»Weder die einen noch die anderen«, beeilt er sich zu sagen.
Ich lächle voller Vertrauen und Siegesbewußtsein: »Sehen Sie, das war mir von vornherein klar! Lassen Sie sich das zum Trost gereichen!«
Es wird acht Uhr, aber Ali Bakir kommt nicht. Ich warte eine weitere qualvolle halbe Stunde. Dann gehe ich zum Telefon, wähle seine Privatnummer, jedoch niemand meldet sich. Vielleicht ist er auf dem Weg hierher, aber was hat ihn davon abgehalten, früher zu kommen? Kann er sich denn nicht vorstellen, wie sehr mich diese Verspätung auf die Folter spannt? Tolba Marzuq blickt auf die Uhr und sagt dann: »Ich muß mich verabschieden!« Dann schüttelt er mir die Hand und geht. Ich trinke weiter. Endlich kommt der Kellner, um mir zu sagen, daß mich jemand am Telefon verlangt. Ich springe auf, laufe zum Apparat, nehme den Hörer und merke, daß mein Herz wie rasend schlägt.
»Hallo! Ali? Warum bist du nicht gekommen?«
»Sarhan, hör zu! Die Sache ist aufgeflogen!«
Seine Worte dringen in mein vom Alkohol umnebeltes Hirn, und mir ist, als ob sich Himmel und Erde um mich drehen. »Was sagst du da?«
»Es ist aus mit uns!«
»Aber wieso? Sag schnell, was ist passiert?!«
»Was hat denn das jetzt noch für einen Sinn?! Der Fahrer wollte allein absahnen, und das ging schief! Er wird uns ans Messer liefern, wenn er es nicht bereits getan hat.«
Mir wird vor Angst der Mund trocken: »Was machen wir jetzt? Was tust du gerade?«
»Es ist aus mit uns! Ich tue, was mir der Teufel diktiert.« Er hängt auf.
Ich zittere. Meine Füße tragen mich kaum noch. Einen Augenblick lang denke ich daran wegzulaufen, aber ich kehre, beobachtet vom Kellner, an den Tisch zurück. Ich trinke mein Glas aus, bezahle die Rechnung. Verzweiflung kriecht mit bestürzender Schnelligkeit in mir hoch. Und eine höllische Angst. Ich gehe schnurstracks zur Bar, verlange vom Barkeeper eine Flasche Cognac und fange an, gedankenlos zu trinken, während er mir besorgt zuschaut. Ich gieße mir ein, trinke aus, gieße mir wieder ein, ohne ein Wort, ohne einen Seitenblick, ohne Unterbrechung.
Dann schaue ich zu ihm auf und sage: »Ein Rasiermesser bitte!«
Er lächelt, ohne sich zu bewegen. Ich wiederhole: »Ein Rasiermesser bitte!«
Er zaudert kurz. Als er die Entschlossenheit in meinem Gesicht sieht, ruft er den Kellner und fragt ihn nach dem Messer. Der bringt ein gebrauchtes Rasiermesser ohne Hülle. Ich nehme es ihm dankend ab und deponiere es in meiner Tasche. Mit einiger Mühe erhebe ich mich von der Bar und gehe zur Außentür, schwankend, verzweifelt, eilig. Ich überquere die Straße und wäre am liebsten gerannt, ganz schnell gerannt.
Ich bin verzweifelt, völlig verzweifelt.
V. Amir Wagdi
All das, was sich in der Pension in der letzten Zeit ereignet hat, vergällt mir das Leben. Ich habe hier Zuflucht gesucht, um die Ruhe zu genießen, die ich in meinen alten Tagen brauche, auch um mich mit angenehmen Erinnerungen über die bittere Enttäuschung hinwegzutrösten, die ich am Ende meines Arbeitslebens erfahren mußte. Es wäre mir nie in den Sinn gekommen, daß sich die Pension Miramar in eine Bühne für brutale Schlägereien verwandeln könnte, die schließlich mit einem Mord enden.
Aber heute spüre ich wieder etwas Unternehmungslust, verlasse das Zimmer und setze mich zu Mariana und Tolba Marzuq zu unserem gewohnten Beisammensein im Entree. Ich würde Zuchra gern bei uns sehen, aber Mariana ist dermaßen erregt und Tolba schaut so finster drein, daß ich davon Abstand nehme, sie zu uns zu bitten. Diese Atmosphäre würde ihren Kummer nur steigern, sie braucht jetzt vor allem Schonung.
Ich erfahre, daß Husni Allam die Pension fast auf die Minute zu seiner üblichen Zeit verlassen hat. Er war eine Weile lang sehr erregt über die Nachricht von der Bluttat, dann machte er sich auf den Weg wie immer. Mansur Bahi hat gegen seine sonstige Gewohnheit sehr lange geschlafen.
Mariana seufzt: »Da haben wir nun den letzten Tag des Jahres. Und der hat ihm das schrecklichste Ende beschert, das man sich vorstellen kann! Was uns das neue Jahr wohl bringen wird?«
Tolba Marzuq fragt nervös und verdrossen: »Welcher Ärger wird uns hier bevorstehen?«
»Solange wir unschuldig sind…«, murmle ich.
»Sie können sich immer auf Ihr hohes Alter berufen«, unterbricht er mich scharf. »Sie ficht nichts mehr an!«
Da hören wir, wie sich Mansurs Tür öffnet. Er geht ins Bad. Nach einer halben Stunde kehrt er in sein Zimmer zurück.
Kurz darauf erscheint er hinter dem Wandschirm, schon in Anzug und Mantel, sehr bleich, mit düsterem Blick und versteinerten Gesichtszügen.
Madame weist ihn darauf hin, daß sein Frühstück bereitsteht, aber er lehnt es mit einem Kopf schütteln ab und sagt weiter nichts. Sein Anblick beunruhigt uns. Natürlich ist Madame die erste, die nach einer Erklärung für sein Aussehen forscht.
»Setzen Sie sich doch zu uns, Monsieur Mansur! Fühlen Sie sich wohl?«
»Mir geht es hervorragend«, sagt er, ohne Platz zu nehmen, »ich habe nur länger geschlafen als gewöhnlich, das ist alles!«
Sie weist auf die Zeitung, die aufgeschlagen auf dem Sofa liegt, und fragt ihn: »Haben Sie das Neueste schon gehört?«
Er zeigt keinerlei Interesse, sie fährt fort: »Sarhan al-Buheri… Man hat ihn tot auf dem Weg zum Palma gefunden!«
Er schaut sie lange an, ist gar nicht erstaunt, nicht aufgestört. Aber er schaut ihr weiter in die Augen, als habe er ihre Worte gar nicht gehört oder sie nicht richtig verstanden, oder aber als litte er unter einer Krankheit, die ernster ist, als wir vermuten. Mariana fordert ihn auf, sich die Zeitung anzusehen. Er wirft einen ruhigen, bedächtigen Blick auf die Meldung, während wir ihn mustern. Dann hebt er den Kopf und sagt: »Ja…, er wurde tot aufgefunden!«
Mitleidig fordere ich ihn auf: »Sie sind überanstrengt. Setzen Sie sich doch!«
Kühl oder vielleicht auch nur gleichgültig wehrt er ab: »Mir geht es wirklich gut!«
»Wie Sie sehen, sind wir höchst beunruhigt«, erklärt Mariana.
»Aber warum denn?« fragt er und läßt den Blick von einem Gesicht zum anderen schweifen.
»Wir erwarten, daß die Polizei hierherkommt und uns unsere Ruhe nimmt.«
»Sie wird bestimmt nicht kommen!«
»Aber die Polizei ist, wie Sie wissen…«, will Tolba Marzuq sagen.
»Ich bin der Mörder von Sarhan al-Buheri!« unterbricht er ihn ruhig.
Er geht zur Tür, bevor wir überhaupt begriffen haben, was er gesagt hat, öffnet sie, schaut uns an und erklärt: »Ich gehe selbst zur Polizei!« Dann schließt er die Tür hinter sich.
Wir schauen uns betroffen an, eine ganze Weile schauen wir uns schweigend und bestürzt an.
»Er hat den Verstand verloren«, ruft Mariana dann ängstlich.
»Nein, er ist krank«, widerspreche ich.
»Vielleicht ist er aber wirklich der Mörder«, vermutet Tolba Marzuq. »Aber doch nicht dieser zurückhaltende, höfliche junge Mann«, protestiert Mariana.
»Kein Zweifel, er ist krank«, wiederhole ich mitleidig. »Warum sollte er ihn denn ermordet haben?« fragt Mariana. »Und warum sollte er freiwillig gestehen, daß er der Mörder ist?« stellt Tolba Marzuq die Gegenfrage.
»Ich sehe immer noch sein Gesicht vor mir«, sagt Mariana, »irgend etwas hat ihn aus dem Gleichgewicht gebracht.«
»Er hat jedenfalls noch zu allerletzt hier eine Auseinandersetzung mit ihm gehabt«, bekräftigt Tolba Marzuq seine Meinung. »Aber hier hatte jeder mit ihm Streit«, wende ich ein. Er weist auf das Zimmer von Zuchra und sagt: »Dort liegt die Ursache!«
»Er war aber doch der einzige, der ihr keine besondere Aufmerksamkeit geschenkt hat«, protestiere ich.
»Das heißt doch nicht, daß er sie nicht geliebt hat oder daß er nicht den Wunsch verspürt hätte, an einem Nebenbuhler Rache zu nehmen.«