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Auf meine eifrigen Bitten hin ließen die Juden endlich einen Korb an der Mauer herunter und zogen mich hinauf. Als ich in dem schaukelnden Korb saß, war meine Angst am größten, so daß ich mir, vor Furcht ganz wirr, den Pfeil aus der Ferse riß, ohne daß es schmerzte. Die Widerhaken blieben stecken, und die Wunde begann zu eitern, weshalb ich mich nach meiner Rückkehr ins Lager dem Feldscher ausliefern mußte. Da schrie ich dann freilich aus vollem Hals vor Schmerzen. Ich hatte ja schon einmal mit einem Feldscher schlimme Erfahrungen gemacht, und das hätte mir eine Warnung sein müssen.

Dennoch war diese Wunde meine einzige Hoffnung. Nachdem sie ihrem Zorn über meine römische Kleidung Luft gemacht hatten, gaben die Juden mir endlich Gelegenheit, zu erklären, daß ich beschnitten war und zum jüdischen Glauben übergetreten sei. Sie untersuchten die Sache sogleich und behandelten mich danach ein wenig besser. Ich erinnere mich aber nur ungern an das peinliche Verhör, das der jüdisch gekleidete parthische Zenturio mit mir anstellte, bevor er mich den richtigen Juden überließ.

Ich will in diesem Zusammenhang nur erwähnen, daß ausgerissene Daumennägel ziemlich rasch wieder nachwachsen. Meine Daumennägel wurden mir allerdings später nicht als Verdienst angerechnet. In diesen Dingen sind die Kriegsgesetze sehr unzulänglich. Ich hatte von meinen Daumen viel mehr Beschwer als von meinen Streifzügen in Reichweite der Wurfmaschinen. So etwas wird einem aber angerechnet!

Dem Hohen Rat der Aufständischen konnte ich einen Brief und eine geheime Verhandlungsvollmacht von der Julius-Caesar-Synagoge vorweisen. Ich hatte diese wertvollen Schriftstücke in meinen Kleidern versteckt und nicht einmal Vespasian gezeigt, da man sie mir gegeben hatte, weil man mir voll und ganz vertraute. Die Parther konnten sie nicht lesen, denn sie waren in der heiligen Sprache der Juden geschrieben und mit dem Davidstern gesiegelt.

Der Rat der Synagoge, der immer noch der einflußreichste in ganz Rom ist, berichtete in dem Brief von den großen Verdiensten, die ich mir um die Juden Roms nach dem Aufstand in Jerusalem erworben hatte. Sie hatten sogar die Hinrichtung des Paulus und des Kephas als eines meiner Verdienste aufgezählt, da sie wußten, daß die Juden Jerusalems diese beiden Männer ebensosehr haßten wie sie. Im Hohen Rat war man neugierig auf genaue Berichte über die Geschehnisse in Rom, denn man hatte seit mehreren Monaten nur durch ägyptische Tauben spärliche Nachrichten erhalten. Titus versuchte diese Tauben durch seine gezähmten Habichte abzufangen, und anderen drehten die hungernden Bewohner Jerusalems den Kragen um, bevor sie mit ihrer Botschaft den Taubenschlag im Vorhof des Tempels erreichten.

Ich verriet nicht, daß ich Senator war, sondern gab mich für einen einflußreichen Ritter aus, denn ich wollte die Juden nicht allzusehr in Versuchung führen. Meine Vollmacht war entsprechend abgefaßt. Ich versicherte, daß ich als Neubekehrter – und als solchen wies mich meine Narbe aus – alles für Jerusalem und den heiligen Tempel tun wollte. Deshalb hatte ich mich den Truppen Vespasians als Kriegstribun angeschlossen und ihn glauben lassen, ich könnte ihm als Kundschafter wertvolle Nachrichten aus Jerusalem verschaffen. Ich gestand, daß der Pfeilschuß in die Ferse ein Versehen war und daß auch der Versuch, mich wieder einzufangen, nur dazu dienen sollte, die Juden hinters Licht zu führen.

Meine Aufrichtigkeit machte so tiefen Eindruck auf den Rat der Juden, daß man mir so weit vertraute, wie es im Kriege statthaft ist, jemandem zu vertrauen. Ich durfte mich ziemlich frei in der Stadt bewegen, immer in Begleitung einiger bärtiger Leibwächter mit brennenden Augen, die ich mehr fürchtete als die hungrigen Bewohner der Stadt. Auch den Tempel durfte ich betreten, da ich beschnitten war. Auf diese Weise bin ich einer der letzten, die den Tempel zu Jerusalem in seiner unglaublichen Pracht von innen gesehen haben.

Mit eigenen Augen konnte ich mich davon überzeugen, daß der siebenarmige goldene Leuchter, die goldenen Gefäße und das goldene Schaubrot – sie allein schon ein ungeheures Vermögen – sich noch an ihrem Platz befanden. Niemand schien daran zu denken, sie zu verstecken, so sehr verließen sich diese wahnsinnigen Eiferer auf die Heiligkeit des Tempels und ihren allmächtigen Gott. Und so unglaublich es auch für einen vernünftigen Menschen klingen mag: man hatte nicht mehr als einen unbedeutenden Bruchteil des ungeheuren Tempelschatzes für die Anschaffung von Waffen und den Ausbau der Befestigungen zu nehmen gewagt. Lieber plagten sich die Juden zu Tode und arbeiteten ohne Lohn, als daß sie den Tempelschatz anrührten. Der lag im Innern des Berges hinter Panzertüren verborgen. Der ganze Tempelberg gleicht einer Honigwabe mit seinen zahllosen Pilgerherbergen und Geheimgängen. Aber kein Mensch kann etwas so geschickt verbergen, daß es ein anderer Mensch nicht finden könnte, wenn er sich ernstlich Mühe gibt, vorausgesetzt, daß mehr als einer von dem Versteck weiß und auch der Ort ungefähr bekannt ist.

Davon konnte ich mich später selbst überzeugen, als ich nach dem Geheimarchiv des Tigellinus forschte. Ich hielt es für unerläßlich, daß es vernichtet wurde, denn es enthielt zuviel merkwürdige Einzelheiten über die politischen Absichten und Lebensgewohnheiten von zahlreichen Angehörigen unserer ältesten Familien. Das waren recht einfältige Männer gewesen, die das Volk dazu aufwiegelten, zu fordern, daß Tigellinus den Raubtieren vorgeworfen werde. Er war als Toter unvergleichlich gefährlicher denn als Lebender, falls sein Archiv in die Hände eines gewissenlosen Menschen geriet.

Den Schatz des Tigellinus überließ ich selbstverständlich Vespasian. Ich selbst behielt mir nur einige Andenken, und von den geheimen Dokumenten sagte ich nichts. Vespasian fragte auch nicht danach, denn er ist klüger und listiger, als man nach seinem groben Äußeren meinen möchte. Ich gab den Schatz schweren Herzens her, denn er enthielt auch die zwei Millionen Sesterze in vollgewichtigen Goldmünzen, die ich Tigellinus schenkte, als ich Rom verließ. Er war der einzige, der meine ehrlichen Absichten hätte bezweifeln und mich an der Reise hindern können.

Ich erinnere mich noch, wie er mich mißtrauisch fragte: »Warum schenkst du mir ungebeten eine solche Summe?«

»Um unsere Freundschaft zu bekräftigen«, erwiderte ich ehrlich. »Aber auch, weil ich weiß, daß du dieses Geld auf die rechte Art gebrauchen wirst, wenn einmal böse Zeiten kommen, wovor uns alle Götter Roms schützen mögen.«

Das Geld war noch da, denn er war ein Geizkragen gewesen. Im übrigen aber verhielt er sich sehr vernünftig, als die Stunde gekommen war. Er bewog die Prätorianer, Nero im Stich zu lassen, als er merkte, daß seine eigene Haut in Gefahr war. Und dann gab es eigentlich keinen, der ihm Böses wollte. Galba behandelte ihn gut. Erst Otho ließ ihn ermorden, weil er sich unsicher und der Gunst des Volkes allzu ungewiß fühlte. Ich habe seinen unnötigen Tod immer beklagt. Nach seinen schweren Jugenderlebnissen hätte er bessere Tage verdient. Während Neros letzter Jahre mußte er ständig unter schweren Gewissensqualen leben, so daß er des Nachts nicht mehr schlafen konnte und noch härter wurde, als er schon gewesen war.

Doch warum denke ich an ihn? Mein wichtigster Auftrag im belagerten Jerusalem war ausgeführt, sobald ich mich vergewissert hatte, daß der Tempelschatz wohlbehalten und zu finden war. Ich wußte, daß dank unserer Wachsamkeit nicht einmal eine Ratte mit einer Goldmünze in der Schnauze aus Jerusalem hätte fliehen können.

Du verstehst gewiß, daß ich um Deiner Zukunft willen nicht ohne handgreifliche Sicherheiten Vespasian den Inhalt meiner zwanzig eisernen Truhen als Darlehen anbieten konnte, um ihm zum Kaiserthrone zu verhelfen. Ich zweifelte zwar nicht an seiner Ehrlichkeit, aber Roms Finanzen sind verworren, und ein Bürgerkrieg steht vor der Tür. Ich mußte mich daher absichern. Nur darum wagte ich mein Leben und begab mich nach Jerusalem.