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Ich selbst hatte nach gründlicher Überlegung Hierax gebeten, kein Blut mehr in die Gräben schütten zu lassen. Meine wahren Gründe gab ich nicht preis. Ich riet ihm nur, um seiner eigenen Gesundheit willen den Verlust wie ein Mann zu tragen. Hierax befolgte meinen Rat um so lieber, als der mißtrauische Nero dazu übergegangen war, in der Nacht Wachen aufzustellen, die alle Unbefugten am Betreten des Kanalgeländes hinderten.

Hierax und seine jüdischen Verbindungen in Korinth brachten mir großen Nutzen. Ich hatte nämlich, gleich als die Nachricht vom Untergang der Legion in Judäa eintraf, allen Judenchristen eine, Warnung zugehen lassen und ihnen geraten, sich still zu verhalten, denn Nero sandte damals nach Italien und in alle Provinzen den Befehl, jeden jüdischen Aufwiegler beim geringsten Anzeichen von Unruhen sofort festzunehmen und hinzurichten.

Man konnte von einem römischen Beamten nicht gut verlangen, daß er zwischen dem himmlischen und dem irdischen Reich oder zwischen einem Christus und irgendeinem anderen Messias unterschied. Ein Aufwiegler war ein Aufwiegler. Für den Verstand eines Römers war das Wirken der Judenchristen nichts anderes als politische Hetze unter einem religiösen Deckmantel. Die Sache wurde dadurch nicht besser, daß Nero nach zahllosen Schnellverfahren und Hinrichtungen öffentlich als der Antichrist bezeichnet wurde, dessen Kommen Jesus von Nazareth prophezeit hatte. Nero nahm ihnen allerdings diesen Spitznamen nicht übel, sondern stellte lediglich fest, daß die Christen ihn offensichtlich als einen ihrem Christus ebenbürtigen Gott betrachteten, da sie ihn durch einen so großartigen Namen ehrten.

Im Grunde ist die Schwäche der Christen gerade darin zu sehen, daß sie die Politik verachten, sich jeder politischen Betätigung enthalten und ihre Hoffnung auf ein unsichtbares Reich richten, das nach allem, was ich davon verstehe, keine Gefahr für den Staat bedeutet. Deshalb haben sie, nun da ihre Führer tot sind, keine Zukunft auf dieser Welt. Ihr Glaube wird bald ganz verschwunden sein, nicht zuletzt, weil sie fortwährend Streit miteinander haben und der eine dies glaubt und der andere das und jeder seinen Glauben für den einzig richtigen hält. Das ist meine feste Überzeugung, was immer Deine Mutter behaupten mag. Eine Frau hat keinen Sinn für die politische Wirklichkeit.

Ich habe mich oft für die Christen, die beschnittenen wie die unbeschnittenen, heiser geredet, um zu beweisen, daß sie politisch harmlos sind. Doch man kann das einem Römer mit juristischer Bildung und Erfahrenheit im Amt nicht begreiflich machen. Er schüttelt nur den Kopf und verdächtigt die Christen nach wie vor aller möglichen politischen Umtriebe.

Es gelang mir zu meinem Kummer nicht, Paulus zu retten, denn seine Ruhelosigkeit zwang ihn, unaufhörlich von einem Land ins andere zu reisen. Die letzte Auskunft über ihn erhielt ich von einem meiner Ölaufkäufer in Emporiae, einer blühenden Stadt an der Nordostküste Iberiens, deren Hafen allerdings immer mehr versandet. Dort wurde Paulus von den rechtgläubigen Juden verjagt. Meinem Gewährsmann zufolge kam er jedoch einigermaßen mit heiler Haut davon.

In Iberien wie anderswo mußte er sich damit begnügen, seine Lehre in den Küstenstädten zu verkünden, die einst von Griechen gegründet wurden und in denen in der Hauptsache noch Griechisch gesprochen wird, wenngleich natürlich Gesetze und Erlässe in lateinischer Sprache in Kupfertafeln eingeritzt werden. Es gibt viele große Städte dieser Art an der iberischen Küste, so daß es Paulus an Reisezielen nie mangelte. Der Ölhändler meinte, er sei dann südwärts nach Malaca gesegelt, um von dort aus das westliche Iberien zu erreichen, denn er war noch so ruhelos wie eh und je.

Es ist daher seine eigene Schuld, daß meine Warnung ihn nicht erreichte. Man fing ihn schließlich in Troas im asiatischen Bitynien, und seine Verhaftung erfolgte so plötzlich, daß seine Schriften, seine Bücher und sein Reisemantel in seiner Herberge liegenblieben. Er hatte nach Asia reisen müssen, um die von ihm Bekehrten im Glauben zu stärken, denn sie wurden, zumindest seiner Ansicht nach, von miteinander wetteifernden Wanderpredigern zu allerlei Irrlehren verleitet. Jedenfalls nannte er so manchen einen Lügenpropheten, der wie er selbst um Christi willen Not und Entbehrungen litt und sein Leben aufs Spiel setzte, wenngleich diese Männer vielleicht nicht so tief in die göttlichen Geheimnisse Einblick hatten wie er.

Als in Rom die Nachricht eintraf, daß der Aufenthaltsort des Paulus verraten worden war, wurde augenblicklich auch das Versteck des Kephas verraten. Das glaubten die heißblütigen Anhänger des Paulus ihrem Lehrer schuldig zu sein. Kephas hatte meine Warnung rechtzeitig erhalten und sich auf den Weg nach Puteoli gemacht. Beim vierten Meilenstein auf der Via Appia war er jedoch wieder umgekehrt. Als Grund gab er an, Jesus von Nazareth habe sich ihm in seiner ganzen Herrlichkeit offenbart. Jesus hatte ihn gefragt: »Wohin gehst du, mein Fels?« Darauf hatte Kephas verlegen geantwortet, er fliehe aus Rom. Da hatte der Nazarener betrübt gesagt: »So will ich selbst nach Rom gehen, um zum zweiten Male gekreuzigt zu werden.«

Kephas schämte sich und kehrte demütig nach Rom zurück, gewiß auch glücklich darüber, daß er seinen Meister noch einmal hatte sehen dürfen. Kephas war in seiner Einfachheit der erste von allen Jüngern gewesen, der in Jesus von Nazareth Gottes Sohn erkannt hatte. Deshalb hatte ihn sein Lehrer so liebgewonnen und ihn den Ersten unter seinen Jüngern genannt – nicht seiner Körperkräfte und seines Feuergeistes wegen, wie viele noch immer glauben.

Ich berichte, was ich gehört habe, und die Geschichte wird auch anders erzählt. Das Wesentliche scheint mir jedoch zu sein, daß Kephas auf der Via Appia ein Gesicht oder eine Offenbarung irgendwelcher Art hatte. Das machte es ihm möglich, sich zuletzt doch noch mit Paulus auszusöhnen, ehe sie beide starben. Paulus hatte ja Jesus von Nazareth nie in Fleisch und Blut gesehen. Auf seine Offenbarung anspielend, hatte Kephas eines Tages, von Neid ergriffen, gesagt, er brauche nicht zu erfundenen Geschichten Zuflucht zu nehmen, denn er habe Jesus von Nazareth gekannt, als er noch auf Erden lebte. Diese Worte fielen, als die beiden einander noch voll Eifer zu überbieten trachteten. Nun aber, nachdem er selbst eine echte Offenbarung erlebt hatte, schämte sich Kephas seiner Anschuldigungen und bat Paulus um Verzeihung.

Es tat mir leid um diesen einfachen Fischer, der nach mehr als zehn Jahren in Rom weder die lateinische noch die griechische Sprache erlernt hatte, so daß er ohne Dolmetsch hilflos und verloren war. Es gab deshalb übrigens auch viele Mißverständnisse, und man behauptete sogar, er zitiere falsch oder zumindest sehr ungenau aus den heiligen Schriften der Juden, um zu beweisen, daß Jesus von Nazareth der wahre Messias oder Christus sei. Als wäre das für die, welche an ihn glaubten, so wichtig gewesen! Die Judenchristen haben jedoch die unausrottbare Gewohnheit, ständig mit ihrer Gelehrsamkeit zu prunken, um Wörter und ihre Bedeutung zu streiten und sich in allem auf die heiligen Schriften zu berufen.

Das wäre Grund genug, diese nach und nach ins Lateinische übersetzen zu lassen, damit sie eine endgültige, eindeutige Form erhalten. Dazu eignet sich nämlich unsere Sprache vorzüglich. Man brauchte sich dann endlich nicht mehr über den richtigen Inhalt der Worte zu streiten, wovon man nur Kopfschmerzen bekommt.

Doch ich will meinen Bericht fortsetzen. Von denen, die sozusagen den inneren Kreis der Anhänger Christi bildeten, gelang es mir nur, einen gewissen Johannes zu retten, der während der Judenverfolgungen nach Ephesus geflohen war. Ich bin selbst nie mit ihm zusammengetroffen, aber er soll ein milder, sanftmütiger Mann sein, der sich damit die Zeit vertreibt, seine Erinnerungen niederzuschreiben und die Christen miteinander zu versöhnen. Mein Vater mochte ihn gern. Auch er wurde in dieser Zeit des Hasses und des Verrats angezeigt, aber der Prokonsul in Asia war zufällig ein Freund von mir und begnügte sich damit, ihn auf eine Insel im Meer zu verbannen.