feigeren Wolf.«

Ich wußte nicht, ob ich mich durch seine Worte geschmeichelt oder gekränkt fühlen sollte, und fragte so beiläufig wie möglich, ob er glaube, daß Antonia an der Verschwörung teilhabe, und wenn ja, ob sie Piso stützte. Seneca schüttelte bekümmert seinen struppigen Kopf und sagte warnend: »An deiner Stelle würde ich Aelia Antonia nicht trauen. Der bloße Name erschreckt mich. In ihr strömt das verderbte Blut zweier uralter, gefährlicher Geschlechter zusammen. Über ihre Jugend weiß ich Dinge, von denen ich nicht sprechen mag. Ich warne euch nur. Nehmt sie, bei allen Göttern, nicht in die Verschwörung auf. Sie ist noch machtlüsterner als Agrippina, die trotz allen Verbrechen noch ihre guten Seiten hatte.«