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Am Frühstückstisch machte ich die Bekanntschaft der übrigen Gäste. Es war eine sonderbare Familie, deren Mitglieder sich gegenseitig abstießen. Aber ich brauchte Unterhaltung. So überwand ich den Drang, mich in mein Zimmer zurückzuziehen. Vielleicht würde ich ja auf einen späteren Freund, einen künftigen Gefährten treffen? Warum eigentlich nicht? Amir Wagdi und Tolba Marzuq konnte ich allerdings getrost übergehen, die gehörten zu einer Generation, die abgetreten war. Aber was war mit Sarhan al-Buheri und Husni Allam? Sarhans Augen strahlten natürliche Anziehungskraft aus, und er war, wie mir schien, freundlich trotz seiner unangenehmen Stimme. Doch was mochte er für Interessen haben? Und der andere? Husni Allam? Der ging mir auf die Nerven, jedenfalls im ersten Moment. Sein Schweigen und seine Zurückhaltung wirkten arrogant. Sein kräftiger Körperbau, sein hocherhobener, großer Kopf und die Art, wie ein Herrscher von Gottes Gnaden auf seinem Stuhl zu thronen, ärgerten mich. Ja, ein Herrscher, aber ohne Reich und ohne allen Besitz. Vielleicht ließ er sich auch erst herbei, sich mit jemandem zu unterhalten, wenn er festgestellt hatte, daß der andere noch unbedeutender war als er selbst. Zum Trost sagte ich mir: Wer seine Mönchszelle verläßt, muß sich darauf einstellen, mit gemeinen Kerlen zusammenzuleben. Wie gewöhnlich überkam mich der Wunsch, mich von den Fremden auf mich selbst zurückzuziehen. Aber was sie dann sagen, was sie denken würden?

Früher einmal hatte ich auf diese Weise die Chance meines Lebens verpaßt.

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Ich war erstaunt, als ich Sarhan al-Buheri in mein Büro im Rundfunkgebäude kommen sah. Er strahlte, als wären wir alte Freunde. Dann schüttelte er mir herzlich die Hand und erklärte: »Ich bin hier ganz zufällig vorbeigegangen, und da habe ich mir gesagt, ich will doch einmal guten Tag sagen und ein Täßchen Kaffee mit ihm trinken.«

Ich hieß ihn willkommen und ließ Kaffee bringen. Er sagte: »Eines Tages werde ich Sie in Anspruch nehmen, um mich in die Geheimnisse des Rundfunks einweihen zu lassen.«

Mit tausend Freuden, Mann, der du mit anderen Männern auf altehrwürdigen Bänken vor dörflichen Häusern geplaudert hast, was mir nie vergönnt gewesen ist!

Kurz, er berichtete mir von seiner Arbeit in der Spinnerei-Gesellschaft von Alexandria, seiner Mitgliedschaft im Verwaltungsrat und in der Grundeinheit der Arabischen Sozialistischen Union.

»Was für lobenswerte Aktivitäten«, schmeichelte ich ihm, »durchaus ein Vorbild für alle Indifferenten!«

Er blickte mich prüfend an. »Das ist eben unsere Art, sich am Aufbau einer neuen Welt zu beteiligen.«

»Haben Sie eigentlich schon vor der Revolution an den Sozialismus geglaubt?«

»Tatsache ist, daß mein Glaube an ihn mit ihr erwuchs.«

Es hätte mich gereizt, mit ihm über seinen Glauben zu debattieren, aber ich hielt mich zurück.

Das Gespräch kam auf die Pension. Er sagte: »Das ist schon eine kuriose Familie, von der man nicht genug bekommen kann!«

»Und Husni Allam?« fragte ich zögernd.

»Auch er ist ein kluger junger Mann.«

»Er wirkt wie eine Sphinx.«

»Das ist nur äußerlich, aber eigentlich ist er charmant, und außerdem hat er eine eingefleischte Vorliebe fürs Randalieren.« Wir mußten alle beide lachen. Ihm war nicht bewußt, daß er mich mehr mit sich selbst als mit dem anderen vertraut machte.

Warnend fuhr er fort: »Er stammt aus einer angesehenen Familie, ist beschäftigungslos, und man kann sicher sagen, daß er auch keinerlei Abschlußzeugnisse für irgendeine Ausbildung besitzt. Verlieren Sie das nicht aus den Augen!«

»Er besitzt hundert Feddan Land«, sprach er in seinem vorsichtigen und allwissenden Tonfall weiter. »So stand er in vorderster Front. Und er hat keinen akademischen Abschluß. Den Rest können Sie sich denken!«

»Warum hält er sich eigentlich in Alexandria auf?«

»Er ist ein kluger Bursche und sucht nach einem einträglichen kommerziellen Projekt.«

»Erst einmal muß er seine arrogante Miene ablegen, sonst laufen ihm die potentiellen Kunden davon.« Dann kam es mir plötzlich in den Sinn, ihn danach zu fragen, warum er eigentlich in die Pension gezogen war, obwohl er Alexandria schon lange kannte.

Er gab nach kurzem Nachdenken zur Antwort: »Ich ziehe eine Pension voller Menschen einer Wohnung in der Stadt für mich allein vor.«

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Die Nacht mit den Liedern von Umm Kulthum. Eine Nacht voller Wein und Fröhlichkeit. In ihr fielen die Schleier von den verborgensten Winkeln unserer Seelen.

Sarhan al-Buheri kam das Verdienst zu, sich am intensivsten von uns allen für den Abend eingesetzt zu haben, aber er beteiligte sich wohl auch am wenigsten an den Unkosten.

Ich warf Tolba Marzuq verstohlene Blicke zu, die niemand hätte deuten können. Ja, ich war von sehr persönlichen Erinnerungen aufgewühlt, Erinnerungen an blutige Träume, an Szenen von Klassenkämpfen, an Bücher und Versammlungen. Ein ganzes festgefügtes Gedankengebäude stand mir vor Augen. Die Aufgedunsenheit und der Verfall dieses Mannes erschreckten mich, die Bewegungen seiner Bäckchen, wie er da so ergeben in seinem Sessel kauerte. Wie er sich der Revolution andiente, ohne an sie zu glauben. Als hätte er nie zu einer Familie gehört, die ihre Paläste aus Blut und Tränen anderer Menschen errichtet hatte. Jetzt war die Reihe an ihm zu heucheln, nachdem das Zerbröckeln seines früheren Ruhms eine ganze Nation von Heuchlern hervorgebracht hatte. Husni war nur ein Flügel dieses Adlers, den seine Kräfte verlassen hatten. Aber es war ein Flügel, der immer noch flattern, gelegentlich sogar fliegen konnte.

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»Ich sage, daß diese sozialen Antagonismen ganz beseitigt worden sind!«

»Nein, sie haben neue Antagonismen nach sich gezogen, und die Zukunft wird Ihnen bestätigen…«

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Sarhan al-Buheri inspirierte uns alle mit seiner lebhaften, nicht nachlassenden Fröhlichkeit. Und er war gutherzig. Und aufrichtig. Warum auch nicht? Zweifellos war er ehrgeizig. Er war die personifizierte Revolution. Rasch wurde mir klar, daß Amir Wagdi der bezauberndste und von allen der würdigste war, geliebt und verehrt zu werden. Ich war mir der Tatsache bewußt, daß es jener Amir Wagdi war, von dem ich zahlreiche Artikel durchgesehen hatte, als ich meine Sendung »Generationen der Revolution« vorbereitete. Seine wohldurchdachten, wenn auch widersprüchlichen Gedanken nahmen mich gefangen. Sein Stil, zu Beginn gereimte Prosa, später relativ schlicht, aber doch von großer Schönheit und Eleganz, faszinierte mich. Seine Freude, daß ich seine Artikel kannte, machte mir deutlich, wie sehr er unter dem allgemeinen Niedergang, dem Vergessenwordensein und der Teilnahmslosigkeit litt. Diese Erfahrung war mir sehr schmerzlich. Er griff nach dem Strohhalm, den ich ihm hingeworfen hatte, und erzählte mir die Geschichte seines langen Lebens, von seinem ständigen Bemühen um die Revolution, von den gegenläufigen Tendenzen, die ihn gebeutelt hatten, von den Helden, an die er einst geglaubt hatte.

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»Und Saad Zaghlul? Die Generation vor uns hat ihn schließlich abgöttisch verehrt!«

»Was für einen Sinn hatten diese alten Heldenmythen! Der Mann hat doch die Revolution bereits in der Wiege erwürgt!«

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Aber warum schaute mich Tolba Marzuq so vorsichtig verstohlen an? Ich konnte seine gleichzeitig argwöhnischen und widerwilligen Blicke im Spiegel der Flurgarderobe beobachten. Doch was machte das schon! Ein Mann wie er konnte auch seine eigenen Phantasievorstellungen fürchten! Ich schenkte ihm ein, und als er sich bei mir bedankte, fragte ich ihn nach seiner Meinung über die nun schon historisch gewordenen Ansichten Amir Wagdis.