Ich erwähne diesen Josephus eigentlich nur, weil er in seiner Unterwürfigkeit zu Vespasian hielt und sich meinem Plan widersetzte. Er lachte höhnisch und behauptete, ich wüßte vermutlich nicht, in was für ein Wespennest ich meinen Kopf steckte. Wenn es mir wirklich gelänge, die Stadt zu betreten, so käme ich lebend nimmermehr heraus. Nach vielen Einwänden und Ausflüchten gab er mir aber doch einen Plan der Stadt, den ich genau auswendig lernte, während ich mir den Bart wachsen ließ.
An und für sich war ein Bart keine sichere Maskierung, da auch viele Legionäre sich nach dem Vorbild ihrer Gegner Barte wachsen ließen und Vespasian sie nicht dafür bestrafte. Er erlaubte den Legionären sogar, sich von der Prügelstrafe freizukaufen, und das war mit ein Grund für seine Beliebtheit. Außerdem konnte er gerade in diesem Punkt nicht auf strenge Einhaltung der römischen Dienstvorschriften pochen, denn sein eigener Sohn Titus hatte sich, um der schönen Berenike zu gefallen, einen seidenweichen Bart wachsen lassen. Mit der Begründung, daß ich die sicherste Stelle und einen toten Winkel suchen mußte, in dem ich die Stadt erreichen konnte, unternahm ich lange Streifzüge durch die Umgebung Jerusalems und hielt mich immer gerade noch innerhalb der Schußweite der feindlichen Bogen und Wurfmaschinen, obwohl ich natürlich Deinetwegen mein Leben nicht leichtsinnig aufs Spiel setzte. Ich trug einen dicken Harnisch und einen Helm, und diese Rüstung machte mich, da ich einiges Fett angesetzt hatte, keuchen und schwitzen. Ich magerte jedoch in diesen Tagen ab, so daß die Riemen zuletzt nicht mehr spannten. Das war nur gut für meine Gesundheit.
Auf meinen Wanderungen fand ich auch die jüdische Richtstätte, auf der man Jesus von Nazareth gekreuzigt hatte. Der Hügel hat wirklich, so wie man es mir berichtet hatte, die Form eines Totenschädels, und danach hat er auch seinen Namen. Ich suchte nach dem Felsengrab, aus dem Jesus von Nazareth am dritten Tag von den Toten auferstanden ist. Die Suche fiel mir nicht schwer, denn die Belagerer hatten die Bäume umgehauen und die Büsche ausgerissen, damit sich kein Späher aus der Stadt schleichen konnte, aber ich fand viele Felsengräber und wußte nicht, welches das rechte war. Die Schilderungen meines Vaters waren, was die Einzelheiten anbelangt, ziemlich unbestimmt gewesen.
Wenn ich mich so mit klirrender Rüstung und keuchendem Atem dahinschleppte, lachten mich die Legionäre aus und versicherten mir, ich würde nicht einen einzigen toten Winkel finden, in dem ich die Mauern Jerusalems erreichen könnte. Die Parther hätten die Befestigungen viel zu geschickt angelegt. Im übrigen verspürten die Legionäre keine Lust, mich mit einem Schilddach zu schützen, denn diese sogenannten Schildkröten wurden von den Mauern herab mit geschmolzenem Blei begossen. Sie fragten mich spöttisch, warum ich nicht den Roßschweif auf dem Helm trüge und sie durch den Anblick meines breiten roten Streifens auf dem Mantelsaum erfreute. So wahnsinnig war ich denn doch nicht, und ich hatte alle Achtung vor den parthischen Bogenschützen. Ich ließ sogar meine roten Stiefel in meinem Zelt, um nicht mit meinem Rang zu prahlen.
Solange ich lebe, werde ich den Anblick des Tempels nicht vergessen, der sich auf seinem Hügel strahlend über die Mauern der Stadt erhob, blau in der Morgendämmerung, blutrot bei Sonnenuntergang, wenn es im Tal schon dunkel geworden war. Der Tempel des Herodes war wirklich eines der Wunder der Welt. Nach jahrzehntelanger Arbeit wurde er endlich kurz vor seiner Zerstörung fertig. Kein Menschenauge wird ihn mehr erblicken. Doch die Juden sind selbst schuld daran, daß er verschwinden mußte. Ich mochte nicht dabeisein, als er zerstört wurde. Er war zu herrlich gewesen.
Daß ich mich in dieser Zeit viel mit Glaubensdingen beschäftigte, kam wohl daher, daß ich mich um Deiner Zukunft willen ständig großer Gefahr aussetzte und deshalb auf eine Weise weich und rührselig gestimmt war, die einem Manne meines Alters übel anstand. Als ich an Jesus von Nazareth und die Christen dachte, beschloß ich für mich selbst, ihnen nach bestem Vermögen zu helfen, sich von dem jüdischen Ballast zu befreien, den sie trotz all dem Glaubenseifer des Paulus und den vielen Änderungen, die Kephas eingeführt hatte, noch immer wie Ketten mit sich schleppten.
Nicht, daß ich den Christen ernstlich eine politische Zukunft gegeben hätte! Nein, dazu sind sie zu uneins und zu bitter miteinander verfeindet. Aber ich hege um meines Vaters willen eine gewisse Schwäche für Jesus von Nazareth und seine Lehre. Als mich mein Magenleiden am schlimmsten peinigte, ein Jahr ist es jetzt etwa her, da wäre ich sogar bereit gewesen, ihn als Gottes Sohn und Erlöser der Menschheit anzuerkennen, wenn er sich meiner erbarmt hätte.
An den Abenden trank ich fleißig aus dem Holzbecher meiner Mutter, denn ich brauchte Glück bei meinem gefährlichen Unternehmen. Vespasian hatte immer noch den zerbeulten Silberbecher seiner Großmutter. Er erinnerte sich noch gut an meinen einfachen Holzbecher, aus dem er damals in Britannien getrunken hatte, und gestand mir, er habe schon in jener Stunde eine väterliche Neigung zu mir gefaßt, weil ich das Andenken meiner Mutter ehrte und nicht Silberteller und Goldbecher mit ins Feld nahm, wie es so viele junge Ritter taten. Derlei Schätze führen den Feind nur in Versuchung, sagte er, und fallen zuletzt den Plünderern in die Hände. Zum Zeichen unserer Freundschaft tranken wir abwechselnd ein jeder aus dem heiligen Becher des andern, denn ich hatte guten Grund, Vespasian einen Schluck aus Fortunas Becher nehmen zu lassen. Er brauchte Glück, soviel ein Mensch nur haben kann.
Ich überlegte, ob ich es wagen sollte, jüdische Kleider anzuziehen, wenn ich in die Stadt floh, aber ich fand dann doch, das wäre ein wenig übertrieben gewesen. Man hatte allerdings zur Warnung schon viele jüdische Handelsleute im Lager gekreuzigt, die im Schutz der Dunkelheit zu den Mauern zu schleichen versucht hatten, um unsere Pläne und neuen Belagerungsmaschinen zu verraten.
Als ich endlich an der Stelle, die ich mir ausgesucht hatte, am hellichten Tage auf die Mauern zurannte, trug ich Helm, Brustharnisch, Kettenhemd und Beinschienen. Ich hoffte, daß die Rüstung mich auch gegen die Hiebe schützen werde, die ich gewiß zunächst einmal abbekam, wenn es mir gelang, die Stadt zu betreten. Unsere Wachtposten hatten Befehl erhalten, mir mit Pfeilen nachzuschießen und die Juden durch großen Lärm auf meinen Versuch aufmerksam zu machen.
Sie führten ihren Befehl so eifrig aus, daß ich einen Pfeil in die eine Ferse bekam und seitdem gar auf beiden Beinen hinke. Ich beschloß, mir diesen übereifrigen Bogenschützen vorzunehmen, wenn ich lebendig zurückkam, und dafür zu sorgen, daß er für seinen Verstoß gegen einen klaren Befehl so streng wie möglich bestraft wurde. Er hatte den Befehl gehabt, an mir vorbeizuschießen – wenn auch so knapp wie möglich. Als ich dann aber glücklich zurückgekehrt war, war ich so zufrieden, daß ich mir nicht die Mühe machen mochte, nach dem ungeschickten Schützen zu suchen. Meine Verwundung trug übrigens nur dazu bei, daß die Juden mir meine Geschichte glaubten. Außerdem rechnete man sie mir später, als mein innigster Wunsch in Erfüllung ging, als Verdienst an.
Nachdem sie mich eine Weile geschmäht hatten, wehrten die Juden mit Pfeilen und Wurfsteinen einen Trupp Legionäre ab, der mir nachgestürzt war und mich gefangenzunehmen versuchte. Zu meinem Kummer kamen bei diesem Auftrag zwei ehrliche Legionäre ums Leben, für deren Familien ich später sorgte. Sie gehörten der fünfzehnten Legion an, die aus Pannonien gekommen war, und durften nie den geliebten schlammigen Strand der Donau wiedersehen, sondern mußten meinetwegen ihr Leben im Lande der Juden lassen, das sie wohl schon tausendmal verflucht hatten.