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Kephas wäre aber nicht Kephas gewesen, wenn er nicht schroff geantwortet hätte, er sei durchaus imstande, das Kreuz auf seinen breiten Schultern zu tragen, und brauche keine Hilfe. Auch wollte er nicht neben mir. sitzen, sondern auf seinem letzten Gang noch einmal den Staub der Straße unter seinen Füßen und die heiße Sonne auf seinem Kopf spüren wie damals vor langer Zeit, als er Jesus von Nazareth über die Straßen Galiläas folgte. Er wollte nicht einmal, daß man den Strick losband, an dem er geführt wurde, sondern behauptete, Jesus von Nazareth habe ihm gerade dies vorausgesagt, und die Prophezeiung müsse erfüllt werden. Gleichwohl stützte er sich müde auf seinen abgenutzten Hirtenstab.

Als wir zur Richtstätte kamen, die in der Sonnenhitze stank, fragte ich Kephas, ob er wünsche, vorher gegeißelt zu werden. Es ist dies eine Barmherzigkeit, die man den Verurteilten vor der Kreuzigung angedeihen läßt, um Wundfieber hervorzurufen und den Tod zu beschleunigen, aber viele Barbaren verstehen es falsch und legen es uns als Grausamkeit aus. Kephas antwortete, er brauche die Geißelung nicht, sondern habe seine eigenen Pläne, aber gleich darauf bereute er seine Worte und sagte, er wolle demütig den Weg zu Ende gehen wie so viele andere Zeugen vor ihm, und auch Jesus von Nazareth sei gegeißelt worden.

Er schien es jedoch nicht eilig zu haben. Ich sah den Schimmer eines Lächelns in seinen Augen, als er sich an seine Begleiter Marcus und Linus wandte und sagte: »Hört mich an, ihr beiden. Hör mich an, Marcus, obgleich ich dir dies schon unzählige Male gesagt habe. Hör auch du mich an, Minutus, wenn du magst. Jesus sagte: ›Das Reich Gottes ist so, wie wenn ein Mensch Samen aufs Land wirft und schläft und steht auf, Nacht und Tag. Und der Same geht auf und wächst, er aber weiß nicht, wie. Denn die Erde bringt von selbst zuerst das Gras, danach die Ähren, danach den vollen Weizen in den Ähren. Wenn aber die Saat reif ist, schickt er die Sichel, denn die Ernte ist da.‹«

Er schüttelte ungläubig den Kopf, Tränen der Freude tanzten ihm in den Augen, er lachte und rief: »Und ich einfältiger Mensch habe nichts begriffen, obgleich ich seine Worte immerzu wiederholt habe. Jetzt erst verstehe ich. Die Saat ist reif, und die Sichel ist da.«

Mit einem Blick auf mich segnete er sodann Linus, reichte ihm seinen abgenutzten Stab und sagte: »Hüte meine Schafe.« Es war, als hätte er gewollt, daß ich dies sähe und bezeugte. Dann erst wandte er sich demütig den Soldaten zu.

Die Soldaten banden ihn an einen Pfahl und begannen ihn zu geißeln. Trotz seinen Körperkräften vermochte er ein schweres Stöhnen nicht zu unterdrücken. Bei dem Klatschen der Geißelhiebe und dem Stöhnen erwachte einer der am vorangegangenen Tag gekreuzigten Juden aus seinen Todeszuckungen, schlug die fieberglänzenden Augen auf, daß die Fliegen aufschwärmten, und erkannte Kephas. Und noch am Kreuz konnte es dieser zählebige, echte Jude nicht unterlassen, über Jesus von Nazareth und seine Behauptung, er sei der Christus, zu spotten. Er forderte Kephas mit Zitaten aus den heiligen Schriften der Juden zu einem Streitgespräch heraus, aber danach verspürte Kephas kein Verlangen mehr.

Er sagte nach der Geißelung den Soldaten, man solle ihn mit dem Kopf nach unten ans Kreuz schlagen, denn er sei nicht würdig, mit dem Kopf gen Himmel gekreuzigt zu werden wie sein Herr Jesus Christus, Gottes Sohn. Ich mußte mein Lächeln in einem Zipfel meines Mantels verbergen.

Bis zu seiner letzten Stunde blieb Kephas der echte, alte Kephas, dessen gesunder Fischerverstand vonnöten war, um das Reich zu errichten. Ich verstand, warum Jesus von Nazareth ihn geliebt hatte, und liebte ihn in dieser Stunde selbst. Die gesunde Vernunft sagt einem ja, daß ein alter Mann unvergleichlich leichter stirbt, wenn er mit dem Kopf nach unten gekreuzigt wird, so daß sich das Blut im Kopfe staut und die Adern sprengt. Barmherzige Ohnmacht rettet ihn dann vor tagelangem Leiden.

Die Soldaten lachten und erfüllten ihm gerne seinen Wunsch, weil sie sofort begriffen, daß sie sich auf diese Weise das lange Wachestehen in der heißen Sonne ersparten. Als Kephas schon am Kreuz hing, tat er den Mund auf und schien etwas singen zu wollen, obgleich er dazu meiner Meinung nach wirklich keine Ursache haben konnte.

Ich fragte Marcus, was Kephas noch zu sagen versuche. Marcus erklärte mir, er singe einen Psalm, in dem Gott seine Getreuen zu grünen Auen und frischen Quellen führt. Zu meiner Freude brauchte Kephas nicht mehr lange auf seine grünen Auen zu warten. Als er das Bewußtsein verloren hatte, blieben wir noch eine Weile bei ihm stehen. Dann bat ich, von dem Gestank und den Fliegen ungeduldig geworden, den Zenturio, seine Pflicht zu tun. Er befahl einem Soldaten, Kephas mit einem scharfkantigen Brett die Schienbeine zu brechen, und stieß ihm selbst das Schwert in die Kehle, indem er scherzend sagte, dies sei eine Schlachtung nach jüdischem Brauch, da das Blut ablaufe, ehe das Leben entfliehe. Es rann viel Blut aus dem alten Mann. Marcus und Linus versprachen, dafür zu sorgen, daß sein Leichnam begraben wurde, und zwar auf einer Begräbnisstätte hinter dem Amphitheater, die heute nicht mehr in Gebrauch ist. Es war nicht weit dorthin. Linus weinte, aber Marcus hatte längst alle seine Tränen geweint und war ein gleichmütiger, zuverlässiger Mann. Er bewahrte seine Fassung, aber seine Augen blickten in eine andere Welt, von der ich nichts sah.

Du wirst dich fragen, warum ich lieber Kephas begleitete als Paulus, denn Paulus war doch römischer Bürger und Kephas nur ein alter jüdischer Fischer. Vielleicht beweist mein Verhalten, daß ich nicht immer nur auf meinen Gewinn sehe. Ich mochte Kephas am liebsten, weil er ein aufrichtiger, einfacher Mann war. Außerdem hätte Claudia nie geduldet, daß ich die beiden auf ihrem letzten Gang im Stich gelassen hätte, und was tue ich nicht um des Hausfriedens willen!

Später bekam ich Streit mit Lucas, denn er verlangte den aramäischen Bericht zu sehen, den ich von meinem Vater geerbt und den ein Zöllner geschrieben hatte. Ich schlug es ihm ab. Lucas hatte zwei Jahre Zeit gehabt, mit Augenzeugen zu sprechen, während Paulus unter dem Prokurator Felix in Caesarea gefangensaß. Ich war nicht der Meinung, daß ich ihm irgend etwas schuldete.

Zudem war Lucas ein recht ungeschickter Arzt, obwohl er in Alexandria studiert hatte. Mein Magenleiden hätte ich ihn nie behandeln lassen. Ich habe ihn im Verdacht, daß er dem Paulus nur wegen dessen Wunderheilungen so eifrig folgte, entweder um selbst diese Kunst zu erlernen, oder weil er seine eigene Unfähigkeit in aller Bescheidenheit einsah. Schreiben konnte er freilich, wenngleich nicht nach der Art gebildeter Griechen, sondern in einem Marktdialekt. Marcus ist mir immer lieb gewesen, aber noch lieber ist mir mit den Jahren Linus geworden, der jünger ist. Ich war ja trotz allem gezwungen, ein wenig Ordnung in die Angelegenheiten der Christen zu bringen, sowohl um ihrer selbst willen als auch um öffentlichen Streit zu verhindern. Kephas hatte seinerzeit eine Einteilung nach Stämmen eingeführt und versucht, die streitenden Parteien miteinander zu versöhnen, aber ein ungebildeter Mann wie er hatte natürlich keine wirklichen politischen Fähigkeiten.

Dem Cletus habe ich dafür, daß er im Prätorianerlager so mutig aufgetreten war, eine juristische Ausbildung bezahlt. Vielleicht gelingt es ihm eines Tages, eine wirkliche Ordnung unter den Christen zu errichten. In diesem Falle würdest Du in ihnen eine Stütze haben. Ich mache mir jedoch keine allzu großen Hoffnungen. Sie sind, was sie sind.

Ich bin wieder ein wenig zu Kräften gekommen, und die Ärzte geben mir neue Hoffnung. Bald werde ich aus diesem nach Schwefel riechenden Kurort, den ich schon nicht mehr sehen mag, nach Rom zurückkehren dürfen. Um meine wichtigsten Geschäfte habe ich mich auch hier gekümmert, ohne daß die Ärzte es wußten, aber nun will ich wieder einmal einen guten Wein schmecken, und nach all dem Fasten und Wassertrinken werde ich mehr Wert denn je zuvor auf die Kunst meiner beiden Köche legen. Deshalb will ich rasch fortfahren. Das Schlimmste habe ich zum Glück hinter mir.