»Hast du bestimmte Pläne?« fragte ich sie.
»Bis jetzt konnte ich keinen klaren Gedanken fassen.«
»Hast du denn nicht daran gedacht, mir zu schreiben?« wollte ich nach kurzem Zögern wissen.
Sie verneinte nach einer kleinen Pause.
»Aber dir muß doch bewußt gewesen sein, daß ich noch da bin!«
Sie antwortete nicht, stand auf, verschwand für ein paar Minuten und brachte dann Tee. Wir zündeten uns eine Zigarette an. Da war er wieder, ein verlorener Duft aus früheren Zeiten. Aber was sein mußte, mußte sein. Ich sagte und spürte dabei plötzlich meine Qualen wiederkehren: »Ich glaube, du weißt von meinen vergeblichen Versuchen zurückzukehren?«
Da sie schwieg, fuhr ich fort: »Aber niemand ermutigte mich, um es so vorsichtig wie möglich zu sagen.« Sie bat: »Laß uns doch die Vergangenheit vergessen!«
»Nicht einmal Fauzi wollte noch etwas von mir wissen!«
»Bitte, laß die Vergangenheit endgültig vorbei sein!«
»Nein, Durrejja!«
»Ich weiß sehr wohl, was man mir nachgesagt hat«, stieß ich in wütendem Kummer hervor. »Man behauptete, ich wollte wiederkommen, um als Spitzel für meinen Bruder zu arbeiten.«
»Mir reichen jetzt meine eigenen Sorgen!« rief sie widerwillig und verärgert.
Ich fügte mich mit einem entschuldigenden Blick und sagte: »Durrejja, du kennst meine Gefühle sehr gut.«
»Ich danke dir!«
Verletzt rief ich: »Ich meine das Gefühl, daß ich jetzt eigentlich bei ihnen sein müßte.«
»Es hat doch keinen Sinn, daß du dich so quälst!« entgegnete sie traurig.
»Ich möchte… ich möchte wissen, was du denkst. Sag es ganz offen!«
Kurze Zeit herrschte drückendes Schweigen, dann erklärte sie leise: »Ich habe dich in meinem Haus empfangen, oder, wenn du so willst, in seinem Haus. Genügt dir das denn nicht?«
Sie seufzte hörbar, aber ich war immer noch nicht zufrieden, war mir vielmehr sicher, daß ich bald wieder die Höllenqualen fühlen würde, die ich vorher verspürt hatte. Doch das war nicht der Augenblick, um über Fehler zu rechten.
So versprach ich: »Ich werde dich von Zeit zu Zeit besuchen. Und du mußt mir über alles, was geschieht, schreiben!«
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Die Fahrt hatte mich angestrengt. So beschloß ich, in der Pension zu bleiben. Ich gesellte mich zu denen, die um das Radio herum saßen. Zu meinem Glück waren es ohnehin diejenigen, die ich in der Pension am liebsten mochte: Amir Wagdi, Madame und Zuchra. Ich war so in Gedanken vertieft, daß ich auf die Gespräche um mich herum nicht achtete. Aber plötzlich hörte ich, wie Madame zu mir sagte: »Sie sind immer irgendwo in Ihrer geistigen Welt, weit weg von uns.«
Amir Wagdi entgegnete ihr: »Das haben kluge Leute nun einmal so an sich« und schaute mich voller Sympathie an. Dann fragte er mich: »Haben Sie eigentlich die Absicht, aus Ihren Kulturprogrammen einmal ein Buch zusammenzustellen?« Sein umwölkter Blick ruhte immer noch auf mir.
Ohne die Wirklichkeit im Auge zu behalten, entgegnete ich: »Ich gedenke, eines Tages ein Programm über Täuschung und Betrug in Ägyptens Geschichte zu machen.«
»Täuschung und Betrug! Was für ein weites Feld!« Er lachte lange und fuhr dann fort: »Wenden Sie sich nur an mich! Ich werde Ihnen mit Quellenmaterial und mit meinen Erinnerungen zur Verfügung stehen.«
»Ich liebe dich, und du liebst mich. Laß mich doch mit ihm reden!«
»Du bist wohl verrückt!«
»Er ist schließlich klug und einsichtig. Er wird uns verstehen und verzeihen.«
»Aber er liebt mich und hält dich für seinen besten Freund. Begreif doch!«
»Er verabscheut Betrug. Ich kann ihn sehr gut verstehen.«
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»Ein Programm über Täuschung und Betrug«, sprach Amir Wagdi weiter, »was wird das wohl für ein Programm werden! Aber Sie müssen unbedingt hinterher ein Buch darüber machen, sonst werden Sie von den Leuten vergessen, so, wie es mir geschehen ist. Von denen, die ihre Gedanken nicht zu Papier gebracht haben, hat man nur Sokrates nicht vergessen.«
Madame lauschte einem griechischen Schlager, den sie sich gewünscht hatte, einem Lied von einem jungen Mädchen, das die vielen Vorzüge besang, die der Mann seiner Träume besitzen sollte. So oder ähnlich hatte Madame den Inhalt angegeben. Wie sie da mit hingebungsvoll geschlossenen Augen dem Schlager zuhörte, es war ein rührend eindrucksvoller Anblick. Sie wirkte wie die tragikomische Verkörperung der Lebensfreude.
Amir Wagdi fuhr fort: »Er lebte in seinem Schüler Plato weiter. Aber seltsam ist schon, daß er lieber Gift schluckte, als an die Möglichkeit einer Flucht zu denken.«
»Ja«, warf ich bitter ein, »und das, obwohl er nicht unter dem Gefühl litt, eine Schuld oder einen Irrtum begangen zu haben.«
»Wie viele Menschen gibt es heute, die, vergliche man sie mit Sokrates, einer ganz anderen Gattung anzugehören scheinen!«
Verbittert und außer mir vor Zorn sagte ich: »Das eben sind die Betrüger!«
»Es gibt Wahrheiten und Mythen. Das Leben, mein Lieber, ist nun einmal verwirrend!«
»Aber Sie gehören doch zur Generation derer, die noch an etwas glaubten!«
»Glaube… Zweifel…«, lachte er, »sie sind wie Tag und Nacht.«
»Was meinen Sie damit, bitte?«
Er schwieg einen Augenblick und sagte dann: »Ich meine, sie sind nicht voneinander zu trennen. Und Sie, mein Sohn, welcher Generation gehören Sie an?«
Verdrossen erklärte ich: »Auf das, was wir tun, kommt es an, nicht auf das, woran wir glauben. So bin ich im Grunde bloß ein Projekt.«
»Was wir tun… was wir glauben…«, lachte Madame, »was soll's?«
Der alte Mann stimmte in das Lachen ein: »Ein schmackhaftes Essen und eine schöne Frau scheinen dem geplagten Gläubigen oft das Kostbarste im Leben.«
»Bravo!« Madame gab ihrer Freude lautstark Ausdruck.
Auch Zuchra lachte. Ich hörte sie jetzt überhaupt zum ersten Mal lachen und fühlte mich vorerst erleichtert. Minuten des Schweigens folgten, in denen wir draußen den Wind heulen und gegen die Wände in Böen anstürmen hörten, so, daß die geschlossenen Fenster klapperten. Wieder befielen mich Unruhe und Kummer, und ich sagte zu Amir Wagdi: »Daß man glaubt und arbeitet, den Glauben in die Tat umsetzt, das wäre das Ideal. Nicht zu glauben ist nur ein anderer Weg, der letztlich in den Untergang fuhrt. Zu glauben, aber nichts tun zu können, das ist die reine Hölle!«
»Ja! Sie haben Saad Zaghlul in seinen letzten Lebensjahren nicht kennengelernt, haben nicht erlebt, wie er gegen die Qualen der Verbannung und den nahenden Tod ankämpfte.«
Ich schaute zu Zuchra, der einzigen von uns, die sozusagen in der Verbannung lebte. Sie saß so voller Hoffnung und Selbstvertrauen da, daß ich mich freute, mehr noch, sie beneidete.
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Eine Woche darauf besuchte ich Durrejja erneut. Ihre Wohnung war wieder so hübsch wie eh und je. Auch auf sich selbst hatte sie wieder Sorgfalt verwandt, aber aus ihren Augen sprach immer noch Verzweiflung. Ja, schließlich stand sie jetzt allein da, ohne Arbeit, ohne Hoffnung.
»Hoffentlich störe ich dich nicht mit meinen Besuchen!« sagte ich.
»Jedenfalls gibst du mir durch sie das Gefühl, noch am Leben zu sein!« entgegnete sie mit tonloser Stimme.
Mir krampfte sich vor Kummer das Herz zusammen. Ich stellte mir ihre reale Situation vor, hart, ungeschminkt. Von meinen Gefühlen wollte ich ihr sprechen, aber das, was früher geschehen war, lahmte mir die Zunge. Wir stimmten darin überein, daß in einer geeigneten Arbeit die Rettung vor der Verzweiflung liegen könnte. Aber wie sollte sie dazu kommen? Sie war Lizentiatin in alten Sprachen, doch es würde sehr schwer für sie sein, eine Arbeitsstelle zu finden.