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»Solange er abgeschirmt ist, spielt das keine Rolle. Sah er ängstlich aus? Hochmütig? Wütend?«

»Nein. Nichts davon.«

»Nun, wonach sah er denn dann aus?«

»Willst du das wirklich wissen, Siuan? Er sah aus wie eine Aes Sedai.«

Siuan ließ den Mund zuschnappen. Verspottete er sie wieder? Nein, der General erschien ehrlich. Aber was meinte er damit?

Egwene betrat den Saal, dann eilte eine weißgekleidete Novizin fort, begleitet von zwei von Chubains Soldaten. Egwene hatte nach dem Drachen geschickt. Bryne blieb dort mit auf Siuans Schulter gelegter Hand stehen, stand direkt hinter ihr in dem Korridor. Siuan zwang sich zur Ruhe.

Schließlich sah sie am Ende des Ganges eine Bewegung. Um sie herum fingen Schwestern an zu glühen, als sie die Quelle umarmten. Siuan versagte sich dieses Zeichen der Unsicherheit.

Kurz darauf erschien eine Prozession. Behüter bildeten ein Rechteck um eine hochgewachsene Gestalt in einem abgetragenen braunen Umhang, gefolgt von sechsundzwanzig Aes Sedai. Für Siuan leuchtete die Gestalt in der Mitte. Sie verfügte über das Talent, ta’veren sehen zu können, und al’Thor zählte zu den mächtigsten, die je gelebt hatten.

Sie zwang sich, das Leuchten zu ignorieren und al’Thor selbst zu mustern. Anscheinend war aus dem Jungen ein Mann geworden. Sämtliche Anzeichen jugendlicher Weichheit waren weg und durch harte Linien ersetzt. Er hatte die unbewusste in sich zusammengesunkene Haltung abgelegt, die viele junge Männer an den Tag legten, vor allem die hochgewachsenen. Stattdessen akzeptierte er seine Größe, wie es ein Mann tun sollte, schritt energisch aus. Während ihrer Zeit als Amyrlin hatte Siuan falsche Drachen gesehen. Seltsam, wie dieser Mann ihnen hätte ähneln müssen. Es war …

Sie erstarrte, als sich ihre Blicke trafen. Etwas an seinen Augen war unbestimmbar, eine Bürde, ein Alter. Als würde dieser Mann durch das Licht von tausend Leben sehen, die zu einem komprimiert worden waren. Sein Gesicht sah tatsächlich aus wie das einer Aes Sedai. Zumindest diese Augen verrieten Alterslosigkeit.

Der Wiedergeborene Drache hob die rechte Hand – der linke Arm blieb hinter seinem Rücken gehalten – und hielt die Prozession an. »Wärt ihr so freundlich«, sagte er zu den Behütern und schob sich an ihnen vorbei.

Die schockierten Behüter ließen ihn gewähren; die leise Stimme des Drachen ließ sie zur Seite treten. Sie hätten es besser wissen müssen. Al’Thor trat zu Siuan, und sie stählte sich. Er war unbewaffnet und abgeschirmt. Er konnte ihr nichts antun. Trotzdem schob sich Bryne an ihre Seite und legte die Hand auf den Schwertgriff.

»Friede, Gareth Bryne«, sagte al’Thor. »Ich werde niemandem Schaden zufügen. Ich nehme an, Ihr habt zugelassen, mit ihr den Bund einzugehen? Seltsam. Elayne wird das interessant finden. Und Siuan Sanche. Ihr habt Euch seit unserer letzten Begegnung verändert.«

»Zu uns allen kommen Veränderungen, solange sich das Rad dreht.«

»Die Antwort einer echten Aes Sedai.« Al’Thor lächelte. Ein entspanntes, weiches Lächeln. Das überraschte sie. »Ich frage mich, ob ich mich jemals daran gewöhne. Ihr habt einst einen Pfeil für mich abgefangen. Habe ich Euch dafür gedankt?«

»Wenn ich mich richtig erinnere, tat ich das nicht absichtlich«, erwiderte sie trocken.

»Ich danke Euch trotzdem.« Er wandte sich der Tür zum Saal der Burg zu. »Was für eine Art von Amyrlin ist sie?«

Warum fragst du das mich? Er konnte unmöglich wissen, wie nahe sich Siuan und Egwene standen. »Sie ist unglaublich«, sagte Siuan. »Eine der größten, die wir je hatten, obwohl sie erst so kurze Zeit den Sitz einnimmt.«

Er lächelte wieder. »Ich habe nichts anderes erwartet. Seltsam, aber ich habe das Gefühl, dass es wehtun wird, sie wiederzusehen, obwohl diese eine Wunde nun wirklich gut verheilt ist. Vermutlich kann ich mich noch immer an den Schmerz erinnern.«

Beim Licht, dieser Mann brachte ihre Erwartungen aber gehörig durcheinander! Die Weiße Burg war ein Ort, der jeden Mann, der die Eine Macht lenken konnte, aus dem Gleichgewicht hätte bringen sollen, ob er nun der Wiedergeborene Drache war oder nicht. Aber ihn schien das nicht im Mindesten zu beunruhigen.

Sie öffnete den Mund, aber eine Aes Sedai drängte sich durch die Menge. Tiana?

Die Frau zog etwas aus dem Ärmel und hielt es Rand hin. Ein kleiner Brief mit rotem Siegel. »Das ist für Euch«, sagte sie. Ihre Stimme klang angespannt, und ihre Finger zitterten, auch wenn das Zittern so fein war, dass es die meisten übersehen hätten. Aber Siuan hatte gelernt, bei Aes Sedai auf Anzeichen von Gefühlen zu achten.

Al’Thor hob eine Braue, dann nahm er den Brief entgegen. »Worum handelt es sich?«

»Ich habe versprochen, ihn zu übergeben«, sagte Tiana. »Ich hätte Nein gesagt, aber ich wäre nie auf die Idee gekommen, dass Ihr tatsächlich … ich meine …« Sie unterbrach sich. Dann zog sie sich wieder in die Menge zurück.

Al’Thor schob den Brief ungelesen in die Tasche. »Tut Euer Bestes, Egwene zu beruhigen, wenn ich fertig bin«, sagte er zu Siuan. Dann holte er tief Luft und ging weiter, seine Wächter ignorierend. Sie eilten ihm hinterher. Die Behüter sahen peinlich berührt aus, aber niemand wagte es ihn anzufassen, während er den Saal der Burg betrat.

Egwene stellten sich die Härchen auf den Unterarmen auf, als Rand ohne Begleitung eintrat. Aes Sedai drängten sich auf der Schwelle und versuchten so auszusehen, als würden sie nicht gaffen. Silviana warf Egwene einen Blick zu. Sollte diese Begegnung Versiegelt werden?

Nein, dachte Egwene. Sie müssen sehen, wie ich ihm entgegentrete. Beim Licht, ich fühle mich noch nicht bereit dafür.

Aber daran war nichts mehr zu ändern. Sie stählte sich und wiederholte in Gedanken die Worte, die sie schon den ganzen Morgen lang übte. Das war nicht Rand al’Thor, der Freund aus ihren Kindertagen, der Mann, den sie geglaubt hatte eines Tages zu heiraten. Mit Rand al’Thor konnte sie nachsichtig umgehen, aber hier würde Nachsicht nur das Ende der Welt herbeiführen.

Nein. Dieser Mann war der Wiedergeborene Drache. Der gefährlichste Mann, der je Luft geholt hatte. Groß, viel selbstsicherer, als sie ihn in Erinnerung hatte. Gekleidet war er schlicht.

Er begab sich direkt in die Mitte des Saals; die Behüter blieben draußen. Im Zentrum der auf den Boden aufgemalten Flamme blieb er stehen, umgeben von den Sitzenden auf ihren Stühlen.

»Egwene«, sagte Rand. Seine Stimme hallte durch den Raum. Er nickte ihr zu, wie aus Respekt. »Wie ich sehe, hast du deinen Teil getan. Die Stola der Amyrlin steht dir.«

Bei dem, was sie in letzter Zeit über ihn gehört hatte, hatte sie nicht erwartet, ihn so ruhig zu sehen. Vielleicht war es ja die Ruhe eines Verbrechers, der sich endlich gestellt hatte.

Dachte sie wirklich so über ihn? Hielt sie ihn für einen Verbrecher? Er hatte Taten vollbracht, die zweifellos verwerflich erschienen; er hatte vernichtet, er hatte erobert. Als sie das letzte Mal Zeit mit Rand verbracht hatte, waren sie durch die Aiel-Wüste gereist. Während dieser Monate war er zu einem harten Mann geworden, und diese Härte erkannte sie noch immer in ihm. Aber da war etwas anderes, etwas, das tiefer saß.

»Was ist mit Euch passiert?«, hörte sie sich fragen, als sie sich auf dem Amyrlin-Sitz vorbeugte.

»Ich wurde gebrochen«, sagte Rand, die Hände auf dem Rücken verschränkt. »Und dann wurde ich erstaunlicherweise neu geschmiedet. Ich glaube, er hatte mich fast so weit, Egwene. Es war Cadsuane, die mich dazu brachte, das in Ordnung zu bringen, auch wenn sie es nur durch einen Zufall geschafft hat. Trotzdem werde ich ihr Exil wohl aufheben müssen, fürchte ich.«

Er sprach anders. Seinen Worten haftete eine Förmlichkeit an, die sie nicht erkannte. Bei einem anderen Mann wäre sie von einem kultivierten, gelehrten Hintergrund ausgegangen. Aber den hatte Rand nicht. Konnten Lehrer ihn so schnell ausgebildet haben?