Dann frage ich sie: »Durrejja, zweifelst du eigentlich auch an mir wie die anderen?«
Sie verzieht mißbilligend das Gesicht, denn sie hat mich mehr als einmal gebeten, dieses Thema nicht zur Sprache zu bringen, aber ich bleibe hartnäckig: »Wenn du es tätest, fände ich es nur natürlich!«
Protestierend sieht sie mich an: »Warum mußt du dich nur immer quälen!«
»Ich habe mich schon oft gefragt, warum du dich nicht der allgemeinen Meinung anschließt«, lenke ich lächelnd ein.
Ungehalten gibt sie zurück: »Du bist doch einfach kein Betrüger oder Verräter!«
»Was heißt, ich sei kein Betrüger oder Verräter? Ich bin schwach, und daß ich mich zu sehr von meinem Bruder habe lenken lassen, war sicher auch ein Zeichen meiner Schwäche. Von allen Schwächlingen bin ich bestimmt der, der am leichtesten zu einem Betrüger werden kann!«
Sie nimmt meine Hand in ihre und bittet: »Quäl dich doch nicht so! Quäl uns beide nicht!«
Ich sage mir, daß ihr offensichtlich nicht bewußt ist, daß auch sie zu all dem gehört, was mich quält.
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Als Madame zu mir ins Zimmer kommt, bin ich mir sicher, daß es Neuigkeiten gibt. Sie flattert, wenn sie Neues mit sich herumträgt, wie eine Motte überall umher. Schön! Haben Sie schon gehört, Monsieur Mansur? Machmud Abul-Abbas, der Zeitungsverkäufer, hat um Zuchras Hand angehalten, aber sie hat ihm einen Korb gegeben!
»Immer dieselben Verrücktheiten, Monsieur Mansur!«
»Sie liebt ihn eben nicht, Madame!« entgegne ich ihr rundheraus.
»Aber ihr Herz führt sie in die Irre!« Sie blinzelt mir zu, und ich denke: Wehe, wenn Sarhan sie enttäuscht!
Plötzlich kommt mir ein seltsamer Einfall oder eher so etwas wie ein abwegiger Wunsch, nämlich daß er sie enttäuschen möge, damit ich ihm dann seine gerechte Strafe erteilen könnte.
Sie beugt sich zu mir und flüstert: »Raten Sie ihr doch zu! Sie wird das tun, was Sie für gut halten. Sie hat Sie gern!«
Dieses Gerede vom Gernhaben erbost mich, und ich muß mir alle Mühe geben, meinen Ärger zu unterdrücken.
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»Eigentlich stammt sie aus einer guten Familie, schon fast aristokratisch. Aber sie ist natürlich keine Heilige. Diese Art der Tätigkeit hat ihre unvermeidlichen Begleitumstände, wie du sicher weißt. Wenn ich nicht gewesen wäre, so hätte man ihre Wohnung längst geräumt und ihren Besitz konfisziert.«
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Der Wind peitscht den Regen gegen die Fenster. Das Brüllen der Wogen wühlt mich auf bis ins Innerste. Ich merke nicht, daß Zuchra eingetreten ist, bis sie das Tablett mit dem Tee auf den Tisch vor mich hinstellt. Froh begrüße ich sie, denn ich hoffe, sie wird mich aus meinen düsteren Gedanken reißen. Wir lächeln uns gegenseitig zu. Ich biete ihr ein Stückchen Kuchen an und sage lachend: »Da hast du nun schon dem zweiten Verehrer einen Korb gegeben!«
Sie schaut mich unsicher an, und ich fahre fort: »Willst du meine Meinung wissen, Zuchra? Ich finde Machmud besser als Sarhan!«
»Weil Sie ihn nicht kennen!« fällt sie mir ins Wort.
»Und du, kennst du denn den anderen so, wie es sein müßte?«
»Niemand will mir glauben, daß ich eine ebenbürtige Partnerin für ihn bin!« entgegnet sie heftig.
»Sag das denen, die nicht deine Freunde sind!«
»Machmud macht keinen Unterschied zwischen einer Frau und einer Sandale!«
Ich muß lachen, und sie erzählt mir eine Geschichte über sein Verhalten und seine Ansichten.
»Du bist doch aber gewitzt genug, ihm darauf die richtige Antwort zu verpassen!« rede ich ihr gut zu. Aber sie liebt nun einmal Sarhan und wird ihn lieben, bis er sie heiratet oder im Stich läßt.
»Zuchra, ich respektiere deine Meinung und alles, was du tust. Im übrigen würde ich dir wirklich gern bald zur Verlobung gratulieren.«
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Ich habe dringende und eilige Angelegenheiten zu erledigen und fahre deswegen diesmal nicht nach Kairo. Durrejja ruft mich an, damit ich sie in ihrer verzehrenden Einsamkeit tröste.
Als wir uns in der Woche darauf treffen, sagt sie nervös: »Jetzt ist die Reihe an mir, dir hinterherzulaufen.«
Nachdem wir uns in ein Chambre separee im Florida zurückgezogen haben, küsse ich ihr die Hand. Ich erkläre ihr, warum ich sie in der vorhergehenden Woche nicht habe besuchen können. Sie ist unruhig, nervös und raucht stark. Mir geht es nicht viel besser.
»Ich habe mich in der Arbeit vergraben«, erkläre ich ihr, »aber ohne daß ich es wollte, sind meine Gedanken abgeschweift, und eine unbekannte Stimme hat mir zugeflüstert, daß ich in meiner Arbeit etwas falsch gemacht oder daß ich irgend etwas Wichtiges anzuordnen versäumt hätte. Und oft entdecke ich, daß ich Wesentliches in der Pension oder im Büro habe liegenlassen.«
»Aber ich bin so einsam«, klagt sie, »und halte das Alleinsein einfach nicht mehr aus.«
»Wir lassen uns wie von einem Strudel hierhin und dorthin ziehen und tun nichts, um unsere Probleme zu lösen!«
»Und was sollten wir tun?«
Ich denke kurz nach und versuche, nur der Logik zu gehorchen. Aber welcher Logik? Für jemanden, den seine Gefühle überwältigen, existiert die Logik nicht mehr. Es ist fast so, als suche ich nach neuen Herausforderungen. »Wenn wir unseren Verstand fragen würden«, antworte ich, »so würde er uns sagen, daß wir uns entweder trennen sollten oder aber du die Scheidung verlangen müßtest.«
Ihre grauen Augen weiten sich vor Erschrecken, vielleicht eher, weil sie derselben Ansicht ist, als weil sie die Scheidung nicht will.
»Die Scheidung!«
»Dann könnten wir doch ein neues Leben beginnen«, sage ich ruhig.
»Aber das wäre unerhört!«
»Es wäre nur natürlich, und was mich angeht…«
Sie stützt den Kopf in die Hände und schweigt, damit ihre Hilflosigkeit andeutend.
»Habe ich nicht gesagt, daß wir nichts tun?« wiederhole ich.
Dann, nach einer Weile des Schweigens, frage ich sie: »Was hätte denn Fauzi an meiner Stelle getan, sag mir das!«
»Aber du weißt doch, daß er mich liebt!« entgegnet sie leise.
»Er würde dich aber bestimmt nicht zwingen, bei ihm zu bleiben, wenn er wüßte, daß du mich liebst!«
»Denkst du nicht in sehr theoretischen Kategorien?«
»Nein, ich kenne Fauzi, und das ist sehr realistisch gedacht.«
»Stell dir vor, stell dir vor, er würde sagen…«
»Du hast dich von ihm gelöst, seitdem er im Gefängnis ist, nicht wahr? Aber das ist letztlich ohne Wert für mich, denn du hast dich zwar von ihm gelöst, aber nicht von seinen Prinzipien… »
Ich stelle ihn mir vor, wie er auf der Couch im Studio liegt, mich mit seinen mandelförmigen schwarzen Augen mustert, Pfeife raucht, unzählige Probleme erörtert, aber nicht eine Sekunde lang an seinem ehelichen Glück zweifelt.
»Woran denkst du eigentlich?« fragt sie mich.
»Daran, daß das eigentliche Leben sich nur denen erschließt, die es verdienen.« Ich nehme ihre Hand und fordere sie auf: »Komm, laß uns etwas trinken, damit wir endlich aufhören nachzudenken!«
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Ich bin so in meine Gedanken versunken, daß ich nicht wahrnehme, was um mich herum geschieht. Zorn würgt mich. Seitdem ich davon erfahren habe, daß Husni Allam über Zuchra hergefallen ist, ersticke ich fast vor Zorn. Mit mir im Entree sitzen Amir Wagdi und Madame, doch von dem, worüber sie sprechen, höre ich nur ein Wispern. Auch von dem Streit zwischen Sarhan und Husni hatte ich vernommen und wünschte mir, er hätte so lange gedauert, bis sie sich gegenseitig umgebracht hätten. Ich wünsche mir auch, ich könnte Husni seine gerechte Strafe zuteil werden lassen, zweifle andererseits nicht daran, daß er kräftig genug ist, mich dabei umzubringen. So hasse ich ihn bis zur Raserei. Daß Madame aufsteht und hinausgeht, holt mich wieder in meine Umgebung zurück. Ich schaue zu Amir Wagdi und merke, daß er mich voller Fürsorge und Sympathie ansieht. Das bringt die Mordgelüste in meinem Herzen zum Abklingen. Mir kommt der absonderliche Gedanke, der alte Mann könnte vielleicht ein enger Freund meines Vaters oder Großvaters gewesen sein.