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Sie saß eine Weile im Bett und lauschte den fernen Geräuschen im Motel. Jetzt hörte sich jeder Laut seltsam und bedrohlich an. Sie fragte sich, welchen Zusammenhang, wenn überhaupt, ihr beunruhigendes Erlebnis mit Janices Tod vor drei Wochen haben könnte.

20

Nachdem sie mehrere Stunden in dem Abflußrohr unter der Hangwiese verbracht hatte, wurde Chrissie Foster von Klaustrophobie geplagt. Sie war viel länger in der Vorratskammer neben der Küche eingesperrt gewesen, und die war kleiner, aber das pechschwarze Betonrohr war ungleich schlimmer. Vielleicht fühlte sie sich deshalb beengt und eingesperrt, weil die Tatsache, daß sie den ganzen Tag und den größten Teil in engen Plätzen verbracht hatten, einen kumulativen Effekt hatte.

Vom Superhighway weit oben, wo das Abflußsystem seinen Anfang hatte, drang das laute Dröhnen von Trucks durch die Rohre, was Bilder von fauchenden Drachen in ihrem Verstand weckte. Sie preßte die Hände auf die Ohren, um das Geräusch zu verdrängen. Manchmal lagen die Ge -räusche der Trucks weit auseinander, aber gelegentlich kamen auch sechs, acht oder ein Dutzend hintereinander, dann wurde das anhaltende Dröhnen bedrückend und nervtötend.

Vielleicht hatte ihr Wunsch, aus dem Rohr herauszukommen, auch etwas mit der Tatsache zu tun, daß es unterir-disch lag. Chrissie, die im Dunkeln kauerte, den Trucks und in der zwischen ihnen liegenden Stille nach Anzeichen der Rückkehr ihrer Eltern oder Tucker lauschte, kam sich wie in einem Betonsarg vor - wie lebendig begraben.

Sie las laut aus-dem imaginären Buch über ihre eigenen Abenteuer vor und sagte: »Die junge Chrissie konnte nicht wissen, daß die Leitung bald einstürzen und sich mit Erde füllen, sie zerquetschen und für immer gefangenhalten würde wie einen Käfer.«

Sie wußte, sie sollte bleiben, wo sie war. Vielleicht suchten sie immer noch auf der Wiese oder im Wald nach ihr. Im Rohr war sie sicherer als draußen.

Aber sie war mit einer blühenden Fantasie gestraft. Sie war zwar zweifellos die einzige in diesem licntlosen Ge -bäude, in dem sie kauerte, aber sie stellte sich dennoch unerwünschte Gesellschaft in zahllosen Formen vor: sich windende Schlangen, ganze Hundertschaften Spinnen, Küchenschaben, Ratten, Schwärme bluttrinkender Fledermäuse. Schließlich fragte sie sich, ob im Lauf der Jahre nicht einmal ein Kind in diesen Tunnel gekrochen sein mochte, um zu spielen; es hätte sich im Netz der Rohre verirren und un-entdeckt hier sterben können. Seine Seele wäre selbstverständlich hier zurückgeblieben, weil sein Tod so unangemessen früh erfolgt war, und die Seele nicht durch ein ordentliches Begräbnis befreit worden war. Vielleicht belebte sein Geist gerade die toten Gebeine und schleifte den verwesten, von der Zeit ausgetrockneten Leichnam in ihre Richtung, wobei Stückchen ledrigen, halb versteinerten Fleisches abbröckelten. Chrissie war elf Jahre alt und für ihr Alter sehr reif, daher sagte sie sich immer wieder, daß es keine Gespenster gab, aber dann mußte sie an ihre Eltern und Tucker denken, die zu einer Art von Werwölfen geworden zu sein schienen, um Gottes willen, und wenn große Trucks auf der Autobahn vorüberfuhren, wagte sie kaum noch, sich die Ohren zuzuhalten, weil sie fürchtete, das tote Kind könnte im Schutz des Lärms näher und näher herankriechen.

Sie mußte hinaus.

21

Als er die finstere Garage verließ, in der er vor der Bande jugendlicher Krimineller im Drogenrausch - denn als solche betrachtete er sie mittlerweile; (er wußte keine andere Erklärung) Zuflucht gesucht hatte, lief Sam Booker direkt zur Ocean Avenue und ging unterwegs noch ganz kurz in die Knight's Bridge Tavern, wo er einen Sechserpack Guinness Stout zum Mitnehmen kaufte.

Später saß er in einem Zimmer im Cove Lodge an dem kleinen Tisch und trank Bier, während er über die Fakten des Falles nachdachte. Am 5. September waren drei Organisatoren der Nationalen Farmerarbeitergewerkschaft - Julio Bustamente, seine Schwester Maria Bustamente und Roman Sanchez, Marias Verlobter - von den Weinanbaugebieten, wo sie mit den Winzern Gespräche über die bevorstehende Ernte geführt hatten, nach Süden gefahren. Sie fuhren einen vier Jahre alten braunen Chevy-Lieferwagen. Sie gingen in Moonlight Cove essen. Sie hatten im Perez Family-Restau-rant gegessen und zu viele Margaritas getrunken (wie Kellner und Gäste des Perez an jenem Abend aussagten), und sie hatten auf dem Rückweg zur Autobahn eine gefährliche Kurve zu schnell genommen; der Lieferwagen hatte sich überschlagen und Feuer gefangen. Keiner der drei hatte überlebt.

Die Geschichte hätte vielleicht standgehalten, und das FBI wäre vielleicht nie in die Ermittlungen eingeschaltet worden, wären da nicht ein paar Unstimmigkeiten gewesen. Zunächst einmal war laut Polizeibericht von Moonlight Cove Julio Bustamente gefahren. Aber Julio hatte in seinem ganzen Leben noch kein Auto gefahren; außerdem war es unwahrscheinlich, daß er das nach Einbruch der Dunkelheit getan haben würde, denn er litt an einer Form von Nachtblindheit. Darüber hinaus waren laut der in dem Bericht angeführten Zeugenaussagen alle - Julio und Maria und Ra-mon - betrunken gewesen, aber niemand, der Julia oder Ramon kannte, hatte sie je vorher betrunken gesehen, und Maria war Zeit ihres Lebens Antialkoholikerin gewesen.

Das Verhalten der Behörden von Moonlight Cove machte die Familien Sanchez und Bustamente stutzig. Sie wurden erst am 10. September, fünf Tage nach dem Unglück, von den drei Todesfällen in Kenntnis gesetzt. Polizeichef Loman Watkins hatte erklärt, daß die Ausweise von Julio, Maria und Ramon bei dem Feuer vernichtet worden und die Leichen zu verkohlt waren, um eine schnelle Identifizierung anhand von Fingerabdrücken zu ermöglichen. Was war mit dem Nummernschild des Lieferwagens? Seltsamerweise hatte Loman weder am Fahrzeug noch in der Umgebung der Unfallstelle eines gefunden. Da er es mit drei böse verstümmelten und verbrannten Leichen zu tun hatte und die Verwandten nicht rechtzeitig in Kenntnis setzen konnte, hatte er den Gerichtsmediziner Dr. lan Fitzgerald ermächtigt, die Totenscheine auszufüllen und die Leichen anschließend durch Einäschern zu beseitigen. »Sie müssen verstehen, daß wir nicht über die Einrichtung einer großstädtischen Leichenhalle verfügen«, hatte Watkins erklärt. »Wir können Leichen nicht über längere Zeit hinweg aufbewahren, und wir konnten unmöglich wissen, wieviel Zeit wir brauchen würden, diese Leute zu identifizieren. Wir dachten, es könnte sich um Obdachlose oder gar illegale Einwanderer handeln, und in diesem Fall hätten wir sie nie identifizieren können.«

Hübsch, dachte Sam grimmig, während er sich in dem Sessel zurücklehnte und einen großen Schluck Guinness trank.

Drei Menschen waren eines gewaltsamen Todes gestorben, waren als Opfer eines Unfalls eingestuft und eingeäschert worden, bevor ihre Verwandten informiert wurden, bevor andere Behörden eingeschaltet worden waren, um anhand modernster gerichtsmedizinischer Verfahren herauszufinden, ob die Totenscheine und Polizeiberichte tatsächlich die ganze Wahrheit enthielten.

Die Familien Sanchez und Bustamente vermuteten eine Vertuschungsaktion, die Nationale Farmarbeitergewerkschaft war dessen ganz sicher. Am 12. September beantragte der Präsident der Gewerkschaft die Unterstützung des Fede-ral Bureau of Investigation mit der Begründung, daß antigewerkschaftliche Kräfte für den Tod von Bustamente, Busta-mente und Sanchez verantwortlich wären. Mord fiel im allgemeinen nur dann in die Zuständigkeit des FBI, wenn der mutmaßliche Mörder eine Staatsgrenze überschritten hatte, um die Tat zu begehen, oder während einer Untersuchung oder um nach der Tat einer Bestrafung zu entgehen; oder wenn die Bundesbehörden, wie in diesem Fall, Anlaß zu der Vermutung hatten, daß der Mord als Folge der absichtlichen Verletzung der Bürgerrechte des Opfers begangen worden war.