Выбрать главу

Der Hund war abgerichtet worden, diese beiden Getränke zu holen, und die treue Seele erkannte den Unterschied zwischen den Worten >Bier< und >Coke< meistens und konnte den Befehl bis zur Küche im Gedächtnis behalten. Selten einmal vergaß er ihn unterwegs und kam mit dem falschen Ge -tränk zurück. Noch seltener war, daß er seltsame Gegenstände brachte, die nichts mit dem erteilten Befehl zu tun hatten: einen Hausschuh; eine Zeitung; zweimal einen ungeöffneten Beutel Hundekuchen; einmal ein hartgekochtes Ei, das er so behutsam zwischen den Zähnen hielt, daß die Schale nicht einen Riß hatte; und am seltsamsten, einmal eine Klosettbürste aus dem Arsenal der Haushälterin. Wenn er etwas Falsches gebracht hatte, machte Moose es beim zweitenmal immer richtig.

Harry war schon vor langer Zeit zu der Überzeugung gekommen, daß der Hund sich häufig gar nicht irrte, sondern einen Spaß mit ihm machte. Sein enger Umgang mit dem Hund hatte die Gewißheit in ihm hervorgerufen, daß Hunde einen Sinn für Humor besaßen.

Diesesmal hatte er sich weder geirrt noch einen Witz gemacht, sondern das gebracht, was ihm gesagt worden war. Als Harry die Dose Coors sah, wurde er noch durstiger.

Er schaltete die Taschenlampe aus und sagte: »Guter Junge. Guter, guter, guuuter Hund.«

Moose winselte glücklich. Er saß aufmerksam neben dem Stuhl in der Dunkelheit und wartete darauf, daß er auf einen weiteren Botengang geschickt würde.

»Geh, Moose. Leg dich hin. Guter Hund.«

Der Labrador schlich enttäuscht in eine Ecke und rollte sich auf dem Boden zusammen, während sein Herr wieder die Nacht, die Nachbarschaft und damit seine weitläufige Familie beobachtete.

Die Gosdales und Kaisers spielten immer noch Karten.

In Callans Bestattungsinstitut bewegte sich nur wabernder Nebel.

Einen Block südlich der Conquistador und momentan von den Bürgersteiglampen am Sternback-Haus beleuchtet, schlenderte Ray Chang, der Inhaber des einzigen Fernseh-und Elektronikhandels der Stadt, in diese Richtung. Er führte seinen Hund Jack, einen Apportierhund, Gassi. Sie gingen gemächlichen Schrittes, und Jack schnupperte an jedem Baum am Gehweg und suchte nach dem richtigen, um sich zu erleichtern.

Die Ruhe und Vertrautheit all dieser Szenen freute Harry, aber diese Stimmung wurde unvermittelt zunichte gemacht, als er seine Aufmerksamkeit durch das Nordfenster zum Haus der Simpsons wandte. Ella und Denver Simpson bewohnten ein cremefarbenes spanisches Haus mit Ziegeldach auf der anderen Seite der Conquistador und zwei Blocks nördlich, gleich nach dem katholischen Friedhof und einen Block diesseits der Ocean Avenue. Im Friedhof stand Harry nichts im Weg - abgesehen vom Teil eines Baumes -, daher konnte er die Fenster an zwei Häuserseiten genau, wenn auch in einem Winkel, überblicken. Er richtete das Teleskop aufs erleuchtete Küchenfenster. Als das Bild im Teleskop sich von einem verschwommenen Wirrwarr zu einem scharfen Motiv kristallisierte, sah er Ella Simpson, die gegen den Kühlschrank gepreßt war, mit ihrem Mann kämpfen; sie wand sich in seinem Griff, krallte nach seinem Gesicht und schrie.

Ein Schauer lief Harrys kriegsverletztes Rückgrat entlang.

Er wußte sofort, daß das, was sich da im Haus der Simpsons abspielte, mit anderen beunruhigenden Dingen, die er in letzter Zeit gesehen hatte, in Zusammenhang stand. Denver war Postmeister von Moonlight Cove, Ella führte einen erfolgreichen Schönheitssalon. Beide waren Mitte Dreißig, eines der wenigen hiesigen farbigen Ehepaare, und soweit Harry wußte, waren sie glücklich verheiratet. Ihr handgreiflicher Konflikt war so ungewöhnlich, daß er mit anderen unerklärlichen und geheimnisvollen Ereignissen, die Harry in letzter Zeit gesehen hatte, in Verbindung stehen mußte.

Ella befreite sich von Denver. Sie kam aber nur einen linkischen Schritt von ihm weg, dann schlug er mit der Faust nach ihr. Der Schlag erwischte sie am Hals. Sie fiel hin. Schwer.

In Harrys Schlafzimmer spürte Moose in der Ecke die innere Anspannung seines Herrn. Der Hund hob den Kopf und schnaubte einmal, zweimal.

Harry, der sich auf dem Stuhl nach vorne gebeugt hatte und förmlich am Okular klebte, sah zwei Männer aus einem Teil der Küche der Simpsons kommen, der außerhalb der Fensterlinie lag. Sie trugen zwar keine Uniformen, aber er erkannte Mitglieder der Polizei von Moonlight Cove in ihnen: Paul Hawthorne und Reese Dorn. Ihre Anwesenheit bestätigte Harrys Intuition, daß dieser Zwischenfall Teil eines bizarren Musters von Gewalt und Verschwörung war, das ihm in den vergangenen Wochen zunehmend deutlicher geworden war. Er wünschte sich nicht zum ersten Mal, er könnte herausbekommen, was in dieser einst so friedlichen Stadt vor sich ging. Hawthorne und Dorn hoben Ella vom Boden auf und hielten sie fest zwischen sich. Sie schien nur halb bei Bewußtsein und benommen von dem Schlag zu sein, den ihr ihr Mann verpaßt hatte.

Denver sagte etwas zu Hawthorne, Dorn oder seiner Frau. Es war nicht auszumachen, zu wem. Sein Gesicht war von einer so durchdringenden Wut verzerrt, daß Harry fröstelte.

Ein dritter Mann kam hinzu, der schnurstracks zum Fenster trat und die Vorhänge zuzog. Vom Meer wehte eine dichte Nebelschwade herein und trübte den Blick, aber Harry erkannte auch diesen Mann: Dr. lan Fitzgerald, der älteste der drei Ärzte von Moonlight Cove. Er hatte seit fast dreißig Jahren seine Praxis in der Stadt und wurde liebevoll Doc Fitz genannt. Er war Harrys eigener Arzt, ein stets gütiger und teilnahmsvoller Mann, aber im Augenblick sah er kälter als ein Eisberg aus. Kurz bevor die Vorhänge zugezogen waren, sah Harry Doc Fitz direkt ins Gesicht und sah verkniffene Züge und stechende Augen, die überhaupt nicht zu dem Mann paßten; dank des Teleskops schien Harry nur einen Schritt von dem Arzt entfernt zu stehen, und er sah ein bekanntes Gesicht, das zugleich das eines völlig Fremden war.

Da er nicht mehr in die Küche sehen konnte, suchte er den Rest der Hausfassade ab. Er drückte sich zu fest gegen das Teleskop, dumpfe Schmerzen strahlten von den Augenhöhlen über das ganze Gesicht ab. Er verfluchte den wallenden Nebel, versuchte aber, sich zu entspannen.

Moose winselte fragend.

Nach einer Minute ging in einem Zimmer an der südöstli-chen Ecke im zweiten Stock des Simpson-Hauses das Licht an. Harry zoomte sofort auf dieses Fenster. Das Schlafzimmer. Er sah trotz des verhüllenden Nebels, wie Hawthorne und Dorn Ella aus dem oberen Flur hereintrugen. Sie warfen sie auf die über das große Ehebett gebreitete blaue Steppdecke.

Denver und Doc Fitz folgten ihnen ins Zimmer. Der Arzt stellte die schwarze Ledertasche auf den Nachttisch. Denver zog die Vorhänge des vorderen Fensters zur Conquistador Avenue hinaus zu, dann kam er zum Fenster an der Friedhofseite, durch das Harry hineinsah. Denver starrte einen Augenblick in die Nacht, und Harry hatte das unheimliche Gefühl, als könnte der Mann ihn sehen, obwohl er zwei Blocks entfernt war, als würde er über die Sehfähigkeit von Superman verfügen, über ein eingebautes biologisches Teleskop. Dasselbe Gefühl hatte Harry schon bei anderen Gelegenheiten gehabt, wenn er >Auge-in-Auge< mit anderen Menschen war, schon lange bevor die seltsamen Ereignisse in Moonlight Cove angefangen hatten; daher wußte er, daß Denver ihn gar nicht sehen konnte. Aber er war trotzdem erschrocken. Dann zog der Postmeister auch diese Vorhänge vor, aber nicht so dicht, wie er es hätte tun sollen, denn er ließ einen fünf Zentimeter breiten Spalt zwischen den Hälften offen.

Harry, der inzwischen zitterte und schweißnaß war, wechselte die Okulare, justierte die Vergrößerung des Teleskops und versuchte, den Brennpunkt schärfer zu stellen, bis er das Fenster so nahe herangeholt hatte, daß der schmale Schlitz zwischen den Vorhängen das gesamte Bild ausfüllte. Er schien nicht nur am Fenster zu sein, sondern dahinter, schien hinter den Vorhängen im Schlafzimmer zu stehen.