Ich selbst erinnerte Nero daran, daß es leer geworden war in der Kurie und daß auch der Platz meines Vaters noch nicht wieder ausgefüllt war. Im Ausschuß für orientalische Angelegenheiten brauchte man dringend einen Mann, der wie mein Vater mit den Juden zu verhandeln verstand und, im Hinblick auf ihre Sonderstellung, zwischen ihnen und dem Staat als Mittler dienen konnte. Von Neros Standpunkt aus betrachtet, wäre es politisch klug gehandelt, wenn er Senatoren einsetzte, die ihre Treue durch die Tat bewiesen hatten, da der Senat als solcher unzuverlässig war und mit der Republik liebäugelte.
Nero war verblüfft und meinte, er könne nicht einen Mann wie mich zum Senator ernennen. Ich möge doch an meinen Ruf denken. Die Zensoren würden es zu verhindern wissen. Außerdem habe er nach dieser Verschwörung zu seinem Kummer den Glauben an die Menschheit verloren und traue niemandem mehr, auch mir nicht.
Ich vertrat jedoch meine Sache mit Nachdruck und wies darauf hin, daß ich bei Caere und an anderen Orten in Italien die Ländereien besaß, die Voraussetzung für den Senatorenrang waren. Zu jener Zeit war außerdem der Prozeß, den mein Vajer in Britannien um das Erbe des Jucundus eingeleitet hatte, zu einem guten Ende gekommen. Die Briten erben auch in der weiblichen Linie. Lugunda war von vornehmer Geburt und obendrein Hasenpriesterin gewesen. Sie war bei dem Aufruhr zusammen mit ihren Eltern und Brüdern umgekommen. Jucundus war somit Alleinerbe und zudem als Adoptivsohn eines Senators eindeutig Römer. Der neue König der Icener hatte seine Forderung anerkannt. Als Kriegsschadenersatz erhielt er neben großen Ländereien auch einen Teil Weideland im angrenzenden Reich der Catavelauner, die ebenfalls an dem Aufruhr beteiligt gewesen waren, und dieser Schadenersatz kostete den König der Icener nichts.
Er schrieb mir einen Brief und bat mich, als Gegenleistung zu versuchen, Seneca dazu zu überreden, daß er seine Wucherzinsen, die das neu erwachte Wirtschaftsleben Britanniens lahmzulegen drohten, wenigstens zum Teil senke. Ich war ja Jucundus’ gesetzlicher Erbe, da mein Vater ihn adoptiert hatte.
Ich benutzte also nun die Gelegenheit, mir dieses Erbe von Nero bestätigen zu lassen. An sich hätte er das Recht gehabt, es wegen des Verbrechens meines Vaters zu beschlagnahmen, aber nun hatte er durch die Verschwörung endlich einmal so viel Geld in die Hand bekommen, daß er nicht kleinlich zu sein brauchte. Ich vergalt ihm seine Großzügigkeit damit, daß ich ihn über Senecas ungeheure Investitionen in Britannien aufklärte und ihm riet, die Zinsen auf ein erträgliches Maß herabzusetzen. Nero fand, Wucher stehe einem Kaiser nicht an, und beschloß die Zinsen ganz aufzuheben.
Dadurch stieg der Wert meines Erbes in Britannien beträchtlich, denn die Steuern sanken, und ich war zu meiner Freude der erste, der dem König der Icener davon Mitteilung machen konnte. Das brachte mir in Britannien hohes Ansehen ein, und dank dem Vertrauen, das die Briten in mich setzten, wurde ich später in den Senatsausschuß für britische Angelegenheiten gewählt, wo ich viel erreichte, was sowohl den Briten als auch mir selbst nützte.
Doch zunächst mußte ich mich um meinen Besitz in Britannien kümmern. Ich ließ zwei meiner tüchtigsten Freigelassenen aus Caere kommen und schickte sie nach Britannien, wo sie den Ackerbau auf römische Art betrieben und zu einem ertragreichen Geschäft machten und Schlachtvieh züchteten, das an die Legionen verkauft wurde. Sie vermählten sich später mit achtbaren britischen Frauen, hatten ungewöhnliche Erfolge und wurden zuletzt Stadttetrarchen in Lugundanum, der Stadt, die ich zur Erinnerung an meine britische Gattin hatte gründen lassen.
Der Ackerbau und die Viehzucht warfen mir große Gewinne ab, bis neidische Nachbarn die Methoden meiner Freigelassenen nachzuahmen begannen, aber selbst dann noch bezog ich aus Britannien hohe Einkünfte, obwohl der Gewinnanteil meiner Freigelassenen nicht unerheblich war. Ich glaube übrigens nicht, daß die beiden mich übermäßig betrogen. Ich hatte sie dazu erzogen, in geschäftlichen Dingen meinem Beispiel zu folgen. Ehrlichkeit innerhalb vernünftiger, zumutbarer Grenzen währt stets länger als der nur für den Augenblick einträgliche Betrug. Ich konnte nun also im Hinblick auf meine Ernennung zum Senator nicht nur Grundbesitz in Italien, sondern auch in Britannien nachweisen und wurde tatsächlich Senator, wie es Claudia gewünscht hatte. Man brachte zuletzt keinen anderen Einwand gegen mich vor als den, daß ich das erforderliche Alter noch nicht erreicht hätte, aber darüber lachte der Senat laut, denn es waren schon früher so viele Ausnahmen bewilligt worden, daß die betreffende Bestimmung längst jede Bedeutung verloren hatte. Außerdem wußten alle, was der Sprecher in Wirklichkeit meinte, aber nicht zu sagen wagte. Auf Neros Vorschlag wurde ich daher so gut wie einstimmig zu diesem hohen Amte gewählt. Ich nahm mir nicht die Mühe, mir diejenigen zu merken, die gegen mich stimmten, denn nach der Sitzung trat einer von ihnen lächelnd auf mich zu und erklärte mir, es sei dem Ansehen des Senates förderlich, wenn weniger wichtige Vorschläge Neros nicht einstimmig angenommen würden. Diese Lehre prägte ich mir dankbar ein.
Ich habe alles, was im Zusammenhang mit der Verschwörung des Piso geschah, so ausführlich berichtet, nicht um mich selbst zu rechtfertigen – dazu habe ich keinen Anlaß –, sondern um das Schmerzlichste so lange wie möglich aufzuschieben. Ja, ich spreche von Antonia. Noch heute, nach so vielen Jahren, kommen mir die Tränen, wenn ich an ihr Schicksal denke.
Gleich nach Pisos Selbstmord stellte Nero Antonias Haus auf dem Palatin unter Bewachung. Von allzu vielen Seiten hatte er zu hören bekommen, daß Antonia sich verpflichtet hatte, den Usurpator ins Lager der Prätorianer zu begleiten. Es ging sogar das wahnwitzige Gerücht um, Piso habe gelobt, er werde sich scheiden lassen und Antonia zur Gattin nehmen, sobald er Kaiser wäre. Ich selbst glaubte es besser zu wissen, sofern nicht Antonia aus Liebe zu mir und im Hinblick auf Deine Zukunft eine solche Ehe für notwendig gehalten hätte.
Eine einzige Nacht durfte ich noch mit Antonia verbringen, und diese Nacht kostete mich eine Million Sesterze. So sehr fürchteten die Wachtposten Nero und Tigellinus. Doch ich trennte mich gern von dieser großen Summe. Was bedeutet Geld einem Manne, der liebt! Mein ganzes Vermögen hätte ich hergegeben, wenn damit Antonias Leben gerettet worden wäre. Oder jedenfalls einen großen Teil meines Vermögens. Doch es half alles nichts.
Wir planten in jener Nacht allen Ernstes, alles aufzugeben und zusammen nach Indien zu fliehen, wo ich gewisse Geschäftsverbindungen hatte. Aber der Weg war zu weit. Wir sahen ein, daß wir früher oder später angehalten worden wären, denn Antonias Gesichtszüge waren, dank ihren vielen Statuen, allen Römern und sogar in den Provinzen bekannt, und keine Verkleidung hätte ihr vornehmes Wesen verbergen können.
Unter Tränen und Umarmungen gaben wir unsere eitlen Hoffnungen auf. Antonia sagte mir zärtlich, sie sterbe mutig und gern, da sie einmal in ihrem Leben wahre Liebe erfahren habe. Sie gestand mir auch offen, daß sie die Absicht gehabt hatte, mich zu ihrem Gemahl zu machen, sobald Claudia auf die eine oder andere Art gestorben wäre. Diese Versicherung ist die größte Ehre, die mir in meinem ganzen Leben zuteil wurde. Ich glaube nicht unrecht zu handeln, indem ich davon spreche, denn ich will mich ja nicht damit brüsten, sondern nur beweisen, daß sie mich wirklich liebte.