»Zuchra, das Leben macht mir keine Freude mehr, wenn du traurig bist«, klage ich.
Ein dankbares Lächeln umspielt ihre Lippen, und ich rede ihr zu, von neuer Begeisterung entflammt: »Zuchra, verjag deine Schwermut! Sei wieder so stark wie immer! Sag mir, wann ich wieder ein glückliches Lächeln auf deinen Lippen sehe!«
Sie lächelt mit gesenktem Kopf. Meine Begeisterung wächst weiter. Da ist dieses Mädchen, fern von seinen Angehören, einsam, verlassen, seiner Ehre beraubt.
Voll einer eigenartigen Erregung stoße ich hervor: »Zuchra, du weißt vielleicht nicht, wie lieb du mir bist. Zuchra, akzeptiere mich als deinen Ehemann!«
Sie wendet sich mir mit einer schnellen Bewegung zu, bestürzt, ungläubig. Ihre Lippen bewegen sich, als wolle sie etwas sagen, aber sie bringt keinen Ton heraus.
Immer noch von meiner seltsamen Erregung beherrscht, fordere ich sie auf: »Nimm meinen Antrag an, Zuchra! Ich meine es ernst.«
»Nein!« entgegnet sie und ist sichtlich noch nicht aus ihrer Bestürzung erwacht.
»Bitte, laß uns so schnell wie möglich heiraten!«
»Sie lieben doch eine andere!« antwortet sie und ringt nervös die kräftigen Hände.
»Das war keine Liebe. Das war nur eine Geschichte, die du dir in deiner Phantasie zurechtgelegt hast. Laß mich deine Antwort hören, Zuchra!«
Sie seufzt und wirft mir einen zweifelnden Blick zu. »Sie sind großmütig und edel«, sagt sie dann, »und schlagen mir das jetzt aus Mitleid vor. Nein, das werde ich nicht annehmen, und Sie meinen das auch gar nicht so! Bitte, sagen Sie das nicht wieder!«
»So weist du mich also ab, Zuchra!«
»Ich danke Ihnen, aber es gibt gar keine Forderung, die ich abweisen oder annehmen könnte!«
»Glaub mir doch! Ich schwöre es dir! Gönn mir doch eine kleine Hoffnung! Versprich mir wenigstens etwas! Dann kann ich warten!«
Entschlossen und sichtlich ohne meine Worte ernst zu nehmen, entgegnet sie: »Nein! Ich danke für Ihr Mitgefühl und weiß es sehr zu schätzen. Aber ich kann das nicht annehmen. Kehren Sie zu Ihrem Mädchen zurück! Wenn da etwas falsch gemacht wurde, dann war es zweifellos sie, die das getan hat. Aber Sie werden ihr bestimmt verzeihen!«
»Zuchra, so glaub mir doch!«
»Nein, hören Sie bitte damit auf!«
Sie sagt das mit erschreckendem Nachdruck, aber ihren Augen ist die Erschöpfung anzumerken. Es scheint, als ob sie alles als bedrückend empfindet. Sie dankt mir noch einmal mit einem Kopfnicken und geht dann schnell entschlossen hinaus.
Wieder spüre ich die Leere in mir. Ich schaue mich um, als suche ich nach Hilfe. Wann wird das Erdbeben einsetzen? Wann der Sturm losbrechen? Was habe ich überhaupt gesagt? Wie habe ich es getan, und warum? Ist da jemand, der mich als Mittel zum Zweck benutzt, wann immer es ihm gefällt? Wenn ja, wie kann ich dem Ganzen Einhalt gebieten?
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Wie kann ich dem Ganzen Einhalt gebieten? Das frage ich mich von neuem, als ich wie von Sinnen das Zimmer verlasse. Ich sehe Sarhan al-Buheri im Salon telefonieren. Sein Koffer steht hinter der Tür. Er wird uns also für immer verlassen. Haßerfüllt beobachte ich ihn von hinten, wie er den Kopf dem Telefonhörer zuneigt. Als erblickte ich meinen Todfeind. Er spielt in meinem Leben eine größere Rolle, als ich es mir vorgestellt habe. Was werde ich mit meinem Leben anfangen, wenn er für immer verschwindet? Wie soll ich ihn wiederfinden? Ich fühle mich von ihm angezogen wie eine Motte vom Licht. Es scheint fast so, als sei er der Schluck Gift, durch den ich Heilung finden könnte.
Seine dröhnende Stimme vor dem Hörer wird lauter: »Gut, heute abend um acht Uhr. Ich warte im Casino Pelikan auf dich!« Er macht also einen Termin für mich fest, setzt mir vielleicht ein Ziel. Er steigert meinen Wahnsinn zur Raserei. Seine dröhnende Stimme reizt mich auf zum Selbstmord, befiehlt mir, ihm zu folgen. Er wird mir die Gnade erweisen, mich aus meiner Leere zu reißen.
Aus Angst, meine eigenwilligen Gefühle könnten mit mir durchgehen, kehre ich wieder in mein Zimmer zurück. Als ich die Pension verlasse, ist von Sarhan keine Spur mehr zu sehen.
Ich gehe zum Atheneus und überlege, ob ich Durrejja einen Brief schreiben soll, aber meine Besessenheit lahmt meinen Willen ebenso wie meinen Verstand.
Dann setze ich mich auf meinen üblichen Platz im Innenhof des Casinos Pelikan wie jemand, der beschlossen hat auszuwandern und sich von der Stadt und all ihren Sorgen bereits verabschiedet hat. Allmählich werde ich ruhiger. Meine Gedanken klären sich. Ich hocke in meiner Ecke, abgeschirmt von Tischen, um die herum viele Männer und Frauen sitzen, bestelle einen Cognac, dann noch einen und beobachte den Eingang. Ein Viertel vor acht erscheint der Held auf der Bildfläche. Er kommt, und vor ihm her geht Tolba Marzuq! War er es, mit dem er telefoniert hat? Seit wann besteht zwischen den beiden diese mir völlig überraschende Freundschaft? Sie setzen sich zehn Tische weiter hin, und der Ober bringt ihnen ebenfalls einen Cognac. Ich muß daran denken, daß ich heute morgen am Frühstückstisch Tolba Marzuqs Vorschlag zugestimmt habe, wir sollten die Silvesternacht gemeinsam im Monseigneur verbringen. Ja, ich habe versprochen, die Silvesternacht mit ihnen zu feiern. Aus der Ferne schaue ich zu, wie sie zusammen trinken, sich unterhalten, miteinander lachen.
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Ich bin darauf bedacht, daß er mich nicht bemerkt, aber er erblickt mich im Spiegel. Ich tue so, als ob ich es nicht merke, und verdamme innerlich den unglücklichen Zufall. Die Straße ist menschenleer. Ich höre seine Schuhe hinter mir quietschen. Ich verlangsame meinen Schritt, bis er mich fast eingeholt hat und wir auf der leeren Straße nebeneinanderher eilen. Er bleibt auf meiner Höhe, wirft mir einen zweifelnden Blick zu, geht dann langsamer, damit er mir seinen Rücken nicht ungeschützt zuwendet.
»Sie verfolgen mich!« wirft er mir vor. »Ich habe Sie von Anfang an beobachtet!«
»Ja!« entgegne ich kühl.
»Und warum?« fragt er, noch vorsichtiger.
Ich nehme die Schere aus meiner Manteltasche und stoße hervor: »Um Sie zu töten!«
»Sie müssen verrückt geworden sein!«sagt er und starrt auf die Schere.
Jeder von uns macht sich bereit, sich auf den anderen zu stürzen oder sich gegen ihn zu verteidigen.
»Sie sind nicht ihr Vormund!« fährt er fort.
»Es ist nicht Zuchras wegen…, nicht nur Zuchras wegen.«
»Aber warum dann?«
»Ich muß Sie töten, um weiterleben zu können!«
»Aber man wird Sie danach ebenfalls töten, haben Sie das denn gar nicht bedacht?«
Wieder habe ich das Gefühl, ein Flüchtling zu sein, der die Stadt mit all ihren Sorgen hinter sich gelassen hat. Es macht mich taumeln wie in einem Rausch.
»Woher wußten Sie eigentlich, wo Sie mich treffen würden?« fragt er mich da.
»Ich habe gehört, wie Sie in der Pension telefonierten.«
»Und da haben Sie den Entschluß gefaßt, mich umzubringen?«
»Ja!«
»Waren Sie dazu nicht schon vorher entschlossen?«
Ich weiß nicht, was ich sagen soll, und schweige. Aber er gibt nicht auf: »In Wirklichkeit wollen Sie das doch gar nicht!«
»Doch, ich will es, und ich werde Sie umbringen!«
»Stellen Sie sich vor, Sie hätten mich in jenem Moment nicht gesehen und gehört!«
»Ich habe es aber getan, und ich werde Sie töten!«
»Aber warum denn nur?«
Wieder weiß ich nicht, was ich sagen soll, jedoch mein Entschluß, ihn zu töten, steht nun endgültig fest.
»Deswegen bringe ich dich um!« schreie ich. »Nimm das… und das…!«
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Ich höre Sarhan lachen, als er mit Tolba Marzuq spricht. Immer wieder einmal steht er auf, geht hinaus und kommt dann wieder zurück.
Innerlich verwünsche ich Tolba Marzuq und sage mir, daß sein Kommen alles verdorben hat. Jedoch nach einer Stunde erhebt er sich, schüttelt Sarhan zum Abschied die Hand und geht. Sarhan bleibt allein zurück, und ich sehne mich nach dem Augenblick, in dem diese Pein ihr Ende findet. Er trinkt weiter, schaut aber ständig nach dem Eingang. Seinen Blicken ist Unruhe und Anspannung anzumerken. Wartet er noch auf jemanden anders? Wird dieser andere kommen und damit die Gelegenheit für immer vorbei sein?