Sie sprach viel in unserer letzten Nacht und wie im Fieber und erzählte von ihrer Kindheit und ihrem Onkel Sejanus, der ihrer Meinung nach Claudius zum Kaiser gemacht haben würde, wenn es ihm gelungen wäre, Tiberius zu ermorden und die Unterstützung des Senates zu erlangen. Auf diese Weise wären Rom die Verbrechen des Gajus Caligula erspart geblieben. Doch das Schicksal wollte es anders, und Antonia gab auch zu, daß Claudius damals vielleicht noch nicht reif gewesen wäre zu regieren. Er würfelte, trank und trieb Antonias Mutter an den Rand des Bankrotts.
Wir saßen jedoch nicht die ganze Nacht Hand in Hand und plauderten. Der Tod stand auf der Schwelle und wartete. Dieses Bewußtsein gab unseren Küssen Blutgeschmack und trieb mir brennende Tränen der Leidenschaft in die Augen. Eine solche Nacht erlebt ein Mensch nur einmal im Leben, und er vergißt sie nie. Danach ist jede andere Neigung, jeder andere Genuß ein schwacher Abglanz, und ich habe nach Antonia keine andere Frau mehr wirklich geliebt.
Unwiederbringlich eilten die Stunden dahin, und allzu rasch graute der Morgen. Zuletzt machte mir Antonia einen seltsamen Vorschlag, der mich verstummen ließ, dessen Weisheit ich aber nach meinen ersten entsetzlichen Einwänden bald erkannte. Wir wußten beide, daß es uns nicht mehr möglich war, noch einmal zusammenzutreffen. Ihr Tod stand so unausweichlich bevor, daß Fortuna selbst sie nicht mehr retten konnte.
Daher wollte sie sich die qualvolle Wartezeit abkürzen und schlug mir vor, nach den anderen solle auch ich sie Nero anzeigen. Dies würde ihren Tod beschleunigen, mich von allem Verdacht reinwaschen, den Nero etwa noch gegen mich hegte, und Deine Zukunft sichern.
Der bloße Gedanke an einen solchen Verrat machte mich schaudern, aber Antonia überredete mich zuletzt doch. Es war ja, vernünftig besehen, wirklich das Klügste, auch aus dem Unausweichlichen noch Gewinn zu schlagen.
Noch auf der Schwelle ihres Schlafgemachs gab sie mir gute Ratschläge. Sie nannte mir alte Familien, mit denen ich um Deinetwillen freundschaftliche Beziehungen anknüpfen mußte, und andere, die ich aus Amt und Stellung drängen sollte. Mit Tränen in den Augen sagte sie mir, daß sie ihren Tod nur deshalb beklagte, weil sie gern noch mitgeholfen hätte, eine passende Braut für Dich auszusuchen. Es gab ja nicht mehr viele in Rom, die in Frage kamen. Antonia ermahnte mich, mit Bedacht zu wählen und Dich zu verloben, sobald das rechte Mädchen zwölf Jahre alt geworden war. Aber Du willst ja auf meine vernünftigen Vorschläge nicht hören.
Die Wachtposten wurden unruhig und trieben mich zum Aufbruch. Wir mußten Abschied nehmen. Solange ich lebe, werde ich Antonias tränennasses, lächelndes, vornehm schönes Antlitz nicht vergessen. Ich hatte jedoch einen Plan gefaßt, der mir die Trennung erleichterte, obwohl ich den schwersten Schritt meines Lebens vor mir hatte.
Ich mochte nicht nach Hause gehen, ich mochte Claudia nicht sehen, und nicht einmal Dich, mein Sohn. Ich vertrieb mir die Zeit, indem ich in den Gärten auf dem Palatin umherwanderte. Eine Zeitlang stand ich an eine vom Feuer versengte uralte Pinie gelehnt, die mit unglaublicher Lebenskraft noch immer grünte. Ich blickte nach Ost und West, nach Nord und Süd. Selbst wenn dies alles eines Tages mein gewesen wäre, ich hätte das ganze Erdenrund gegeben für einen einzigen Kuß Antonias und alle Perlen Indiens für die Weiße ihrer Glieder. So wunderbar verblendet den Menschen die Liebe. Dabei war Antonia älter als ich und ihre üppige Blüte lang vorbei. Ihr schmales Gesicht trug die Furchen des Leids und der Erfahrung, und sie hätte da und dort ein wenig fülliger sein dürfen. In meinen Augen aber erhöhte diese Magerkeit nur ihren Zauber. Das Zittern ihrer Nasenflügel, die jähen Bewegungen ihres Kopfes … Schöneres habe ich in meinem Leben nicht gesehen.
Ich blickte in meiner Verzückung auf das Forum nieder, auf seine uralten Bauten, auf das neue Rom, das aus Asche und Ruinen entstand, auf Neros Arkaden und das Goldene Haus drüben auf dem Esquilin, das im Sonnenaufgang glänzte. An Grundstücksgeschäfte dachte ich in diesem Augenblick eigentlich nicht, aber es fiel mir doch ein, daß mein altes Haus auf dem Aventin zu eng geworden war und daß ich mir um Deinetwillen in naher Zukunft eine neue Wohnstatt schaffen mußte, so nah wie möglich beim Goldenen Haus.
Ich wandte mich ab und stieg den Palatin hinunter, um zum Goldenen Haus hinüberzugehen und bei Neros Morgenempfang um Vortritt zu bitten. Wenn ich Antonia schon anzeigen mußte, so durfte mir kein anderer zuvorkommen. Beim Gedanken an den Wahnwitz des Lebens lachte ich laut auf, so daß ich bald weinend, bald lachend dahinging, wie ein Mensch, dessen Sinne sich verwirrt haben. Und plötzlich rief ich: »Die Welt ist sinnlos!« als hätte ich eine neue, überraschende Wahrheit entdeckt. Die höchste Weisheit schien es mir jedenfalls in meiner Verfassung zu sein, obwohl ich mich später wieder beruhigte und auf andere Gedanken kam.
Ich erschrak, als ich die im Empfangssaal Wartenden begrüßte, denn sie schienen mir alle Tierköpfe auf den Schultern zu tragen. Es war ein so überraschender Anblick, daß ich mir mit der Hand über die Augen fahren mußte. In dem von Silber und Elfenbein schimmernden Saal, dessen Boden ein riesiges Mosaik zierte, das ein Festmahl der Götter darstellte, waren viele Menschen versammelt, um geduldig zu warten, bis sie – manche erst gegen Mittag – einen Schimmer von Nero erhaschen durften. Die ganze Tierwelt war unter ihnen vertreten, von Kamelen und Igeln bis zu Stieren und Schweinen. Tigellinus glich in meinen Augen so sehr einem mageren Tiger, daß ich mir, als ich ihn begrüßte, mit der flachen Hand vor den Mund schlagen mußte, um nicht laut zu lachen. Dieses seltsame Trugbild, gewiß eine Folge der durchwachten Nacht, der Erschöpfung von der Liebe und des Aufruhrs, der in mir herrschte, zerrann, als ich vor allen anderen in Neros Schlafgemach eingelassen wurde, weil ich meine Angelegenheit als äußerst wichtig dargestellt hatte. Nero hatte Acte als Bettgenossin. Das zeigte mir, daß er seiner Laster müde geworden war und zu natürlichen Gewohnheiten zurückkehren wollte, was ja bisweilen vorkommt.
Nero sah ich nicht als Tier. Er dünkte mich vielmehr ein leidender, vor grenzenlosem Mißtrauen verzweifelter Mensch oder besser noch als ein verwöhntes Kind, das nicht verstehen konnte, warum andere es böse nannten. Er wollte doch allen wohl und war zudem ein großer Sänger, vielleicht der beste seiner Zeit, wie er selbst aufrichtig glaubte. Ich kann es nicht beurteilen, denn ich bin eher unmusikalisch.
Wie dem auch sei: als ich eintrat, machte Nero wie jeden Morgen gerade seine Stimmübungen. Sein Gesang drang, von Gurgeln unterbrochen, durch das ganze Goldene Haus. Nero wagte nicht einmal Obst zu essen, weil ihm irgendein Arzt gesagt hatte, es sei nicht gut für die Stimme. Meiner Meinung nach sind aber Äpfel oder Weintrauben, am Morgen zu dem üblichen Honigbrot genossen, sehr erfrischend, und außerdem fördern sie die Verdauung, was für Menschen, die auch in fortgeschrittenem Alter noch eine reichgedeckte Tafel schätzen, wichtig ist.
Als ich nun mit zitternder Stimme Antonias Namen hervorstammelte, bekam Nero sein salziges Gurgelwasser in die falsche Kehle. Er hustete so, daß er schon zu ersticken glaubte. Acte mußte ihm auf den Rücken klopfen, und er wurde wütend und jagte sie hinaus.
»Was sagst du da über Antonia, verfluchter Verräter?« fragte Nero, als Acte gegangen war und er wieder sprechen konnte.
Ich gestand zitternd, daß ich ihm bisher Antonias Teilnahme an der Verschwörung verschwiegen hätte – aus Achtung vor ihrem Vater, dem Kaiser Claudius, der seinerzeit, als ich die Toga anlegte, bei mir Pate gestanden war und mir den Namen Lausus gegeben hatte. Nun lasse mir aber mein Gewissen keine Ruhe, und ich könne, um Neros Sicherheit willen, nicht mehr schweigen.
Ich warf mich auf die Knie nieder und erzählte, daß mich Antonia oft zur Nachtzeit habe rufen lassen und daß sie versucht habe, mich zur Teilnahme an der Verschwörung zu bewegen, indem sie mir reichen Lohn und hohe Ämter in Aussicht stellte. Sie sei der Meinung gewesen, daß ich als Freund Neros Gelegenheit hätte, einen Mord mit Gift oder Dolch zu planen.