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Möglich, daß der erfahrene Tierbändiger an dem Gebrüll des Löwen nicht ganz schuldlos war. Jedenfalls machte uns nun das Volk bereitwillig Platz, und einige Frauen riefen uns sogar mitleidige Worte zu und weinten, als sie unsere blutbefleckten Verbände erblickten.

Wer mit eigenen Augen die breite, meilenlange Hauptstraße Antiochias mit ihren endlosen Säulengängen gesehen hat, wird verstehen, daß unser Marsch immer mehr einem Triumphzug und immer weniger einem Bußgang glich. Es dauerte nicht lange, und der wankelmütige Haufe begann Blumen auf unseren Weg zu streuen. Wir waren jung, unser Selbstbewußtsein erwachte wieder, und als wir endlich vor dem Rathaus angekommen waren, fühlten wir uns eher als Helden denn als Verbrecher.

Die Stadtväter erlaubten uns zunächst, unseren Löwen der Stadt zu schenken und Jupiter, dem Beschützer, zu weihen, der in Antiochia meist Baal genannt wird. Dann erst wurden wir den Strafrichtern vorgeführt. Mit diesen unterhandelte indessen schon ein berühmter Anwalt, den mein Vater hinzugezogen hatte, und unser freiwilliges Erscheinen machte tiefen Eindruck auf sie. Die Pferde nahmen sie uns freilich weg, dagegen halfen alle unsere Vorstellungen nichts, und wir bekamen harte Worte über die Sittenlosigkeit der Jugend zu hören. Was für einer Zukunft ging man entgegen, wenn die Söhne der besten Familien der Stadt, dem Volk ein schlechtes Beispiel gaben, und wie anders war doch alles gewesen, als unsere Väter und Vorväter noch jung waren!

Als ich mit Barbus nach Hause kam, hing ein Totenkranz vor unserer Tür, und anfangs wollte niemand mit uns sprechen, nicht einmal Sophronia. Zuletzt brach sie jedoch in Tränen aus und berichtete, mein Lehrer Timaios habe sich am Abend zuvor ein Becken mit heißem Wasser bringen lassen und sich dann die Pulsadern geöffnet. Erst am Morgen hatte man ihn leblos aufgefunden. Mein Vater hatte sich in sein Zimmer eingeschlossen und nicht einmal seine Freigelassenen empfangen, die erschienen waren, um ihn zu trösten.

Niemand hatte den stets mürrischen und übelnehmerischen Timaios, dem man nichts recht machen konnte, geliebt, aber nun, da er tot war, drückte mich das Gewissen. Ich hatte ihn, meinen Lehrer, geschlagen und durch mein Benehmen Schande über ihn gebracht, und deshalb packte mich nun das Entsetzen. Ich vergaß, daß ich einem Löwen mutig ins Auge geblickt hatte, und mein erster Gedanke war, für ewige Zeiten zu fliehen, zur See zu gehen, Gladiator zu werden oder mich in einer der fernsten Legionen Roms anwerben zu lassen, in den Ländern des Schnees und des Eises oder an den heißen Grenzen Parthiens. Doch konnte ich nicht aus der Stadt fliehen, ohne festgenommen und ins Gefängnis gesteckt zu werden, und so dachte ich in meinem Trotz daran, dem Beispiel des Timaios zu folgen und auf diese Weise meinem Vater alle Verantwortung abzunehmen und ihn von meiner ärgerniserregenden Gegenwart zu befreien.

Mein Vater empfing mich jedoch ganz anders, als ich gedacht hatte, und ich hätte eigentlich darauf gefaßt sein müssen, da er sich doch in allem anders benahm als andere Menschen. Übernächtigt und verweint stürzte er mir entgegen, schloß mich in seine Arme, drückte mich fest an seine Brust, küßte mich auf die Wangen und auf das Haar und wiegte mich sanft hin und her. Auf solche Weise und so zärtlich hatte er mich noch nie in den Armen gehalten, denn als ich klein war und mich nach seinen Liebkosungen sehnte, hatte er mich nie berühren oder auch nur ansehen wollen.

»Minutus, mein Sohn«, flüsterte er. »Ich glaubte schon, ich hätte dich für immer verloren und du seist mit dem alten Trunkenbold ans Ende der Welt geflohen, da ihr Geld mitgenommen hattet. Wegen Timaios brauchst du dir keine Gedanken zu machen, denn der wollte sich nur für sein Sklavenlos und seine nichtsnutzige Philosophie an dir und mir rächen, und es gibt nichts auf dieser Welt, was so schlimm wäre, daß es nicht auf irgendeine Art gesühnt oder vergeben werden könnte.«

Und nach einer Weile fuhr er fort: »O Minutus, ich tauge nicht dazu, jemanden zu erziehen, habe ich doch nicht einmal mich selbst erziehen können. Aber du hast die Stirn und die Augen deiner Mutter und ihre kurze gerade Nase, und auch ihren schönen Mund hast du. Kannst du mir meine Hartherzigkeit und alles, was ich an dir versäumte, vergeben?«

Seine unbegreifliche Zärtlichkeit stimmte auch mich weich, so daß ich laut zu weinen begann, obwohl ich schon fünfzehn Jahre alt war. Ich warf mich vor meinem Vater nieder, umschlang seine Knie mit den Armen, bat ihn um Vergebung für all die Schande, die ich ihm angetan hatte, und gelohte, mich zu bessern, wenn er nur dieses eine Mal noch Nachsicht üben wollte. Da fiel auch mein Vater vor mir auf die Knie und umarmte und küßte mich, so daß wir nun beide auf den Knien lagen und uns abwechselnd um Verzeihung baten. Ich war darüber, daß mein Vater sowohl Timaios’ Tod als auch meine Schuld auf sich nehmen wollte, so froh und erleichtert, daß ich noch lauter weinte.

Als aber Barbus meine Klagelaute hörte, konnte er nicht länger an sich halten. Polternd drang er mit gezücktem Schwert und erhobenem Schild ins Zimmer ein, da er glaubte, mein Vater prügle mich, und gleich hinter ihm erschien heulend und plärrend Sophronia, die mich aus den Armen meines Vaters riß und an ihren üppigen Busen drückte. Barbus und die Amme baten meinen grausamen Vater, lieber sie zu schlagen, da sie in höherem Maß als ich die Schuld an allem trügen. Ich sei ja noch ein Kind und hätte mit meinen unschuldigen Streichen gewiß nichts Böses beabsichtigt.

Mein Vater stand verwirrt auf und verwahrte sich heftig gegen den Vorwurf der Grausamkeit, indem er den beiden versicherte, er habe mich weder geschlagen noch schlagen wollen. Als Barbus erkannte, in welcher Gemütsverfassung mein Vater sich wirklich befand, rief er laut alle Götter Roms an und schwor, er werde sich in sein Schwert stürzen, um wie Timaios seine Schuld zu sühnen. Der Alte ereiferte sich so sehr, daß er sich allen Ernstes ein Leid angetan haben würde, wenn wir drei, mein Vater, Sophronia und ich, ihm nicht mit vereinten Kräften das Schwert und den Schild entrissen hätten. Was er eigentlich mit dem Schild im Sinne gehabt hatte, begriff ich nicht recht. Er selbst erklärte mir später, er habe befürchtet, mein Vater könnte ihn auf den Kopf schlagen wollen, und sein alter Schädel vertrüge kräftige Hiebe nicht mehr so gut wie einst in Armenien.

Mein Vater bat Sophronia, das beste Fleisch holen und ein Festmahl bereiten zu lassen, da wir Ausreißer gewiß hungrig seien und er selbst seit der Entdeckung, daß ich aus dem Haus verschwunden und daß es ihm so ganz und gar mißglückt war, seinen eigenen Sohn zu erziehen, nicht einen Bissen gegessen hatte. Er ließ auch alle seine Freigelassenen in der Stadt einladen, da sie meinetwegen in großer Sorge gewesen waren.

Mit eigener Hand wusch mein Vater meine Wunden, bestrich sie mit heilenden Salben und verband sie mit frischem Linnen, obwohl ich die blutigen Binden ganz gern noch eine Weile getragen hätte. Barbus hatte währenddessen Gelegenheit, von dem Löwen zu berichten, und mein Vater klagte sich noch heftiger an, da sein Sohn sich genötigt gesehen hatte, lieber im Rachen eines Löwen den Tod zu suchen als zu seinem eigenen Vater zu gehen und einen dummen Streich zu gestehen.

Zuletzt war Barbus vom vielen Reden durstig geworden und ging, und ich blieb mit meinem Vater allein zurück. Mein Vater wurde sehr ernst und sagte, er sehe nun ein, daß er mit mir über meine Zukunft sprechen müsse, denn ich sollte ja nun bald die Männertoga bekommen. Er wußte jedoch nicht, wie er beginnen sollte, da er noch nie mit mir gesprochen hatte, wie ein Vater mit seinem Sohne spricht. Er sah mich nur bekümmert an und suchte vergeblich nach Worten, die ihm helfen konnten, mich zu erreichen.