Loman stieg ins Auto ein und schlug die Tür zu. Er ließ den Motor an und machte die Heizung an, um seinen schweißgekühlten Körper zu wärmen.
Der Computerschirm leuchtete auf und wartete auf Benutzung.
Um das Projekt Moonhawk zu schützen - das, mit Makeln behaftet oder nicht, die einzige Hoffnung auf eine Zukunft für ihn bot -, mußte er davon ausgehen, daß das Mädchen, Christine, entkommen war und die Fosters und Tucker sie nicht erwischt hatten. Er mußte dafür sorgen, daß Männer unauffällig an der Landstraße und auf den Straßen, die von Norden nach Moonlight Cove hineinführten, Wache standen. Wenn das Mädchen in die Stadt kam und Hilfe suchte, konnten sie sie festnehmen. Sie würde mit ihrer Geschichte von den besessenen Eltern höchstwahrscheinlich sowieso unwissend zu einem der Neuen Menschen gehen, und das wäre ihr Ende. Und selbst wenn sie zu Leuten kam, die noch nicht verwandelt waren, würde ihr wahrscheinlich niemand ihre wilde Geschichte glauben. Aber er konnte es sich nicht leisten, ein Risiko einzugehen.
Er mußte mit Shaddack über Verschiedenes reden und sich um mehrere Polizeiaufgaben kümmern.
Und er brauchte etwas zu essen.
Er war unmenschlich hungrig.
27
Etwas stimmte nicht, etwas stimmte nicht, etwas, etwas.
Mike Peyser war durch den dunklen Wald zu seinem Haus am südöstlichen Stadtrand geschlichen, durch die wilden Hügel und Bäume herab, verstohlen und wachsam, listig und schnell, nackt und behende, er kehrte von der Jagd zurück, Blut im Mund, immer noch erregt, aber müde, nachdem er zwei Stunden lang mit seiner Beute gespielt hatte, und jetzt stahl er sich vorsichtig an den Häusern der Nachbarn vorbei, von denen manche zu seiner Art gehörten und manche nicht. Die Häuser in dieser Gegend standen weit auseinander, daher fiel es ihm ziemlich leicht, von Schatten zu Schatten, von Baum zu Baum zu schleichen, durch das hohe Gras, dicht am Boden, im Schütze der Nacht, geschwind und behende, still und behende, nackt und still, kräftig und geschwind, direkt zur Veranda seines einstöckigen Hauses, wo er alleine lebte, durch die unverschlossene Tür, in die Küche, immer noch den Geschmack von Blut im Mund, Blut, herrliches Blut, im Hochgefühl der Jagd, aber auch froh, wieder daheim zu sein, aber...
Etwas war falsch.
Falsch, falsch, Gott, er verbrannte, war voller Feuer, heiß, verbrannte, brauchte Essen, Nahrung, Treibstoff, Treibstoff, und das war normal, damit hatte man rechnen können - die Bedürfnisse seines Körpers waren immens, wenn er in diesem veränderten Stadium war -, aber das Feuer war nicht falsch, nicht das innere Feuer, nicht das hektische und allumfassende Verlangen nach Nahrung. Falsch war, er konnte nicht, konnte nicht, konnte nicht...
Er konnte sich nicht zurückverwandeln.
Erregt von den außerordentlichen geschmeidigen Bewegungen seines Körpers, von der Art und Weise, wie sich seine Muskeln streckten und spannten, streckten und spannten, so betrat er das dunkle Haus, wo er auch ohne Licht genügend sah, vielleicht nicht so gut wie eine Katze, aber besser als ein Mensch, denn er war jetzt mehr als ein Mensch, und er streifte ein paar Minuten durch die Zimmer, lautlos und geschwind, hoffte fast, er würde einen Eindringling finden, jemanden zum Zerfetzen, jemanden zum Zerfetzen, zerfetzen, jemanden zum Zerfetzen, zu beißen und zu reißen, aber das Haus war verlassen. Im Schlafzimmer ließ er sich auf den Boden nieder, rollte sich auf die Seite und rief seinen Körper in die Gestalt zurück, die sein Geburtsrecht war, in die vertraute Gestalt von Mike Peyser, in die Form eines Mannes, der aufrecht ging und wie ein Mensch aussah, und er spürte in sich den Sog in Richtung des Normalen, eine Verlagerung im Zellgewebe, aber keine ausreichende Verlagerung, dann ein Zurückgleiten, zurück, wie eine zurückweichende Flut, die sich vom Ufer entfernt, fort, fort vom Normalen, daher versuchte er es erneut, aber diesesmal fand überhaupt keine Verlagerung statt, nicht einmal eine ansatzweise Rückkehr zu dem, was er gewesen war. Er saß fest, war gefangen, eingesperrt, eingesperrt, in eine Gestalt eingesperrt, die zuvor die Essenz der Freiheit und somit unendlich erstrebenswert gewesen war, aber jetzt war es überhaupt keine erstrebenswerte Gestalt mehr, weil er sie nicht mehr abstreifen konnte, weil er darin gefangen war, gefangen, und er geriet in Panik.
Er sprang auf und eilte aus dem Zimmer. Obwohl er im Dunkeln ziemlich gut sehen konnte, streifte er eine Stehlampe, die polternd und mit dem Geräusch berstenden Glases umstürzte, aber er lief weiter in den kurzen Flur, ins Wohnzimmer. Ein Flickenteppich rutschte unter ihm weg. Er fühlte sich wie im Gefängnis; sein Körper, sein eigener, verwandelter Körper, war zu seinem Gefängnis geworden, seinem Gefängnis; verwandelte Knochen dienten als Gitterstäbe, Gitter, die ihn drinnen gefangenhielten; sein eigenes umgestaltetes Fleisch hielt ihn fest. Er durchstreifte das Zimmer, hierhin, dorthin, streifte verzweifelt, panisch. Die Vorhänge wehten im Wind seines Laufens. Er wand sich zwischen den Möbelstücken. Ein Tischchen fiel in seinem Kielwasser um. Er konnte laufen, aber nicht entkommen. Er trug sein Gefängnis bei sich. Kein Entkommen. Kein Entkommen. Niemals. Nach dieser Erkenntnis schlug sein Herz noch schneller. Er stieß entsetzt und frustriert den Zeitungsständer um, schüttete den Inhalt aus, fegte einen schweren Aschenbecher aus Glas und zwei dekorative Töpferarbeiten vom Cocktailtisch, riß an den Sofakissen bis er den Stoff und die Schaumstoffüllung darin zerfetzt hatte, woraufhin ein schrecklicher Druck seinen Kopf erfüllte; Schmerzen, solche Schmerzen, und er wollte schreien, aber er hatte Angst davor, zu schreien, weil er fürchtete, er würde nicht mehr aufhören können. Nahrung.
Treibstoff.
Das Feuer löschen, das Feuer löschen.
Plötzlich wurde ihm klar, daß das Unvermögen, in seine natürliche Gestalt zurückzukehren, mit einer ernsten Verknappung der Energiereserven zusammenhängen könnte, die erforderlich waren, die gewaltigen Umschichtungen seines mit der Umwandlung einhergehenden Stoffwechsels herbeizuführen. Um das zu tun, was er verlangte, mußte sein Körper enorme Mengen Enzyme, Hormone und komplexe, biologisch aktive Chemikalien erzeugen; der Körper mußte sich innerhalb von Minuten einer erzwungenen Degeneration und einem Wiederaufbau von Gewebe unterziehen, dessen Energieverbrauch dem von jahrelangem Wachstum entsprach, und dafür brauchte er Treibstoff, Material, das er umwandeln konnte, Proteine und Mineralstoffe, Kohlenhydrate in großer Menge.
Hungrig, ausgehungert, ausgehungert, eilte Peyser in die unbeleuchtete Küche, umklammerte den Griff der Kühlschranktür, zog sich in die Höhe, riß die Kühlschranktür auf, zischte, als ihm das Licht in die Augen stach, sah zwei Drittel einer Drei-Pfund-Dose Schweineschinken, solider Schinken, guter Schinken, auf einem blauen Teller in Frischhaltefolie eingewickelt, und er ergriff ihn, riß das Zellophan weg, warf den Teller fort, der an einer Schranktür zerschellte, ließ sich auf den Boden fallen, biß in das Schinkenstück, biß hinein, biß, tief, zog, kaute fieberhaft, biß tief hinein.
Es gefiel ihm, nach Einbruch der Dunkelheit so schnell wie möglich die Kleidung abzustreifen, in den Wald hinter dem Haus zu laufen, in die Berge hinauf, wo er Kaninchen und Waschbären, Füchse und Erdhörnchen jagte, sie mit den Händen zerriß, mit den Zähnen, das Feuer löschte, das tiefe innere Brennen, und es gefiel ihm, gefiel ihm, nicht nur, weil er in dieser Inkarnation eine solche Freiheit empfand, sondern auch, weil sie ihm ein überwältigendes Gefühl der Macht gab, gottgleicher Macht, intensiver und erotischer als Sex, befriedigender als alles, was er jemals vorher erlebt hatte, Macht, wilde Macht, unbändige Macht, die Macht eines Mannes, der die Natur gezähmt, seine genetischen Grenzen überwunden und die Macht von Wind und Sturm erlangt hatte, der frei von allen menschlichen Unzulänglichkeiten war, losgelassen, befreit. Er hatte heute nacht gegessen, war mit der Zuversicht eines unentrinnbaren Raubtiers durch die Wälder gestreift, das so unwiderstehlich wie die Dunkelheit selbst war, aber was immer er verzehrt hatte, schien nicht auszureichen, seine Rückkehr in die Gestalt von Michael Peyser, Softwaredesigner, Junggeselle, Porschefahrer, fanatischer Sammler von Filmen auf Laserdisk, Marathonläufer, Perriertrinker, zu bewerkstelligen.