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Gänsehaut überzog ihre nackten Beine, sie kam sich nur mit Höschen und T-Shirt bekleidet plötzlich verwundbar vor. Sie ging rasch zum Schrank und zog Jeans und einen Pullover an.

Sie war nicht allein in dem Motel. Es gab noch andere Gä -ste. Mr. Quinn hatte das gesagt. Vielleicht nicht viele, vielleicht nur noch zwei oder drei. Aber wenn es zum Schlimmsten käme, könnte sie schreien, die anderen Gäste würden es hören, und ihre Angreifer müßten sich aus dem Staube machen.

Sie nahm ihre Rockports, in die sie die weißen Tennissok-ken gestopft hatte, und ging wieder zur Tür.

Leise, heisere Stimmen zischten am anderen Ende des Flurs - dann dröhnte ein ohrenbetäubender Lärm durch das ganze Motel, und sie schrie auf und zuckte überrascht zusammen. Sofort folgte ein weiterer Knall. Sie hörte, wie in einem anderen Zimmer die Tür nachgab.

Eine Frau schrie, ein Mann brüllte etwas, aber die anderen Stimmen erfüllten Tessa mit einem Schauer des Entsetzens. Es waren mehrere, drei, vielleicht vier, und sie waren unheimlich und auf schockierende Weise wild. Schrilles, wolfsähnliches Knurren drang aus dem angrenzenden Flur, gefolgt von mörderischem Fauchen, schrillem und erregtem Quietschen, einem eisigen Winseln, das die Verkörperung von Blutgier war, und anderen Lauten, die man kaum beschreiben konnte, aber am schlimmsten war, daß diese anderen unmenschlichen Stimmen, die eindeutig zu Bestien gehörten, und nicht zu Menschen, auch ein paar verständliche Worte hervorstießen:    »...brauchen,    brauchen...holt sie,

holt...holt, holt... Blut, Flittchen, Blut...«

Tessa lehnte sich an die Tür, an der sie sich stützend festhielt, und versuchte sich einzureden, daß die Worte, die sie hörte, von dem Mann und der Frau gesprochen wurden, in deren Zimmer eingebrochen worden war, aber sie wußte, daß das nicht stimmte, denn sie hörte den Mann und die Frau schreien. Die Schreie waren schrecklich, fast unerträglich, voller Entsetzen und Qual, als würden sie zu Tode geprügelt werden, oder schlimmer, viel schlimmer, als würden sie zerrissen werden, zerfetzt, in Stücke gerissen und ausgeweidet.

Vor ein paar Jahren war Tessa in Nordirland gewesen und hatte einen Dokumentarfilm über die Sinnlosigkeit der unnötigen Gewalt dort gedreht, und sie hatte unglücklicherweise einen Friedhof besucht, wo gerade die Bestattung eines Mannes aus der endlosen Reihe der >Märtyrer< -katholisch oder protestantisch spielte keine Rolle mehr, beide Fraktionen hatten mehr als genügend - stattfand, und die Menge der Trauernden hatte sich plötzlich in eine Meute Wilder verwandelt. Sie waren vom Friedhof in die umliegenden Straßen gezogen und hatten nach Angehörigen des anderen Glaubens gesucht, bis sie wenig später zwei britische Armeeoffiziere in Zivil in einem nicht gekennzeichneten Fahrzeug entdeckt hatten. Der Mob hatte allein durch seine Größe das Auto eingekesselt, die Fenster eingeschlagen und die Friedenshüter auf den Gehweg herausgezerrt. Tessas beide technische Assistenten hatten das Weite gesucht, aber sie hatte sich mit der Videokamera auf der Schulter in des Tohuwabohu gestürzt, und ihr war zumute gewesen, als hätte sie durch das Objektiv aus dieser Welt hinaus in die Hölle selbst gesehen. Wilde Augen, von Wut und Haß verzerrte Gesichter, die Trauer vergessen, der Blutgier ergeben, so hatten die Trauernden unablässig auf die gestürzten Briten eingetreten, dann hatten sie sie auf die Füße gezogen und auf sie eingeschlagen und sie immer wieder gegen das Auto gestoßen, bis ihre Wirbelsäulen brachen und ihre Schädel barsten, dann hatten sie sie fallengelassen und wieder getreten und geprügelt und mißhandelt, obwohl sie da schon längst tot gewesen waren. Sie hackten heulend und kreischend, fluchend und Parolen singend, die zu unverständlichen Silbenketten gerieten, auf die zerschmetterten Leiber ein, aber sie waren keine irdischen Vögel, weder Bussarde noch Geier, sondern wie Dämonen, die aus der Hölle emporgeschwebt waren und die toten Männer nicht nur in der Absicht zerfetzten, ihr Fleisch zu verzehren, sondern auch vom heißen Verlangen erfüllt, ihre Seelen herauszureißen und zu stehlen. Zwei der rasenden Männer hatten Tessa bemerkt, ihr die Videokamera weggerissen und am Boden zertrümmert und sie selbst umgeworfen. Einen schrecklichen Augenblick war sie überzeugt gewesen, sie würden sie in ihrer Wut ebenfalls in Stücke reißen. Zwei bückten sich und zerrten an ihrer Kleidung. Ihre Gesichter waren so haßverzerrt, daß sie nicht mehr menschlich wirkten, sondern wie Steinfiguren, die von Kirchendächern herabgestiegen waren. Sie hatten alles Menschliche in sich aufgegeben und die in den Genen codierten Geister der Primitiven, von denen sie abstammten, freigelassen. »Um Gottes willen!« hatte sie geschrien. »Um Gottes Willen, bitte!« Vielleicht war es die Erwähnung Gottes, vielleicht auch der Klang einer menschlichen Stimme, die nicht zum heiseren Knurren eines Tieres geworden war, die sie irgendwie veranlaßte, von ihr abzulassen und innezuhalten. Diese Gelegenheit hatte sie genützt, um sich aufzurappeln und vor ihnen zu fliehen, sie hatte sich durch den wogenden, blutgierigen Mob in Sicherheit gebracht.

Was sie jetzt am anderen Ende des Motelflurs hörte, war genauso. Oder noch schlimmer.

33

Sam fing an zu schwitzen, obwohl die Heizung des Streifenwagens nicht eingeschaltet war, und jeder neuerliche Windhauch versetzte ihn in Angst und Schrecken, während er das Submenü B abrief, das die geplanten Verwandlungen von sechs Uhr des kommenden Morgens bis achtzehn Uhr des Abends zeigte. Über diesen Namen stand: 450 VERWANDLUNGEN GEPLANT. Harry Talbots Name stand auch nicht auf dieser Liste.

Möglichkeit C, achtzehn Uhr Dienstagabend bis Mitternacht desselben Tages, informierte ihn darüber, daß 274 Verwandlungen geplant waren. Auf dieser dritten und letzten Liste stand Harry Talbots Name.

Sam zählte im Geiste die Zahlen der in den drei Verwandlungszeiträumen genannten Personen zusammen - 380, 450 und 274 - und stellte fest, daß das 1104 ergab, die Zahl auf der Liste bevorstehender Verwandlungen. Zählte man dazu nun 1967, die Zhl der bereits als verwandelt Gelisteten, ergab das zusammen die Summe 3071, was wahrscheinlich der Gesamtbevölkerung von Moonlight Cove entsprach. Wenn die Uhr das nächste Mal Mitternacht schlüge, weniger als dreiundzwanzig Stunden von jetzt an, würde die gesamte Stadt verwandelt sein - was, zum Teufel, das auch immer heißen mochte.

Er schaltete sich aus dem Submenü aus und wollte gerade den Automotor abschalten, als das Wort ALARM auf dem VDT erschien und zu blinken anfing. Er bekam Angst, weil er sicher war, daß sie ihn als Eindringling entlarvt hatten, der in ihrem System herumspionierte; er mußte einen versteckten Alarm im System ausgelöst haben.

Aber anstatt die Tür aufzureißen und die Flucht zu ergreifen, betrachtete er den Bildschirm weiter, weil die Neugier ihn festhielt.

TELEFONÜBERWACHUNG DEUTET AUF ANWESENHEIT

EINES FBI-AGENTEN IN MOONLIGHT COVE HIN.

ORT DES ANRUFES:

ÖFFENTLICHER FERNSPRECHER, SHELL-TANKSTELLE,

OCEAN AVENUE.

Der Alarm hatte etwas mit ihm zu tun, aber nicht, weil er momentan in einem ihrer Streifenwagen saß und der New Wave/Moonhawk-Verschwörung auf die Schliche kam. Offenbar waren die Dreckskerle auch in die Datenbänke der Telefongesellschaft eingeklinkt und durchsuchten diese Aufzeichnungen in regelmäßigen Abständen, um herauszufinden, wer von welchem Apparat welche Nummer angerufen hatte - sogar von sämtlichen öffentlichen Telefonzellen der Stadt, die unter normalen Umständen sicheres Kommunikationsmittel für einen Agenten gewesen wären. Sie waren paranoid, auf ihre Sicherheit bedacht, und sie verfügten über ein elektronisches Netz, dessen Umfang und Ausmaß mit jeder neuerlichen Enthüllung erstaunlicher würde.