Loman stieg in den Streifenwagen ein und ließ den Motor an. Der kompakte Monitor leuchtete auf der Stelle sanft grün auf. Die Computerverbindung war an der Konsole zwischen den Vordersitzen montiert. Sie fing an zu blinken, was bedeutete, daß das HQ eine Nachricht für ihn hatte -die sie nicht über den Polizeifunk durchgeben wollten, den jeder leicht abhören konnte.
Obwohl er schon seit ein paar Jahren mit durch Mikrowellen verbundenen mobilen Computern arbeitete, war er manchmal immer noch überrascht, wenn er in den Streifenwagen einstieg und das VDT aufleuchten sah. In Großstädten wie Los Angeles waren die meisten Streifenwagen schon seit fast einem Jahrzehnt mit Computerverbindungen zur zentralen Polizeidatenbank ausgerüstet, aber in kleineren Städten waren diese elektronischen Wunder noch selten, und in Orten wir Moonlight Cove waren sie gar verschwindend gering. Seine Einheit verfügte, nicht nur weil die Ge -meindekassen überquollen, über Technologie auf dem neuesten Stand der Technik, sondern weil New Wave - unter anderem einer der Marktführer, was mikrowellenverbundene Datensysteme anbetraf - die Polizei mit selbstentwickelter Hard- und Software ausgerüstet hatte und das System ständig erneuerte, da sie die Polizei von Moonlight Cove gewissermaßen als Testversuch für jede Verbesserung ansahen, die sie einmal in ihre Produkte einbauen wollten.
Das war eine der Methoden, durch die sich Thomas Shad-dack in die Machtstruktur der Gemeinde infiltriert hatte, noch bevor er durch das Projekt Moonhawk nach totaler Macht griff. Damals war Loman naiv genug gewesen zu glauben, daß New Waves Großzügigkeit ein Segen wäre. Heute wußte er es besser.
Mit dem mobilen VDT konnte Loman sich in den Zentralcomputer im Hauptquartier in der Jacobi Street, einen Block südlich von der Ocean Avenue, einschalten und jede Information in der Datenbank erhalten oder mit dem diensthabenden Funker >sprechen<, der mit dem Computer fast ebenso mühelos mit ihm in Verbindung treten konnte wie über Polizeifunk. Zudem konnte er gemütlich im Streifenwagen sitzen und den Computer der Kraftfahrzeugbehörde in Sac-ramento anfunken, um Auskunft über ein Nummernschild zu erhalten, oder die Datenbank der Gefängnisaufsichtsbehörde in derselben Stadt, um Informationen über einen bestimmten Häftling abzurufen, oder jeden anderen Computer, der ans nationale elektronische Netz der Verbrechensbekämpfung angeschlossen war.
Er rückte den Gurt zurecht, weil er auf dem Revolver saß.
Er gab mit der Tastatur unter dem Displayterminal seine Kennziffer ein und bekam so Zugang zum System.
Die Zeiten, als alle Ermittlungen Beinarbeit der Polizei erfordert hatten, waren schon Mitte der achtziger Jahre zu Ende gegangen. Heute waren nur noch Fernsehpolizisten wie Hunter gezwungen, für die kleinsten Einzelheiten hin und her zu fahren, weil das dramatischer war als eine Beschreibung der High-Tech-Wirklichkeit. Mit der Zeit, dachte Wat-kins, lief der Plattfuß Gefahr, zum Plattarsch zu werden, weil Polizisten stundenlang vor den mobilen VDTs oder am Schreibtisch im Hauptquartier sitzen würden.
Der Computer akzeptierte seine Ziffer.
Das VDT hörte auf zu blinken.
Wenn alle Menschen Neue Menschen geworden und die Probleme mit den Regressiven gelöst worden waren, würde es natürlich keine Verbrechen mehr geben, und die Polizei würde überflüssig werden. Viele Verbrechen entstanden durch soziale Ungerechtigkeit, aber in der bevorstehenden neuen Welt würden alle Menschen gleich sein, so gleich wie eine Maschine der anderen, sie würden alle dieselben Ziele und Begierden und keine widerstreitenden oder konkurrierenden Bedürfnisse haben. Viele Kriminelle waren genetisch belastet, ihr soziopathisches Verhalten buchstäblich in den Chromosomen kodiert; aber die Neuen Menschen würden, abgesehen von regressiven Elementen unter ihnen, in perfektem genetischem Zustand sein. Das jedenfalls war Shad-dacks Vision.
Manchmal fragte sich Loman Watkins, wo in diesem Plan der freie Wille blieb. Vielleicht nirgends. Manchmal schien es ihm einerlei zu sein, ob es ihn gab oder nicht. Dann wieder machte ihm seine Unfähigkeit zu empfinden... nun, sie machte ihm eine Heidenangst.
Wortreihen tauchten von links nach rechts auf dem Bildschirm auf, eine Zeile nach der anderen, hellgrüne Buchstaben auf schwarzem Grund:
FÜR: LOMAN WATKINS SENDER: SHADDACK
JACK TURNER HAT SICH NICHT VON DEN FOSTERS ZURÜCKGEMELDET. NIEMAND GEHT DORT ANS TELEFON. DRINGENDE KLÄRUNG DER SITUATION ERFORDERLICH. ERWARTE IHREN BERICHT.
Shaddack hatte von seinem eigenen Computer in seinem Haus an der nördlichen Spitze der Bucht direkten Zugang zum Computer der Polizei. Er konnte Botschaften für Wat-kins oder jeden anderen Mann durchgeben, die außer dem Empfänger niemand abrufen konnte.
Der Bildschirm wurde leer.
Loman Watkins löste die Handbremse, legte den Gang ein und fuhr in Richtung der Foster-Stallungen, obwohl die außerhalb der Gemarkung und damit nicht mehr in seinem Zuständigkeitsbereich lagen. Er kümmerte sich nicht mehr um Hoheitsgebiete und gesetzliche Vorgehensweisen. Er war nur noch Polizist, weil das eine Rolle war, die er spielen mußte, bevor die ganze Stadt die Verwandlung hinter sich hatte. Die alten Regeln galten nicht mehr für ihn, weil er ein Neuer Mensch war. Noch vor ein paar Monaten hätte ihn eine solche Mißachtung des Gesetzes abgestoßen, aber inzwischen rührten ihn seine Arroganz und die Verachtung für die Gesellschaft der Alten Menschen überhaupt nicht mehr.
Meistens rührte ihn überhaupt nichts mehr. Tag für Tag, Stunde für Stunde wurde er weniger emotional.
Abgesehen von der Angst, die sein neues angehobenes Bewußtseinsstadium immer noch zuließ: Angst, weil sie ein Überlebensmechanismus und damit auf eine Weise nützlich war, wie es Liebe und Freude und Hoffnung und Hingabe nicht waren. Er hatte Angst davor, das Projekt Moonhawk könnte irgendwie der Öffentlichkeit enthüllt und zunichte gemacht werden - und er mit ihm. Er hatte Angst vor Shad-dack, seinem neuen Herrn und Meister. Manchmal, in flüchtigen, düsteren Augenblicken, hatte er sogar Angst vor sich selbst und vor der bevorstehenden neuen Welt.
24
Moose döste in einer Ecke des dunklen Schlafzimmers. Er schnaufte im Schlaf, weil er möglicherweise in einen Traum Kaninchen mit buschigen Schwänzen jagte - obwohl er als guter Behindertenhund wahrscheinlich sogar in seinen Träumen Botengänge für seinen Herrn erledigte. Harry, der am Fenster in seinem Stuhl festgeschnallt war, beugte sich über das Teleskop und studierte den Hinterhof von Callans Bestattungsinstitut an der Juniper Lane, wo der Leichenwagen gerade vorgefahren war. Er beobachtete Victor Callan und Ned Ryedock, den Assistenten des Unternehmers, wie sie mit der Rollbahre einen Leichnam aus dem schwarzen Cadillac in den Einbalsamierungs- und Krematoriumsflügel beförderten. Die Leiche, die sich in einem nur halb geschlossenen schwarzen Plastiksack befand, war so klein, daß es sich um ein Kind handeln mußte. Sie machten die Tür hinter sich zu, und Harry konnte nichts mehr sehen.
Manchmal ließen sie die Rolläden an den beiden hohen, schmalen Fenstern oben, dann konnte Harry aus seiner hohen Position in das Zimmer sehen, bis zu dem geneigten und mit Abflußrinnen versehenen Tisch, auf dem die Toten einbalsamiert und für die Aufbahrung vorbereitet wurden. Dann konnte er viel mehr sehen als er sehen wollte. Aber heute waren die Rolläden bis zu den Fenstersimsen heruntergelassen.
Er verlagerte seinen Sehbereich ganz langsam südwärts den schmalen nebelverhangenen Zufahrtsweg zum Institut entlang, der zwischen Conquistador und Jumper verlief. Er suchte nicht nach etwas Bestimmten, sondern sondierte nur langsam, als er ein paar grokeske Gestalten sah. Sie waren schnell und dunkel und liefen den Weg entlang zu dem unbebauten Grundstück neben dem Bestattungsinstitut; sie rannten weder auf allen vieren noch aufrecht, obwohl doch mehr ersteres als letzteres.