Er nahm ein Paar weiche, geschmeidige Ziegenlederhandschuhe aus einer Jackentasche und zog sie an.
Er wollte sich gerade in Bewegung setzen, als er etwas auf dem Weg hinter sich hörte. Ein schabendes Geräusch. Aus der Richtung, aus der er gekommen war.
Er drückte sich tiefer in die Hecke und drehte sich um, damit er die Ursache des Gbräuschs erkennen könnte. Ein blasser, zerknüllter Pappkarton, etwa doppelt so groß wie eine Schuhschachtel, wurde vom Wind fortgeweht, der immer mehr in den Blättern von Bäumen und Büschen raschelte.
Der Karton prallte gegen die Mülleimer, verfing sich darin und verstummte.
Der Nebel, der vom Wind nach Osten geweht wurde und über den Weg strömte, sah aus wie Rauch, als stünde die ganze Stadt in Flammen. Er blinzelte in den wabernden Dampf und vergewisserte sich zu seiner Zufriedenheit, daß er allein war, dann drehte er sich um und sprintete zum ersten der vier Streifenwagen auf dem offenen Parkplatz.
Er war verschlossen.
Er holte einen Automobilschloßöffner der Polizei aus einer Innentasche, mit dem man ohne weiteres jedes Schloß lösen konnte, ohne den Mechanismus zu beschädigen. Er knackte das Auto, schlüpfte hinter das Lenkrad und machte die Tür so rasch und leise wie möglich zu.
Die Natriumdampflampen warfen genügend Licht ins Wageninnere, daß er sehen konnte, was er tat, obwohl er über genügend Erfahrung verfügte, daß er auch im Dunkeln hätte arbeiten können. Er steckte den Schloßknacker weg und holte aus einer anderen Innentasche einen Zündschloßschraubenzieher heraus. Er schraubte den Zylinder des Zündschlosses innerhalb von Sekunden heraus, so daß die Drähte freilagen.
Dieser Teil gefiel ihm nicht. Um den Videodisplay einzuschalten, der am Armaturenbrett des Autos montiert war, mußte er den Motor anlassen; der Computer war leistungsstärker als ein kleineres Modell und kommunizierte mittels energieintensiver Mikrowellenübertragungen mit der zentralen Datenbank, was soviel Energie erforderte, daß die Batterie dafür nicht in Frage kam. Der Nebel würde die Abgase verbergen, aber nicht den Motorenlärm. Der schwarzweiße Wagen war zwanzig Meter von dem Gebäude entfernt geparkt, daher würde es wahrscheinlich keiner hören. Aber wenn jemand zur Hintertür herauskam, um frische Luft zu schnappen oder mit einem der freien Fahrzeuge wegzufahren, würde der laufende Motor nicht unbemerkt bleiben. Dann würde Sam in eine Klemme geraten, die er - wenn man die ungewöhnliche Zahl gewaltsamer Todesfälle in dieser Stadt bedachte - wahrscheinlich nicht überleben würde.
Er seufzte leise, trat mit dem rechten Fuß das Gaspedal etwas durch, bog die Drähte auseinander und brachte die Kontakte zusammen. Der Motor sprang auf der Stelle und ohne zu keuchen an.
Der Computerschirm leuchtete auf.
Die komplexen Computeranlagen der Polizei wurden kostenlos von New Wave-Mikrotechnologie gestellt, weil diese Moonlight Cove angeblich als Testgebiet für ihre eigenen Systeme und die Software benützten. Die Quelle der Finanzierungen aller anderen Anlagen der Polizei, die nicht so offensichtlich war, ließ sich nicht so einfach feststellen, aber man vermutete, daß sie ebenfalls bei New Wave lag, oder gar bei dem Hauptaktionär und Geschäftsführer, Thomas Shaddack, selbst. Selbstverständlich stand es jedem Bürger frei, seine lokale Polizei oder andere Zweige der Regierung mit erheblichen Steuervorteilen zu unterstützen, aber wenn Shaddack das tat, weshalb stand es dann nicht in den öffentlichen Unterlagen? Kein unschuldiger Mensch gibt mit völliger Selbstaufopferung große Geldsummen an die öffentliche Kasse ab. Wenn Shaddack ein Geheimnis daraus machte, daß er die lokalen Behörden mit Geldern unterstützte, dann konnte man die Möglichkeit gekaufter Polizisten und bestochener Beamter nicht von der Hand weisen. Und wenn die Polizisten von Moonlight Cove im Grunde genommen Soldaten in Thomas Shaddacks Privatarmee waren, folgte daraus, daß die verdächtige Zahl gewaltsamer Todesfälle in letzter Zeit auf diese unheimliche Allianz zurückzuführen sein könnte.
Das VDT im Auto zeigte nun das New Wave-Abzeichen in der unteren rechten Ecke, so wie das IBM-Abzeichen zu sehen gewesen wäre, hätte es sich um eine ihrer Maschinen gehandelt.
Als das San Franciscoer Bureau den Fall Sanchez-Busta-mente untersucht hatte, war einer der besseren Agenten des Bureau, Morris Stein, einmal mit einem Watkins' Beamten, nämlich Reese Dorn, im Streifenwagen gewesen, als Dorn den Zentralcomputer wegen Informationen in den Speichern angegangen war. Da hatte Morris bereits vermutet, daß der Computer komplexer war, als Watkins oder seine Männer preisgaben, und ihnen in einer Weise dienlich war, die die legalen Grenzen der Polizei überschritt und über die sie nicht sprechen wollten. Daher hatte er sich die Codezahl eingeprägt, mit der sich Reese ins System eingeschaltet hatte. Als er nach Los Angeles geflogen war, um Sam vorzubereiten, hatte Moris gesagt: »Ich glaube, in dieser verdrehten kleinen Stadt hat jeder Polizist seine eigene Computerkennziffer, aber die von Dorn dürfte so gut wie jede andere sein. Sam, du mußt dich in ihren Computer einschalten und dir ein paar Menüs geben lassen, herausfinden, was er dir zu bieten hat und etwas damit herumspielen, wenn Watkins und seine Männer dir nicht dabei über die Schulter sehen. Ja, ich höre mich paranoid an, aber sie haben für ihre Größe und Bedürfnisse zuviel High Tech, es sei denn, sie führen etwas Schmutziges im Schilde. Anfangs wirkt die Stadt wie jede andere, vielleicht sogar noch freundlicher und angenehmer, und ziemlich hübsch... aber, verdammt, nach einer Weile hat man das Gefühl, als wäre der gesamte Ort verkabelt, als wäre man überall unter Beobachtung, als würde einem der Große Bruder in jedem verfluchten Augenblick über die Schulter sehen. Bei Gott, nach ein paar Tagen hat man den Eindruck, daß man sich in einem Polizeistaat im Miniaturformat befindet, wo die Kontrolle so subtil ist, daß man sie kaum sieht, aber dennoch umfassend und eisern. Diese Polizisten sind nicht koscher, Sam; sie stecken bis zum Hals in etwas drin - vielleicht Drogenschmuggel, wer weiß -, und der Computer gehört auch dazu.«
Reese Dorns Nummer war 262699, und die tippte Sam jetzt in die Tastatur des VDT ein. Das New Wave-Abzeichen verschwand. Der Bildschirm wurde ein paar Sekunden leer. Dann kam ein Menü.
BITTE WÄHLEN.
A. FUNKER
B. ZENTRALE DATENBANK
C. ANZEIGENTAFEL
D. AUSSENSYSTEM-MODEM
Die erste Möglichkeit verriet Sam, daß ein Polizist auf Streife mit dem Funker im Hauptquartier nicht nur über Polizeifunk Kontakt aufnehmen konnte, mit dem das Auto ausgerüstet war, sondern auch durch die Computerverbindung. Aber warum sollte er sich die Mühe machen und dem Funker Fragen eintippen und die übermittelten Antworten vom VDT ablesen, wenn er die Informationen viel schneller und einfacher über Funk bekommen konnte? Es sei denn... es gab etwas, das die Polizisten nicht auf Funkfrequenz besprechen wollten, die jeder mit einem Funkgerät abhören konnte.
Er stellte die Verbindung zum Funker nicht her, denn dann hätte er eine Unterhaltung anfangen und sich als Reese Dorn ausgeben müssen, und das wäre gewesen, als hätte er gebrüllt: He, ich sitze hier draußen in einem eurer Streifenwagen und stecke meine Nase in Angelegenheiten, die euch nicht gefallen werden, also warum kommt ihr nicht heraus und macht mich fertig?
Statt dessen tippte er B und wurde hineingelassen. Ein weiteres Menü erschien.
BITTE WÄHLEN
A. STATUS - MOMENTAN VERHAFTETE
B. STATUS - MOMENTANE GERICHTSVERHANDLUNGEN
C. STATUS - BEVORSTEHENDE GERICHTSVERHANDLUNGEN
D. FRÜHERE HATFUNTERLAGEN - COUNTY
E. FRÜHERE HATFUNTERLAGEN - STADT
F...ÜBERFÜHRTE KRIMINELLE, DIE IM COUNTY LEBEN
G. ÜBERFÜHRTE KRIMINELLE, DIE IN DER STADT LEBEN