Als ich von den heimlichen Unternehmungen des Julius Vindex, des Proprätors in Gallien, hörte, deutete ich, ohne zu zögern, die Zeichen der Zeit. Ich war schon früher der Ansicht gewesen, daß Piso Erfolg hätte haben können, wenn er nicht in seiner Eitelkeit geglaubt hätte, er brauche die Legionen nicht. Nach dem plötzlichen Tod des Corbulo und des Ostorius erwachten die Befehlshaber der Legionen endlich aus ihrem Schlaf und begriffen, daß weder Kriegsruhm noch bedingungslose Treue imstande waren, einen Mann vor den Launen Neros zu retten. Ich hatte es geahnt, als ich Korinth verließ.
Ich begann nun rasch, mein Eigentum durch meine Bankiers und Freigelassenen verkaufen zu lassen, und sammelte bare Goldmünzen. Selbstverständlich erregten meine großen Verkäufe, deren Ursache so mancher kluge Mann noch nicht erkannte, Aufsehen bei den Sachverständigen. Dagegen hatte ich nichts. Ich verließ mich fest darauf, daß Nero von Geschäften nichts verstand.
Mein Treiben erweckte also eine gewisse Unruhe in Rom. Die Grundstückpreise sanken beträchtlich. Ich verkaufte rücksichtslos sogar einige Landgüter, obwohl das Geld in Grund und Boden am sichersten angelegt ist und sogar Zinsen trägt, wenn das Land von zuverlässigen Freigelassenen bestellt wird. Ich kümmerte mich nicht um das Sinken der Preise. Ich verkaufte weiter und sammelte Bargeld. Ich wußte, daß ich eines Tages alles zurückgewinnen würde, wenn mein Plan gelang. Die Besorgnis, die meine Unternehmungen bei den Geldleuten erweckte, zwang sie, die politische Lage anders einzuschätzen, so daß ich auch auf diese Weise einer guten Sache zum Siege verhalf.
Claudia und Dich schickte ich auf mein Gut bei Caere, und ich beschwor Claudia, mir wenigstens dieses eine Mal Vertrauen zu schenken und dort in Sicherheit zu bleiben, bis ich ihr Botschaft schickte. Dein dritter Geburtstag war nahe, und Deine Mutter war vollauf mit Dir beschäftigt. Du warst kein artiges Kind. Ich war, um es offen zu sagen, Deines ständigen Tollens und Lärmens müde. Sobald ich den Rücken wandte, fielst Du in einen Teich oder schnittest Dich mit irgendeinem scharfen Gegenstand. Auch deshalb begab ich mich gern auf Reisen, um für Deine Zukunft zu sorgen. Claudia verzärtelte Dich so, daß es mir nicht möglich war. Deinen Charakter zu bilden. Ich mußte mich auf das Blutserbe verlassen. Wirkliche Selbstzucht erwächst einem von innen heraus. Sie läßt sich nicht aufzwingen.
Es fiel mir nicht schwer, vom Senat und von Nero die Genehmigung zu erhalten, die Stadt zu verlassen und zu Vespasian zu reisen, um ihm mit meinem Rat zur Seite zu stehen. Im Gegenteil, man lobte den Eifer, mit dem ich dem Besten des Staates zu dienen bereit war. Nero selbst war der Ansicht, es müsse ein zuverlässiger Mann ein Auge auf Vespasian haben und ihn zur Eile antreiben. Er hatte ihn im Verdacht, unnötig lange vor Jerusalems Mauern zu zaudern.
Als Senator hatte ich ein Kriegsschiff zu meiner Verfügung. Viele meiner Amtsbrüder wunderten sich sehr darüber, daß ein Mann, der wie ich die Bequemlichkeit liebte, des Nachts in einer Binsenmatte hängen mochte, von dem schlechten Essen, der Enge und dem Ungeziefer auf dem Schiff ganz zu schweigen.
Ich hatte jedoch meine Gründe, und ich fühlte mich, als meine zwanzig schweren Eisentruhen endlich an Bord waren, so erleichtert, daß ich die erste Nacht in meiner Binsenmatte wie ein Klotz schlief und erst am Morgen von dem Trampeln der Füße an Deck erwachte. Ich hatte drei treue Freigelassene bei mir, die außer der Soldatenwache abwechselnd meine Truhen bewachten.
In Caere hatte ich sogar meine Sklaven bewaffnet, denn ich hatte ihnen viel Gutes getan und durfte ihrer Ergebenheit gewiß sein. Sie enttäuschten mich auch nicht. Othos Soldaten plünderten zwar das Gut und zerschlugen meine Sammlung griechischer Vasen, von deren Wert sie keine Vorstellung hatten, aber sie taten weder Dir noch Claudia etwas zuleide, und das danke ich meinen Sklaven. Es gibt noch genug ungeöffnete Gräber aus alter Zeit in der Erde, und ich kann meine Sammlung noch immer erneuern.
Zum Glück hatten wir gutes Wetter, denn die Herbststürme hatten noch nicht eingesetzt. Ich beschleunigte die Reise so gut es ging, indem ich auf meine Kosten den Rudersklaven zu essen und zu trinken geben ließ, was den Seezenturio reiner Wahnsinn dünkte. Er verließ sich mehr auf die Peitsche und wußte, daß er die Sklaven, die er unterwegs verlor, leicht durch gefangene Juden ersetzen konnte. Ich war andrer Meinung. Ich glaube, man kann sich einen Menschen leichter im Guten gefügig machen als im Bösen. Aber ich bin immer viel zu weichherzig gewesen. Darin bin ich ganz meinem Vater nachgeraten. Erinnere Dich, daß ich Dich nicht ein einziges Mal geschlagen habe, mein widerspenstiger Sohn, obwohl es mich oft wahrhaftig in den Fingern juckte. Doch wie hätte ich einen zukünftigen Kaiser schlagen können!
Zum Zeitvertreib stellte ich während der Seereise viele Fragen über die Flotte. Unter anderem erklärte man mir, warum die Seesoldaten sowohl an Bord als auch an Land barfuß gehen müssen. Ich hatte es bis dahin nicht gewußt, sondern mich nur bisweilen gewundert. Ich dachte, es gehöre irgendwie zur Kunst des Seekriegs.
Jetzt erfuhr ich, daß Kaiser Claudius einst im Amphitheater in Zorn geraten war, als einige Seesoldaten aus Ostia, die einen Sonnenschutz über die Zuschauerbänke spannen mußten, mitten in der Vorstellung plötzlich von ihm forderten, er solle ihnen die Schuhe ersetzen, die sie auf dem Wege abgenutzt hatten. An diesem Tage verbot Claudius das Tragen von Schuhen in der gesamten Flotte, und sein Befehl wird seither treu befolgt. Wir Römer achten die Überlieferung. Ich sprach später mit Vespasian darüber, aber er meinte, es sei das beste, die Seeleute gingen auch weiterhin barfuß. Es habe ihnen bisher nicht geschadet, und nun hätten sie sich auch schon daran gewöhnt. »Die Flotte verschlingt ohnehin schon zuviel Geld«, sagte er. »Warum sollten wir zusätzliche Ausgaben schaffen?« So kommt es, daß die Seezenturionen es noch, immer als eine Ehre betrachten, barfuß zum Dienst an Bord der Schiffe zu gehen, obwohl sie gern weiche Paradestiefel tragen, wenn sie Landurlaub haben.
Ein schwerer Stein fiel mir vom Herzen, als ich meine kostbaren Truhen, nachdem sie so lange den Gefahren des Meeres ausgesetzt gewesen, einem bekannten Bankier in Caesarea in Verwahrung geben konnte. Die Bankiers müssen sich einer auf den anderen verlassen können, denn sonst wäre es nicht möglich, in großem Maßstab und über weite Strecken Handel zu treiben. Ich vertraute diesem Mann, obwohl ich ihn nicht persönlich, sondern nur aus Briefen kannte. Sein Vater war jedoch einst der Bankier meines Vaters in Alexandria gewesen. Auf diese Weise waren wir sozusagen alte Geschäftsfreunde.
Caesarea war zudem vor Unruhen sicher, denn die griechische Bevölkerung der Stadt hatte die Gelegenheit benutzt, alle Juden, Frauen und Wickelkinder mitgerechnet, zu erschlagen. Die Stadt bot ein durchaus friedliches Bild, wenn man von dem regen Schiffsverkehr und den bewachten Maultierkarawanen absah, die die Legionen vor Jerusalem mit Nachschub versorgten. Joppe und Caesarea waren Vespasians wichtigste Stützhäfen.
Auf dem Wege ins Kriegslager sah ich, wie hoffnungslos die Lage für die noch verbliebene jüdische Bevölkerung war. Auch die Samariter hatten sich eingemischt und reinen Tisch gemacht. Die Legionäre ihrerseits unterschieden nicht zwischen Galiläern und Samaritern oder Juden ganz allgemein gesprochen. Das fruchtbare Galiläa mit seiner Millionenbevölkerung war zum bleibenden Schaden für das Römische Reich verwüstet. Es gehörte allerdings genaugenommen nicht uns, sondern war um alter Freundschaft willen Herodes Agrippa überlassen worden.
Ich kam darauf zu sprechen, sobald ich bei Vespasian und Titus eintraf. Sie empfingen mich sehr herzlich, weil sie neugierig waren, zu hören, was in Gallien und Rom vorging. Vespasian erklärte mir, daß die Legionäre über den zähen Widerstand der Juden erbittert waren und schwere Verluste durch Aufständische erlitten hatten, die die Straßen von den Bergen herunter angriffen. Er war daher gezwungen gewesen, den Befehlshabern weitgehende Vollmachten zu gewähren und ihnen zu gestatten, auf ihre Weise den Frieden im Lande herzustellen. Soeben war eine Strafexpedition zu einem der bewaffneten Stützpunkte der Juden am Toten Meer unterwegs. Pfeile waren von dessen Turm abgeschossen worden, und sicheren Angaben zufolge hatten verwundete Aufständische dort Zuflucht gefunden.