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Chrissie mußte mehrmals von der Straße herunter und im Gebüsch am Straßenrand Schutz suchen, bis ein Auto oder Lastwagen vorbeigefahren war. Eines der Autos war ein Streifenwagen von Moonlight Cove, der in die Stadt fuhr, und sie war ziemlich sicher, daß das genau der war, der zum Haus gefahren war. Sie duckte sich ins hohe Gras und die Löwenzahnblumen, und dort blieb sie, bis die Heckscheinwerfer des schwarzweißen Autos zu winzigen roten Pünktchen geworden waren, die schließlich um eine Kurve herum verschwanden.

Entlang der ersten eineinhalb Meilen dieser asphaltierten Straße standen nur wenige Häuser. Chrissie kannte ein paar Leute, die darin wohnten: die Thomases, die Stones, die Els-wicks. Sie war versucht, zu einem dieser Häuser zu gehen, an die Tür zu klopfen und um Hilfe zu bitten. Aber sie konnte nicht sicher sein, ob die Bewohner noch die netten Leute waren, die sie einmal gewesen waren. Auch sie könnten sich verändert haben, so wie ihre Eltern. Entweder etwas Übernatürliches oder etwas aus dem Weltraum hatte sich der Menschen in und um Moonlight Cove bemächtigt, und sie hatte genügend unheimliche Filme gesehen und unheimliche Bücher gelesen, daß sie wußte, wenn solche Mächte am Werk waren, konnte man gar niemanden mehr trauen.

Sie setzte fast alles auf Pater Castelli von Our Lady of Mer-cy, weil er ein heiliger Mann war und keine Dämonen aus der Hölle ihm etwas anhaben konnten. Falls es sich natürlich um Außerirdische aus einer anderen Welt handelte, würde Pater Castelli nicht dadurch geschützt sein, daß er ein Mann Gottes war.

Wenn Chrissie herausfände, daß der Priester auch übernommen wäre, und es Chrissie gelänge, ihm zu entkommen, dann würde sie direkt zu hrer Lehrerin, Mrs. Irene Tokawa gehen. Mrs. Tokawa war die klügste Person, die Chrissie kannte. Wenn Außerirdische Moonlight Cove übernommen hätten, dann würde Mrs. Tokawa gemerkt haben, daß etwas nicht stimmte, bevor es zu spät wäre. Sie würde Schritte unternommen haben, um sich selbst zu schützen, und sie würde eine der letzten sein, die die Ungeheuer in die Finger bekämen. Finger oder Tentakel oder Klauen oder Scheren, oder was auch immer.

Daher versteckte sich Chrissie vor dem vorüberfahrenden Verkehr, schlich an den vereinzelten Häusern an der Landstraße vorbei und näherte sich so langsam aber beständig der Stadt. Der Mond mit den beiden Spitzen, der manchmal über dem Nebel zu sehen war, hatte den größten Teil seiner Reise über das Himmelszelt hinter sich gebracht; bald würde er untergehen. Eine steife Brise wehte von Westen herein, manchmal fegten Böen heran, die so stark waren, daß sie ihr blondes Haar hochwirbelten wie blonde Flammen, die von ihrem Kopf loderten. Die Temperatur war auf etwa zehn Grad gesunken, aber wenn der Wind zu heftigen Böen aufflackerte, schien die Nacht viel kälter zu sein. Das Gute war, je größer ihr Elend durch Wind und Kälte wurde, desto mehr vergaß sie ihr anderes Leid - den Hunger. »VERWAHRLOSTES KIND WANDERTE NACH BEGEGNUNG MIT AUSSERIRDISCHEN TAGELANG HUNGRIG UND BENOMMEN UMHER«, sagte sie, wobei sie eine Schlagzeile aus einer Ausgabe des National Enquirer las, die nur in ihrer Fantasie existierte.

Sie kam zur Kreuzung der Landstraße mit der Holliwell Road, und freute sich, wie gut sie vorankam, als sie denen beinahe in die Arme lief, denen sie aus dem Weg gehen wollte.

Östlich der Landstraße war die Holliwell nur ein festgetretener Feldweg, der in die Berge hinaufführte, unter der Autobahn hindurch bis direkt zur alten und verlassenen Ikarus-Kolonie - einem baufälligen Haus mit zwölf Zimmern, Scheune und verfallenen Ställen -, wo eine Gruppe Künstler in den fünfziger Jahren versucht hatte, eine ideale gemeinschaftliche Gesellschaftsform zu etablieren. Seither war es eine Pferdezuchtfarm gewesen (gescheitert), ein Naturkostrestaurant (pleite), Ort für einen wöchentlichen Flohmarkt und eine Auktion (gescheitert); inzwischen war es schon lange dem Verfall anheim gegeben worden. Kinder wußten im allgemeinen alles darüber, da es ein unheimliches Haus und daher Ort zahlreicher Mutproben war. Westlich war die Holliwell Road asphaltiert und führte am Stadtrand entlang und an einigen neueren Häusern der Gegend und dem Ge -lände von New Wave Mikrotech vorbei, und schließlich zur Nordspitze der Bucht, wo Thomas Shaddack, das Computergenie, in einem großen, unheimlich aussehenden Haus wohnte. Chrissie hatte nicht vor, auf der Holliwell nach Osten oder Westen zu gehen; sie war lediglich ein Meilenstein auf ihrem Weg; wenn sie sie hinter sich gelassen haben würde, würde sie sich am nordwestlichen Ende der Gemarkung von Moonlight Cove befinden.

Sie war kaum dreißig Meter von der Holliwell Road entfernt, als sie das rasch anschwellende Dröhnen eines rasenden Motors hörte. Sie wich von der Straße zurück, über einen schmalen Graben am Straßenrand, durch Gras und suchte schließlich hinter dem dicken Stamm einer uralten Pinie Schutz. Noch während sie sich hinter dem Stamm niederkauerte, konnte sie die Richtung erkennen, aus der das Fahrzeug kam - Westen -, und dann sah sie die Scheinwerfer südlich von ihr auf die Kreuzung zufahren. Ein Lastwagen war auf der Holliwell zu sehen, der das Stoppschild mißachtete und mitten auf der Kreuzung bremste. Nebel waberte und wirbelte um ihn herum Chrissie konnte den schweren, schwarzen Lastwagen mit der verlängerten Pritsche ziemlich deutlich sehen, weil die Ecke Holliwell und Landstraße ein Ort häufiger Unfälle war, und daher hatte man an der nordöstlichen Ecke eine Laterne angebracht, die bessere Sicht schaffen und Autofahrer warnen sollte. Der Lastwagen hatte das Abzeichen von New Wave auf der Tür, das sie selbst auf diese Entfernung erkennen konnte, weil sie es schon tausendmal gesehen hatte: ein weißblauer Kreis, etwa so groß wie ein Eßteller, dessen untere Hälfte eine blaue Woge bildete. Der Lieferwagen hatte eine große Pritsche, seine momentane Fracht waren Männer: Sechs oder acht saßen hinten.

In dem Augenblick, als der Lieferwagen auf der Kreuzung hielt, sprangen zwei Männer über die Heckklappe. Einer ging zur bewaldeten Spitze an der nordwestlichen Ecke der Kreuzung und verbarg sich unter den Bäumen - nicht mehr als dreißig Meter südlich der Pinie, unter der Chrissie ihn beobachtete. Der andere ging zur südöstlichen Ecke der Kreuzung und bezog zwischen Unkraut und Chaparral Stellung.

Der Lastwagen bog nach Süden auf die Landstraße ein und fuhr davon.

Chrissie vermutete, daß die anderen Männer auf dem Lastwagen an anderen Stellen entlang der Ostgrenze von Moonlight Cove postiert werden würden, um Wache zu stehen. Zudem war der Lastwagen so groß gewesen, daß er mindestens zwanzig Männer befördern könnte, daher waren zweifellos unterwegs noch andere abgesetzt worden, während er vom New Wave Gebäude im Westen auf der Holli-well in östlicher Richtung gefahren war. Sie umgaben Moonlight Cove mit Wachen. Sie war ziemlich sicher, daß sie nach ihr suchten. Sie hatte etwas gesehen, das sie nicht hätte sehen sollen - ihre Eltern während einer teuflischen Verwandlung -, und jetzt mußte sie gefunden und >verwandelt< werden - wie Tucker es genannte hatte -, bevor sie eine Möglichkeit hatte, die Welt zu warnen.

Das Geräusch des schwarzen Lieferwagens wurde leiser. Schweigen senkte sich wie eine klamme Decke herab.

Nebel wirbelte und waberte und wogte in zahllosen Strömungen, aber die übermächtigen Gezeiten des Windes trieben ihn unbarmherzig zu den dunklen, geschlossenen Hügeln.

Dann schwoll die Brise unvermittelt an, bis sie wieder zu einem echten Wind wurde, der durch das hohe Gras flüsterte und im Immergrün rauschte. Er erzeugte ein leises und seltsam verlorenes Brummen an einem nahegelegenen Straßenschild.

Chrissie wußte zwar, wo sich die beiden Männer niedergelassen hatten, aber sie konnte sie nicht mehr sehen. Sie hatten sich gut versteckt.

31

Nebel trieb am Auto vorbei und nach Osten in die Nacht. Eine Brise, die zunehmend zum richtigen Wind wurde, wehte ihn davon, und in Sams Verstand wirbelten die Gedanken ebenso unablässig dahin. Diese Gedanken waren so beunruhigend, daß er es vorgezogen hätte, in gedankenloser Fassungslosigkeit dazusitzen.