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Die einzigen Lichtquellen in dem Raum waren hinter einer Verkleidung über den breiten Fenstern verborgen, die von der Decke bis zehn Zentimeter über den Boden reichten. Die indirekte Beleuchtung verlief um den ganzen Raum herum und erhellte den Plüschteppich auf sanfte Weise, warf aber keinen Schein auf die gewaltigen Scheiben. Wäre die Nacht klar gewesen, hätte Shaddack dennoch den Schalter neben dem Fahrstuhl gedrückt und das Zimmer in fast völlige Dunkelheit gehüllt, damit seine geisterhafte Spiegelung, und die der modernen Möbel, nicht störend auf das Glas zwischen ihm und der Welt fielen, über der er residierte. Aber er ließ die Lichter an, weil immer noch ein Rest milchiger Nebel an den Glasscheiben vorbeiwirbelte und man wenig sehen konnte, da die Mondsichel schon den Horizont erreicht hatte.

Shaddack schritt barfuß über den anthrazitfarbenen Teppichboden. Er ließ sich in einen zweiten Sessel nieder und sah Loman Watkins über einen kleinen Cocktailtisch aus weißem Marmor hinweg an.

Der Polizist war vierundvierzig, weniger als drei Jahre älter als Shaddack, aber er war Shaddacks genaues Gegenteiclass="underline" einsfünfundsiebzig, neunzig Kilo, kräftige Knochen, breite Schultern und Brust, stiernackiger Hals. Auch sein Gesicht war breit und so offen und arglos wie das von Shaddack verschlossen und verschlagen war. Seine blauen Augen sahen in die gelblich-braunen von Shaddack, aber nur einen Moment, dann sah er seine kräftigen Hände an, die er im Schoß so fest gefaltet hatte, daß die spitzen Knöchel drohten, die straffe Haut aufzureißen. Die dunkelbraune Kopfhaut war unter dem Bürstenschnitt des braunen Haares zu sehen.

Watkins' offensichtliche Unterwürfigkeit gefiel Shaddack, aber die sichtliche Angst des Polizeichefs machte ihn noch mehr an; man konnte sie deutlich am Zittern erkennen, das der Mann - mit geringem Erfolg - zu unterdrücken versuchte, und an dem gequälten Gesichtsausdruck, der die Farben seiner Augen dunkler machte. Aufgrund des Projekts Moonhawk, aufgrund dessen, was mit ihm geschehen war, war Loman Watkins den meisten anderen Menschen überlegen, aber er war gleichzeitig jetzt und für alle Zeiten so sicher wie eine Laborratte, die festgeschnallt und an Elektroden angeschlossen war, in Shaddacks Gewalt, war der Gnade des Wissenschaftlers ausgeliefert, der Experimente mit ihm durchführte. Shaddack war in gewisser Weise Watkins' Schöpfer, und er besaß in Watkins' Augen die Position und Macht eines Gottes.

Als er sich im Sessel zurücklehnte und die blassen Hände mit den langen Fingern über der Brust faltete, spürte Shaddack, wie seine Männlichkeit anschwoll und steif wurde. Aber nicht Loman Watkins erregte ihn, denn er verspürte überhaupt keinerlei homosexuelle Neigungen; nicht Wat-kins' Äußeres erregte ihn, sonder das Wissen um die grenzenlose Autorität, die er über den Mann hatte. Macht erregte Shaddack leichter und vollkommener als sexuelle Stimuli. Schon wenn er als Heranwachsender Bilder von nackten Frauen in erotischen Magazinen betrachtet hatte, hatten ihn nicht bloße Brüste, Hintern oder lange Beine angemacht, sondern die Vorstellung, diese Frauen zu beherrschen, sie völlig zu kontrollieren, ihr Leben in seinen Händen zu halten. Wenn eine Frau ihm mit unverhohlener Angst ansah, fand er sie unendlich anziehender, als hätte sie ihn voll Verlangen angesehen. Und da er auf Schrecken mehr ansprach als auf Lust, hing seine Erregung nicht von Geschlecht oder Alter oder körperlicher Attraktivität der Person ab, die vor ihm zitterte.

Shaddack, der die Unterwürfigkeit des Polizisten genoß, fragte: »Haben Sie Booker?«

»Nein, Sir.«

»Warum nicht?«

»Er war nicht im Cove Lodge, als Sholnick dorthin kam.«

»Er muß gefunden werden.«

»Wir werden ihn finden.«

»Und verwandeln. Wir werden nicht nur verhindern, daß er jemandem erzählt, was er gesehen hat... sondern wir werden ihn zu einem von uns in den Reihen des FBI machen. Das wäre ein Ding. Seine Anwesenheit hier könnte sich zu einem unglaublichen Plus für das Projekt entwickeln.«

»Nun, ob Booker ein Plus ist oder nicht, es gibt schlimmeres als ihn. Regressive haben Gäste der Motels angegriffen. Quinn wurde entweder verschleppt und getötet und an einer Stelle liegengelassen, wo wir ihn nicht gefunden haben... oder er war selbst einer der Regressiven und ist jetzt flüchtig... und macht das, was sie auch immer nach dem Töten machen, vielleicht den gottverdammten Mond anheulen.«

Shaddack hörte sich den Bericht mit zunehmendem Mißfallen und Aufregung an.

Watkins, der auf der Stuhlkante kauerte, beendete den Bericht, blinzelte und sagte: »Diese Regressiven machen mir verdammte Angst.«

»Sie sind beunruhigend«, stimmte Shaddack zu.

In der Nacht des vierten September hatten sie einen Regressiven, Jordan Coombs, im Kino an der Hauptstraße in die Enge getrieben. Coombs war Hausmeister bei New Wave gewesen. Aber in jener Nacht war er mehr Affe als Mensch, obwohl eigentlich keins von beidem, sondern etwas so Seltsames und Wildes, daß man es nicht mit einem einzigen Wort beschreiben konnte. Der Ausdruck >Regressive< war nur dann zutreffend, hatte Shaddack herausgefunden, wenn man nie einer dieser Bestien von Angesicht zu Angesicht gegenüberstand. Denn wenn man einmal eine aus der Nähe gesehen hatte, vermittelte >regressiv< nur unzulänglich das Grauen des Dings, tatsächlich waren alle Worte /um Scheitern verurteilt. Auch ihr Versuch, Coombs lebend zu erwischen, war zum Scheitern verurteilt gewesen, denn er war zu aggressiv und kräftig gewesen, sich fangen zu lassen; um sich selbst zu retten, hatten sie ihm den Kopf wegpusten müssen.

Jetzt sagte Watkins: »Sie sind mehr als beunruhigend. Viel mehr als nur das. Sie sind- psychopathisch.«

»Ich weiß, daß sie psychopathisch sind«, sagte Shaddack ungeduldig. »Ich selbst habe ihrem Zustand einen Namen gegeben: metamorphosebedingte Psychose.«

»Sie haben Spaß am Töten.«

Thomas Shaddack runzelte die Stirn. Er hatte das Problem der Regressiven nicht vorhergesehen, aber er weigerte sich zu glauben, daß sie mehr als eine unbedeutende Anomalität in der ansonsten vorbildlichen Verwandlung der Bewohner von Moonlight Cove waren. »Ja, richtig, sie haben Spaß am Töten, und sie sind in ihrem regressiven Stadium buchstäblich zum Töten geschaffen, aber wir müssen nur ein paar identifizieren und eliminieren. Statistisch gesehen machen sie einen vernachlässigbaren Prozentsatz der Verwandelten aus.«

»So vernachlässigbar vielleicht auch nicht«, sagte Watkins zögernd; er konnte Shaddack nicht in die Augen sehen und war nur äußerst widerwillig der Überbringer schlechter Neuigkeiten. »Aufgrund der grausamen Verbrechen der letzten Zeit würde ich schätzen, daß wir unter den neunzehnhundert Verwandelten bislang fünfzig oder sechzig dieser Regressiven haben.«

»Lächerlich!«

Hätte er zugegeben, daß eine größere Zahl Regressive existieren könnte, hätte sich Shaddack auch eingestehen müssen, daß seine Forschungen mit Makeln behaftet waren, daß er mit zu wenig Rücksicht auf mögliche Katastrophen aus dem Labor gehastet und ins Versuchsstadium übergegangen war, und daß seine enthusiastische Anwendung der revolutionären Entdeckung des Projekts Moonhawk an den Menschen von Moonlight Cove ein tragischer Fehler gewesen war. So etwas konnte er niemals zugeben.

Er hatte sich sein ganzes Leben lang nach der n-ten Potenz von Macht gesehnt, die jetzt fast in seiner Reichweite war, und er war psychologisch außerstande, von dem von ihm vorherbestimmten Kurs abzuweichen. Er hatte sich seit der Pubertät gewisse Freuden versagt, denn hätte er seinen Bedürfnissen entsprechend gehandelt, wäre er vom Gesetz verfolgt und gezwungen worden, einen hohen Preis zu zahlen. Diese Jahre des Verweigerns hatten einen ungeheuren inneren Druck erzeugt, den er mit aller Verzweiflung erleichtern mußte. Er hatte seine antisozialen Begierden in seiner Arbeit sublimiert, seine Energien in gesellschaftlich akzeptable Unternehmungen gebündelt - was ironischerweise zu Entdeckungen geführt hatte, die ihn immun gegenüber den Behörden machten und es ihm damit freistellen würden, seinen lange unterdrückten Neigungen ohne Angst vor Zensur oder Strafe nachzugehen.