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Immerhin zweifelte Nero selbst so sehr an der Richtigkeit seiner Wahl, daß er Vespasian aufforderte, seinen Sohn Titus mitzunehmen, der sich gleichfalls in Britannien ausgezeichnet und als ganz junger Mann einmal seinen Vater durch einen kühnen Reiterangriff aus einem Hinterhalt der Briten herausgehauen hatte. Nero hoffte, Titus werde seinen Vater durch seinen jugendlichen Eifer anspornen und ihm helfen, Jerusalem in kürzester Zeit zu erobern.

Er ermahnte Vespasian jedoch, unnötige Verluste zu vermeiden, denn er hatte von den starken Mauern Jerusalems gehört. Die Lage der Stadt war in militärischer Hinsicht so vorteilhaft, daß es sogar Pompejus seinerzeit schwergefallen war, Jerusalem einzunehmen, und Vespasian war nach Neros eigener Ansicht mit Pompejus nicht zu vergleichen.

Ich fand in Korinth Gelegenheit, wieder Verbindungen mit meinem früheren Befehlshaber anzuknüpfen, und bot ihm freien Aufenthalt in dem neuen prächtigen Haus meines Freigelassenen Hierax. Vespasian war mir dafür sehr dankbar. Ich war überhaupt auf der ganzen Reise der einzige Mann von Rang, der den einfachen, kriegsmüden Vespasian anständig behandelte.

Ich bin, was meine Freundschaften anbelangt, weder voreingenommen noch sonderlich wählerisch. Das dürfte mein Lebenslauf bewiesen haben. In meinen Augen waren die unbeschwerten Jugendjahre, die ich unter seinem Befehl in Britannien verbracht hatte, ein hinreichender Grund, seine barsche Freundlichkeit durch eine Gastlichkeit zu vergelten, die mich nichts kostete.

Es ist in diesem Zusammenhang vielleicht angebracht, noch einmal darauf hinzuweisen, dal? ich bei der Aufdeckung der Pisonischen Verschwörung alles tat, um die Flavier zu schonen, was wegen des Mordplans des Flavius Scevinus wahrhaftig nicht leicht war. Zum Glück gehörte er einer eher verachteten Seitenlinie dieses Geschlechtes an. Ich hatte ihn selbst angezeigt und hatte daher ein gewisses Recht, für die anderen Flavier ein gutes Wort einzulegen.

Auf Vespasian fiel nie der Schatten eines Verdachts, denn er war so arm, daß er seine Stellung als Senator nur mit knapper Not zu halten vermochte. Ich hatte eines meiner Landgüter auf seinen Namen überschreiben lassen, als die Zensoren bemerkten, daß er die Vermögensbedingungen nicht mehr erfüllte. Außerdem kannte man ihn allgemein als einen so rechtschaffenen Mann, daß es der schäbigste Verräter nicht der Mühe wert fand, seinen Namen auf eine Liste zu setzen.

Ich erwähne all dies, um zu zeigen, wie fest ich seit jeher mit den Flaviern verbunden war und welchen Wert Vespasian schon zu einer Zeit auf meine Freundschaft legte, da einer von Neros Sklaven ihm noch ungestraft vor die Füße spucken durfte, obwohl er Senator war und den Konsulsrang innehatte. Und meine Freundschaft war ganz uneigennützig. Den Traum, den ich damals gehabt hatte, als die Druiden mich in Schlaf versenkten, hatte ich längst vergessen, aber das wird mir natürlich niemand glauben, denn ich gelte als ein Mann, der immer und überall auf seinen eigenen Vorteil bedacht ist. So stellt mich ja auch das Spottgedicht Deines Freundes dar.

Im Haus des Hierax hatte ich Gelegenheit genug, festzustellen, daß »manche Menschen ungeschliffenen Edelsteinen gleichen, indem sie nämlich unter der rauhen Oberfläche glänzende Eigenschaften verbergen«, wie Dein bärtiger junger Freund Juvenal gerade unlängst erst schrieb, um dem Kaiser Vespasian zu schmeicheln. Ich kenne diesen Burschen durch und durch. Er hat allen Grund, nach der Gunst des Kaisers zu streben, denn seine ungebührliche Sprache und seine frechen Spottverse haben Anstoß erregt. Nicht bei mir, denn er ist ja Dein Freund. Nach der Art junger Menschen bewunderst Du den, der die loseste Zunge hat. Denk aber wenigstens daran, daß Du vier Jahre jünger bist als dieser ungewaschene Lümmel.

Wenn ich eines mit Sicherheit sagen kann, so ist es das, daß Juvenals unanständige Verse bald vergessen sein werden. Ich habe schon so manchen heller strahlenden Stern als den seinen aufflammen und wieder verlöschen sehen. Außerdem werden ihm seine alberne Trunksucht, seine Unverschämtheit, seine üble Gewohnheit, die Nacht zum Tag zu machen, und dieses ständige Geklimper mit ägyptischen Spielwerken bald noch den letzten Rest echter dichterischer Begabung austreiben, den er vielleicht noch besitzen mag.

Ich schreibe das nicht, weil Du ein Spottgedicht bei mir liegen ließest, das ein verachtungswürdiger junger Mann über mich geschrieben hat, weil ich es nicht mit meinem Gewissen vereinbaren konnte, seine Versuche in meinem Verlag erscheinen zu lassen. Nein, so einfältig bin ich nicht. Ich mache mir nur ernste Sorgen um Dich, mein Sohn.

In Korinth gewann ich Vespasians Freundschaft in dem Maße, daß er mich, ehe er nach Ägypten reiste, um die beiden Legionen zu übernehmen, die dort in Garnison lagen, eindringlich bat, ihm meine Sachkenntnis und meine guten Beziehungen zu den Juden zur Verfügung zu stellen und ihn ins Feld zu begleiten. Ich mußte höflich ablehnen. Es handelte sich ja damals um, keinen wirklichen Krieg, sondern nur um eine Strafexpedition gegen aufrührerische Untertanen.

Als Vespasian abgereist war, ließ Nero, um seine Absichten zu tarnen, die Prätorianerlegion bei Korinth einen Kanal graben. Dieses Unternehmen war auf seinen Befehl schon früher in Angriff genommen worden, hatte aber wieder aufgegeben werden müssen, weil sich die unheimlichsten Dinge ereigneten. Die tagsüber ausgehobenen Gräben füllten sich während der Nacht mit Blut, und im Dunkeln konnte man entsetzliche Klagerufe hören, die bis in die Stadt hinüberhallten und den Korinthern Angst und Schrecken einjagten. Das ist die reine Wahrheit und kein dummes Geschwätz. Ich weiß es nämlich aus der sichersten Quelle, die es in diesem Falle gibt.

Hierax hatte im Zuge seiner glänzenden Geschäfte auch sehr einträgliche Anteile an der Gleitbahn erworben, auf der die Schiffe über die Landenge getreidelt wurden. Es versteht sich von selbst, daß die Besitzer dieser Bahn, die beträchtliche Gelder investiert hatten – nicht zuletzt in die kräftigen Sklaven, die zu dieser Arbeit erforderlich waren –, von einem Kanal nichts wissen wollten. Hierax hatte jederzeit frisches Blut in großen Mengen, denn er verkaufte in seinen wassergekühlten Fleischläden auch an Juden und mußte daher die Schlachttiere, so wie es die Juden verlangten, vollständig ausbluten lassen, bevor sie zerteilt wurden.

Aus diesem Blut, das in Blasen aufbewahrt wurde, ließ er gewöhnlich Blutwürste für die Sklaven in seiner Kupfergießerei braten. Auf den Rat seiner Geschäftsfreunde hin opferte er, ohne auf seinen eigenen Vorteil zu sehen, das während mehrerer Tage anfallende Blut und ließ es in den Nächten in die Gräben auf dem Bauplatz schaffen. Für das Seufzen und Jammern der Verstorbenen sorgten seine Geschäftsfreunde. Daß sich dergleichen leicht bewerkstelligen läßt, habe ich, glaube ich, schon berichtet, als ich erzählte, wie Tullias Haus mein gesetzliches Eigentum wurde.

Nero verriet ich selbstverständlich nichts von dem, was mir Hierax anvertraute, und ich hatte ja auch keinen Grund, den Kanalbau zu unterstützen. Als sich die Prätorianer weigerten weiterzuarbeiten, weil die unheimlichen Geschehnisse sie erschreckten und körperliche Arbeit ihnen außerdem zuwider war, setzte es sich Nero erst recht in den Kopf, seinen Plan auszuführen, und grub unter großen Festlichkeiten mit eigenen Händen die erste Grube in der zukünftigen Fahrrinne. Die Prätorianer und das Volk von Korinth sahen ihm zu.

Auf seine eigenen kaiserlichen Schultern hob er den ersten Korb Erde und trug ihn tapfer an das zukünftige Kanalufer. Diese Grube füllte sich nicht mit Blut, und das nächtliche Klagegeschrei hörte auf. Die Prätorianer faßten wieder Mut und gruben weiter, und die Zenturionen erleichterten ihnen die Arbeit mit Stockhieben, um selbst nicht zur Schaufel greifen zu müssen. Das trug dazu bei, daß die Prätorianer Nero noch bitterer zu hassen begannen als den strengen Tigellinus, der sie durch gewöhnliche Übungsmärsche bestrafte. Sie gaben eben ihre letzten Kräfte lieber draußen auf den Straßen her als am Spatenstiel.